Kapitel 2/4

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Wir steigen aus und die beiden Grayheads führen mich zum Haupteingang. Dort steht eine Gruppe bestehend aus drei Jungen, die uns zuwinken. Sie schauen mich interessiert an, während wir auf sie zugehen. Als wir bei ihnen angekommen sind, begrüßen Aelfric und Raedwulf sie mit einer kumpelhaften Umarmung. Die fünf Jungs scheinen sehr gut befreundet zu sein.

„Wen habt ihr denn da dabei?", fragt ein blonder, durchtrainierter Junge und grinst mich selbstbewusst an. Alle drei sehen wahrscheinlich sehr gut aus, neben den Grayheads wirken sie aber normal.

„Das ist Scarlett, unser neues Au-pair-Mädchen. Ich habe euch doch gesagt, dass sie kommen wird", sagt Aelfric und verdreht die Augen. Bei seiner Clique scheint er viel jugendlicher als bei sich zu Hause.

„Scarlett", sagt er weiter und zeigt übertrieben auf die drei, „das sind unsere lieben Kumpel James", er deutet auf den blonden, der geredet hat, „David", ein braunhaariger Junge, der vermutlich der unattraktivste der Bande ist, da er im Vergleich etwas schmächtig wirkt, „und Cole", er weist auf einen etwas grimmig blickenden Schwarzhaarigen mit sehr kurzem Haar. Cole wirkt fast schon bedrohlich, er lächelt mich aber an, als sein Name genannt wird, was ihn wesentlich harmloser erscheinen lässt.

„Hallo", sage ich und lächle in die Runde.

„Und wie findest du es hier, ist es dir jetzt schon unheimlich?", fragt mich James grinsend.

„Unheimlich?", frage ich verwirrt. Im Augenwinkel sehe ich, dass Aelfric angespannt wird und Raedwulf sich ein Lachen verkneift, als ob James einen guten Witz gemacht hätte.

„Du weißt schon, die Stadt ist klein und liegt im Wald. Und du kannst nicht bestreiten, dass das Anwesen der Grayheads aussieht, als ob es einem Horrorfilm entschlüpft wäre", erklärt mir James und gibt Aelfric einen freundschaftlichen Kick in die Seite.

„Also ich finde es sehr schön", sage ich ehrlich. Aelfric schenkt mir ein warmes Lächeln und die drei Jungs lachen. Raedwulf steht unbeteiligt da.

„Ok Scarlett, ich zeig dir jetzt die Räume, dann musst du nicht mehr von James tyrannisiert werden. Komm mit", sagt Aelfric und legt mir sanft seine Hand auf den Rücken, um mir den Weg zu weisen. Mein Puls beginnt sofort wieder zu rasen und ein warmes Kribbeln breitet sich in mir aus.

Wir gehen durch den Haupteingang und lassen die anderen zurück.

„Das sind unsere besten Freunde hier, man muss sich wohl an ihren Humor gewöhnen. Ich hoffe, dir war die Situation nicht zu unangenehm", meint Aelfric. Ich finde, dass sie nett rüberkommen, wobei sie mir etwas zu selbstsicher auftreten, vor allem James. Sofort muss ich wieder an Veland denken, doch obwohl James sich seinem Aussehen sehr bewusst ist, hat er die Grenze im Gegensatz zu Veland nicht überschritten. Zugegebenermaßen habe ich mich aber nicht wirklich wohl gefühlt, als er mich angeschaut hat wie ein hungriger Tiger.

„Sie scheinen doch sehr nett", antworte ich. Aelfric lächelt belustigt. Er führt mich durch die ganze Uni und zeigt mir die jeweiligen Räume. Sie ist sehr übersichtlich und einheitlich gebaut, was mich beruhigt. Es ist eine ausgesprochen schöne Uni, die einen ganz besonderen Flair ausstrahlt. Ich fühle mich sofort wohl.

„Ich muss jetzt zu alte Sprachen, also muss ich ein Stockwerk höher, nicht wahr?", frage ich Aelfric, um sicherzugehen, dass ich auch wirklich das Konzept des Gebäudes verstanden habe.

„Genau. Ich komme noch mit hoch, ich habe jetzt Mystik und Sagen, das ist ein paar Türen weiter. Dann haben wir also keinen Kurs zusammen."

Aelfric sieht etwas enttäuscht aus. Ich bin aber froh, nicht abgelenkt zu werden, wenn ich in der Vorlesung sitze. Die Themen finde ich wirklich ausgesprochen interessant und ich will möglichst viel lernen. Wir gehen zusammen einen Stock höher zu einem Raum mit der Aufschrift „B2". Vor der Tür bleiben wir kurz stehen und verabschieden uns. Dann gehe ich in den Raum.

Es ist ein großer Kurssaal mit vielen Reihen. Es sind noch nicht so viele Leute da, denn ich bin früh dran. Auch der Professor ist noch nicht anwesend. Als ich mich umschaue, erkenne ich einen blonden Haarschopf. Es ist Kate. Ich zögere kurz, setze mich dann aber zu ihr.

Sie dreht sich um und strahlt mich warmen Blickes an.

„Hey, du hast also die Uni gefunden!"

Ich lache.

„Harte Arbeit! Die ist ja so schwer zu finden."

Kate stimmt in mein Lachen ein. Ich beginne meine Sachen auszupacken.

„Und wie ist es bei den Grayheads so?", fragt mich Kate nach einer Weile etwas schüchtern.

Ich schaue sie prüfend an. Ich will nicht, dass es wieder so wird, wie das letzte Mal, als wir über die Grayheads gesprochen haben. Sie sieht aber nicht so aus, als ob sie gleich wegrennen würde.

„Sie sind zum größten Teil nett", sage ich also.

„Größtenteils?"

„Nun ja, die Kinder sind wirklich süß, und Mylentun scheint ein wahrer Gentleman zu sein. Aelfric schlägt da sehr nach ihm."

„Aber?", fragt Kate, ich glaube, etwas in ihren Augen zu erkennen. Ich kann aber nicht einschätzen, was es ist. Etwa Furcht?

„Nichts aber", leugne ich. Ich kenne Kate noch nicht gut genug, um ihr von Velands Verhalten zu erzählen. „Du scheinst sie ja nicht sonderlich zu mögen."

Kate schaut weg und wird rot.

„Ich glaube, du solltest vorsichtig sein", flüstert sie. Ich starre sie verwirrt an.

„Wie meinst du das?", frage ich, doch bevor sie antworten kann, beginnt eine ältere Frau zu reden. Ich habe gar nicht bemerkt, dass die Professorin eingetreten ist. Wir sind jetzt von einigen Studenten umgeben.

Die Frau stellt sich mit „Mrs. Taylor" vor und beginnt, von der Bedeutung der alten Sprachen, die jetzt nicht mehr gesprochen werden, zu erzählen. Ich schaue Kate noch einmal fordernd an, diese flüstert aber nur ein „Später", und hört dann mit übertriebenem Interesse Mrs. Taylor zu.

Nach der eineinhalb stündigen Vorlesung verlassen wir gemeinsam den Saal.

„Wie fandest du die Vorlesung?", fragt mich Kate.

„Der Inhalt war interessant, die Professorin redet aber sehr monoton", antworte ich etwas enttäuscht.

Wir gehen zu dem Raum, in dem wir Mystik und Sagen haben und warten davor, da darin noch eine Vorlesung abgehalten wird.

„Also, was meintest du vorhin mit deiner Bemerkung?", frage ich Kate ungeduldig. Sie weicht meinem Blick aus.

„Kate, du kannst doch nicht sowas sagen und mich dann im Regen stehen lassen!"

Sie schaut mich an, dann sagt sie zögernd: „Sie... die Grayheads, sie sind... merkwürdig."

„Merkwürdig? Inwiefern?"

Kate weicht wieder meinem Blick aus. Ich packe sie an der Schulter und schaue sie eindringlich an.

„Warum muss ich vorsichtig sein? Kate komm schon, das ist wirklich wichtig für mich, ich wohne bei ihnen!"

Der Kursraum öffnet sich und Studenten strömen hinaus. Ich halte Kate weiter fest. Sie räuspert sich, dann sagt sie: „Ich glaube, sie-"

Plötzlich hält sie inne und starrt hinter mich. Ich fahre herum. Aelfric steht da und lächelt mich an.



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