Kapitel 3/3

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Als ich in der Bibliothek bin, schnappe ich mir das erstbeste Buch, das ich in die Finger bekomme, und gehe zu den Zwillingen. Sie sind so ins Lesen vertieft, dass sie nicht einmal aufschauen, als ich komme. Mir ist das so sehr Recht, man kann mir bestimmt noch ansehen, wie durcheinander ich bin. Ich lasse mich auf einen Sessel fallen, schlage das Buch, das ich in Händen halte, auf und tue so, als ob ich es lesen würde. Tatsächlich aber kann ich mich auf kein Wort konzentrieren. Ich weiß nur, dass es sich um Krankheiten handelt, denn die werden auf extreme Weise dargestellt. Sicherlich war der Künstler, der die Bilder angefertigt hat, übermotiviert in der Darstellung des Leidens, welches man erfährt, wenn man den jeweiligen Krankheiten unterlegen ist.

Mir wird schlecht. Ich blättere auf eine bildlose Seite und denke an die Situation, aus der ich gerade entkommen bin. Auch wenn Veland eine vollkommen abstoßende Person ist – oder vielleicht genau deshalb – sollte er nicht so eine Wirkung auf mich haben. Alle Grayheads sollten nicht so eine Wirkung auf mich haben. Normalerweise bin ich nicht jemand, der irgendwelchen gutaussehenden Typen hinterherrennt oder ihnen leicht verfällt, deshalb bin ich so irritiert, dass die Grayheadsöhne mich so dermaßen aus der Fassung bringen. Das kann einfach nicht nur an irgendwelchen Hormonen liegen!

Schon wieder frage ich mich, ob ich nicht doch Kates Worten etwas mehr Gehör schenken sollte. Aber sie hat das Wort „Gefahr" verwendet. Bedroht fühle ich mich nicht. Auch wenn die Situation in der Küche etwas Gefährliches hatte, wenn man Velands Muskeln betrachtet, habe ich mich nicht so gefühlt, als ob ich in Gefahr wäre. Es war eher ein Gefühl der Begierde – und das verwirrt mich so viel mehr. Noch nie habe ich allein wegen der Anwesenheit einer Person so sehr den Drang verspürt, dieser näher zu kommen. Es ist, wenn ich ehrlich zu mir bin, die Ursache, weshalb ich immer in der Anwesenheit einer der Söhne so neben mir stehe. Jedoch ist es nicht nur das Verlangen nach körperlicher Nähe, es ist auch das Verlangen, sich mit diesen Personen verbunden zu fühlen. Denn etwas an ihnen ist anders. Ich kann es in ihren Augen sehen, wenn sich unsere Blicke kreuzen.

Es ist ihre Seele, fährt es mir durch den Kopf, was natürlich vollkommener Unsinn ist. Wie könnte ich denn etwas von der Seele einer fremden Person sehen können. Dennoch habe ich das Gefühl, dass etwas Wahrheit in diesem Gedanken liegt, auch wenn ich mir nicht erklären kann, wie es dazu kommt. Ich versuche mich zusammenzureißen. Schon allein die Gedanken, die mir bezüglich des Verlangens, das ich in mir spüre, kommen, sind mir peinlich. Ich will das alles am liebsten abstreiten und in einer staubigen Ecke verstauen, an der niemand vorbeikommt. Aber es nützt nichts, mich selbst anzulügen, und je länger ich darüber nachdenke, desto mehr spüre ich, dass es die Wahrheit ist.

„Scarlett ist alles ok bei dir? Du bist ganz rot", fragt mich Hrodwyn mit leiser, zarter Stimme. Wie oft ich das heute schon gefragt wurde.

„Ja alles gut, wieso?", entgegne ich mit Unschuldsmiene.

„Du siehst nicht ganz in Ordnung aus, willst du dich vielleicht hinlegen? Wir kommen schon allein zurecht", meint Hrodwyn. Toll, jetzt müssen schon die Kinder, auf die ich aufpassen soll, Mutter spielen. Besser kann der Tag ja nicht werden. Ich schaue kurz auf die Uhr und merke, dass es schon Abend ist.

„Weißt du was, vielleicht ist das gar keine so schlechte Idee. Ich mache mir aber noch schnell Sandwiches, wollt ihr auch welche?", frage ich die beiden. Es macht keinen Sinn, hier weiter rumzusitzen. Die Zwillinge kommen momentan gut ohne mich klar und ich würde mich zu gerne ausruhen und am besten etwas Zeit für mich haben. Die beiden schütteln aber nur den Kopf. Einen Moment lang liegt Traurigkeit in Lebuins Blick, im nächsten Moment ist dieser aber wieder verschwunden und ich bin mir sicher, dass ich mir das nur eingebildet habe.


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