Kapitel 3/4

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Ich bringe das Buch über die Krankheiten zurück und verlasse die Bibliothek. Als ich in die Küche gehe, steht auf einer der Theken eine dampfende Portion Käsenudeln. Daran klebt ein Zettel mit Aelfrics Schrift.


Lasse es dir schmecken, Scarlett. Ich bin heute Abend außer Haus und kann dir leider keine Gesellschaft leisten.

Aelfric


Ich muss lächeln und bewundere Aelfrics Führsorge. Mit dem Teller in den Händen gehe ich ins Esszimmer und setzte mich. Während ich die Nudeln genieße, höre ich fasziniert Raedwulfs Pianospiel zu. Mir ist vermutlich noch nie ein so begabter Musiker persönlich begegnet. Er scheint all seine Emotionen in die Musik zu legen, so bewegend ist sie. Da er nun ein sanfteres Lied spielt, schließe ich, dass er sich abgeregt hat.

Als ich fertig gegessen habe, wasche ich mein Geschirr im Waschbecken der Küche ab und stelle es zurück auf die Theke. Ich gehe hinaus in den Eingangsbereich und will in mein Zimmer verschwinden, doch schlägt die Musik in dem Moment wieder um und hat jetzt einen so melancholischen Charakter, dass ich abrupt stehen bleibe. Ich verweile so einen Moment und lasse die Töne mein Herz berühren. Zum einen stimmt sie mich traurig, zum anderen macht sie mich aber auch neugierig auf den Erschaffer. Ich bin fest davon überzeugt, dass Raedwulf durch dieses Lied seine Trauer ausdrückt, doch will ich wissen, was ihn so traurig stimmt.

Ich zögere noch einmal kurz, dann gehe ich aber doch langsam in die Richtung des Musiksaals. Ganz vorsichtig und leise öffne ich die Tür und stehle mich herein. Mein Herz beginnt zu rasen, ohne dass ich wüsste, woran es liegt. In dem großen Raum ist kein einziges Licht an. Mittlerweile ist es draußen schon Nacht, es beleuchtet nur das Mondlicht den Flügel in der Mitte des Raumes. Raedwulf sitzt mit geschlossenen Augen vor ihm und lässt seine Hände einfühlsam über die Tasten gleiten. Er ist so konzentriert, dass er mein Eintreten nicht bemerkt.

Aus irgendeinem Grund will ich, dass das auch so bleibt. Ich will einfach nur seinem Werk lauschen, mich mitreißen lassen, das Mondlicht beobachten, wie es seinen schwarzen Schopf sachte streift. Sehen, wie die Emotionen den Flügel erreichen, sehen, wie sich Raedwulfs Gesichtszüge sanft verziehen, wenn er einen Ton leidenschaftlich ausspielt. So bewegt wurde ich noch nie von einer Melodie.

Es vergehen Minuten, in denen ich einfach nur fasziniert von Raedwulf bin und in denen ich mich nicht dafür schäme, diese Anziehungskraft zu verspüren, die ich empfinde und die mit jedem Ton zu wachsen scheint. Je länger ich dastehe, desto größer wird mein Verlangen, näher an ihn heranzutreten. Ich setzte vorsichtig einen Fuß vor den anderen, hoffend, dass Raedwulf nichts bemerkt. Ich fühle mich wie in Trance, es ist jetzt unmöglich, stehen zu bleiben, wissend, dass er mich bestimmt bemerken wird.

Als ich nur noch zwei Meter von ihm entfernt bin, öffnet Raedwulf plötzlich seine Augen. Die Musik stoppt prompt. Ich falle aus meiner Trance und bleibe stehen. Raedwulf scheint nicht sauer oder erschrocken, er schaut mich einfach nur mit seinen grünen Augen an. Es liegt eine Frage darin, die Frage, was ich hier soll.

„Tut mir leid, ich...", stammle ich. Raedwulfs Miene verändert sich nicht, er sagt kein Wort.

„Ich, also... ich musste dir zuhören. Deine Musik... sie ist so... so wunderschön, so fesselnd."

Raedwulfs Augen beginnen zu funkeln. Er wirkt überhaupt nicht mehr schüchtern, sondern eher interessiert und vor allem viel selbstbewusster. Sein Blick bleibt bestehen, es liegt kein bisschen Verlegenheit mehr darin, selbst seine Haltung ist viel aufrechter. Seine Augen streifen meinen Mund.

„So leidenschaftlich", füge ich leise hinzu. Mein ganzer Körper scheint zu prickeln. Vorsichtig trete ich noch näher heran. In diesem Moment ist es mir egal, weshalb mein Körper so reagiert und mir ist es egal, ob ich aus diversen Gründen dieses Verhalten unterbinden sollte. In diesem Moment will ich einfach nur näher zu Raedwulf, dieser Person, die solche Melodien erschaffen kann und dessen Augen so fesseln, so tiefgründig sind.



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