Kapitel 4/5

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„Stopp, Veland, lass das!", ruft James und steht plötzlich schützend vor mir, Velands Arm gepackt. Dessen Blick gleitet langsam von mir zu ihm, dann gibt er seine Angriffshaltung auf und verschwindet aus dem Raum.

„Hey, alles ok?"

„Ja verdammt nochmal! Warum müsst ihr euch alle so komisch verhalten? Kann mir nicht endlich jemand sagen, was los ist?"

Ich gehe aufgebracht eine Runde im kleinen Raum herum und schlage wütend gegen einen Springbock. James schaut mich besorgt an und kommt vorsichtig auf mich zu, als ich stehen bleibe, um mir die blöde Hand zu reiben, die mir nach dem Schlag wehtut.

„Wir sind nicht alle komisch. Vertrau mir. Oder höchstens nur ein bisschen. Veland ist einfach etwas... besonders. Er meint's nicht so. Was ist denn letzte Nacht gewesen?"

Bei der letzten Frage klingt er etwas zu neugierig. Ok ich gebe zu, als Außenstehender hätte man meine Worte durchaus falsch deuten können. James kommt zu mir und legt eine Hand um meine Schulter. Ich erstarre. Ich habe gerade wirklich keine Lust, von so einem Typen, der sich für was Besonderes hält, angeschwänzelt zu werden.

„Du kannst dich mir öffnen, Scarlett", raunt er mir ins Ohr, was vermutlich verführerisch klingen soll. Ich reiße mich von ihm los und entferne mich schnaubend ein paar Schritte.

„Nichts war letzte Nacht. Aber was war eigentlich das in der Mensa gestern? Ihr habt euch richtig gestritten und jetzt seid ihr wieder beste Freunde? Gebe mir doch mal ein paar Antworten", sage ich unfreundlich. Es tut mir schon etwas leid, dass James gerade mein Sündenbock sein muss, aber all diese angestaute Wut muss jetzt raus und durch meine zusätzliche Müdigkeit lasse ich das jetzt auch zu. Er könnte sich ruhig mal nützlich machen und mir ein bisschen mehr über die Grayheads erzählen. James sieht verletzt aus, überspielt das aber schnell.

„So ist das unter Freunden eben, wir kennen uns schließlich schon ewig. Das war ja auch kein wirklicher Streit."

„Ach ja? Für mich sah das aber ziemlich extrem aus."

James schaut mich schuldbewusst an.

„Es gibt Sachen, die du einfach nicht verstehen kannst, wenn du uns nicht wirklich kennst", sagt James, dann verändert sich seine Miene und er grinst mich an, „mich darfst du gerne kennenlernen, ich habe kein Problem damit."

Er zwinkert mir zu. Das ist doch nicht zu fassen!

„Weißt du was, ich glaube ich laufe einfach nach Hause. Ich halte es hier nicht mehr länger aus."

Jetzt schaut James wieder verletzt aus. Mist.

„Ok, tut mir leid. Ich bin heute einfach angespannt. Es ist nur... jeder macht irgendwelche dummen Anmerkungen und erklärt sich nicht. Und ihr seid nicht normal, egal was du sagst. Und ich bin müde und einfach... ich weiß nicht. Es ist noch alles neu hier."

Und warum erzähle ich das eigentlich alles? James lächelt mich freundlich an.

„Ich verstehe dich, Scarlett. Das ist doch ganz normal. Komm setzt dich wieder, es ist viel zu weit bis zum Anwesen", sagt er freundlich und beruhigend. Ich zögere kurz und versuche runter zu kommen. Dann setze ich mich wieder auf den Mattenwagen und seufze. Ich bin wirklich müde. James setzt sich neben mich. Wir schweigen eine ganze Weile. Es tut gut, einfach hier zu sitzen und nichts sagen zu müssen. Und Gesellschaft tut auch gut, Gesellschaft, die nicht so spannend und elektrisierend ist.

„Also, vielleicht hilft es dir ja, wenn ich dir etwas über die Grayheads erzähle. Das wolltest du doch, oder?", fragt James irgendwann. Ich nicke.

„Gut, also, wo fange ich an? Vielleicht mit Mylentun, dem Vater. Er ist irgend so ein hohes Tier in der Politik, so einer, der nicht in der Öffentlichkeit ist, im Hintergrund aber ziemlich viel Einfluss hat. Deswegen ist er auch fast nie da. Seine Frau hieß Aethel. War wohl so eine ganz große Liebe, jedenfalls ist er seit ihrem Tod ziemlich trübselig geworden. Deswegen arbeitet er auch so viel."

Aha, das erklärt viel.

„Aelfric ist deswegen der eigentliche Boss im Haus, jedenfalls, wenn Mylentun nicht da ist. Weil er der Älteste und auch eindeutig der Vernünftigste ist."

Ja, da stimme ich zu.

„Er hat sich auch sehr um Hrodwyn und Lebuin gekümmert, wobei da Veland und Raedwulf auch viel Zeit investiert haben. Veland ist eigentlich ganz nett und cool, nur manchmal etwas zu... naja du weißt schon. Eingebildet? Ich glaube, das trifft es ganz gut. So muss er jedenfalls für dich rüberkommen."

Da ist Veland aber nicht der Einzige...

„Nun ja und Raedwulf ist eben der Musiker und Poet. Keine Ahnung, wie er es schafft, den ganzen Mist in sich aufzusaugen. Schon mal William Blakes Gedichte gelesen? Völliger Schwachsinn! Naja, er mag es halt."

Gedichte? Ich liebe Gedichte!

„Und Lebuin und Hrodwyn sind die lieben kleinen Zwillinge, die jeder liebt. Ja, das sollte eine gute Kurzzusammenfassung sein. War es das, was du hören wolltest?"

Nun ja, nicht ganz. Ich hätte gerne gehört, warum Veland mitten in der Nacht so plötzlich im Wald aufgetaucht ist, warum Raedwulf erst so eine magische Atmosphäre geschaffen hat und mich dann weggeschuppst hat, warum Aelfric weiß, was in mir vorgeht, warum die Zwillinge sich so erwachsen verhalten und Bücher lesen, die selbst für mich zu hoch sind und warum alle so faszinierend sind, so atemberaubend, so unglaublich, so schnell und so stark. Und warum ich das alles unbedingt wissen will.

„Ja, danke, dass ist wenigstens mal ein Anfang."

James lächelt mich freundlich an.

„Siehst du, und schon ist die Welt nicht mehr ganz so schlimm", sagt er, stolz auf sich. Ich verkneife es mir, meine Augen zu verdrehen, und lächle zurück.

„Ok, es ist Zeit fürs Essen, kommst du?", fragt er mich und schwingt sich vom Mattenwagen hoch. Ich tue es ihm gleich und wir verlassen den Geräteraum und die Sporthalle. Als wir in die Mensa kommen, sitzen David und Cole bereits mit Amber an einem Tisch, die mir zuwinkt, um sich bemerkbar zu machen. An einem anderen Tisch sehe ich Kate allein sitzen. Sie schaut mich an und sieht überhaupt nicht glücklich aus. Als sie merkt, dass ich auch sie beobachte, lächelt sie mir vorsichtig zu.


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