Das Quidditchspiel [2/2]

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Den folgenden Sonntag vergrub sich Hermine komplett hinter ihren Büchern, die sie sich aus der Bibliothek ausgeliehen hatte. Millicent startete nur einmal einen Versuch, sie aus dem Mädchenschlafsaal herauszulocken, wurde jedoch so barsch abgewiesen, dass sie es sofort aufgab. Pansy hatte ja eine schöne Freundin, die sich dermaßen von Malfoy einspannen ließ. Hermine war nicht klar, was der Slytherin im Sinn hatte. Er legte offenbar Wert darauf, dass er wusste, wie Pansy zu ihm stand, machte selbst aber keine Anstalten, seine Gefühle zu offenbaren. Das war andererseits auch gut so. Hermine konnte nur schlecht mit seinen Blicken umgehen, wenn er sie nicht zornig ansah. Mit seiner Wut kam sie klar, nicht jedoch mit seinem Lächeln.
Beim Abendessen fehlte Zabini. Hermine wunderte sich, doch die anderen wussten entweder Bescheid oder vermissten ihn nicht. Auch am Gryffindortisch gab es leere Plätze. Ron stocherte ein wenig lustlos in seinem Essen herum. Pansy und Harry waren nicht zu sehen.
Die Auflösung erfolgte wenig später. Hermine hatte sich dazu herabgelassen, sich mit den anderen im Gemeinschaftsraum vor dem Kamin zu platzieren. Goyle setzte sich neben sie und fragte schüchtern, ob sie seine Hausaufgaben für Zaubertränke kontrollieren würde.

»Warum fragst du ihn nicht?«, wunderte sich Hermine und deutete mit dem Kopf auf Malfoy, der zwei Sessel weiter saß.

»Er hat keine Lust, meinte, sie wären völlig verkorkst.«

»Gib mal her.« Hermine beugte sich über das Pergament und begann sogleich eifrig zu korrigieren. Dabei erklärte sie Goyle mit leiser Stimme, was er falsch gemacht hatte.
Sie sah nur einmal kurz auf und fühlte Malfoys Blick prüfend auf sich ruhen. Schnell sah sie weg. Gute zehn Minuten später war sie fertig und überreichte einem strahlenden Goyle die Hausaufgaben.

»Vielen Dank Pansy. Weißt du, du bist richtig nett geworden«, sagte der Slytherin und lächelte breit.

»Ach ja?« Hermine war skeptisch.

»Ehrlich, Draco findet das auch.«

Zabini betrat just in dem Moment den Gemeinschaftsraum und zog alle Blicke auf sich. »Ah, da bist du ja, Blaise«, begrüßte ihn Malfoy, wobei er ein wenig verlegen wirkte.

Hermine grinste innerlich. Das erstarb jedoch sofort als der blonde Slytherin fragte: »Wie war's bei Slughorn?«

Hermine hätte sich beinahe vor die Stirn geschlagen. Heute war das Essen des Slug-Clubs gewesen. Das hatte sie völlig vergessen. Als Pansy Parkinson konnte sie ohnehin nicht teilnehmen, es sein denn, Zabini nahm sie mit zum Weihnachtstreffen.
Der fläzte sich gerade neben Malfoy in den zweiten freien Sessel und sah belustigt in die Runde. »Nett war es. Granger hat sich total daneben benommen. Sie hing geradezu an Slughorns Lippen. Egal was er von sich gab, sie kommentierte das immer mit Ahs und Ohs. Ich glaube, der Professor war zum Schluss ziemlich genervt und der kann schon eine Menge Schleim vertragen. Selbst Potter sah so aus, als würde er seiner Freundin am liebsten den Hals umdrehen.«

Alle lachten, nur Hermine sah wütend auf ihre Fingerspitzen. Was fiel der Parkinson ein, sie derart lächerlich zu machen? Sie musste unbedingt an dem nächsten Clubtreffen teilnehmen.

»Was haben Ihre Eltern noch einmal für einen Beruf, Miss Granger?«, ahmte Zabini treffend Slughorns Stimme nach. »Oh Sir, alles, was sie wollen. Suchen Sie sich etwas aus«, piepste er weiter.


Malfoy prustete los.
»Zahnärzte!«, fauchte Hermine. »Sie sind Zahnärzte.«

»Donnerwetter Pansy«, staunte Zabini. »Habe ich das mal erwähnt? Dass du dich daran noch erinnern kannst. Weißt du auch noch, was Zahnärzte so machen?«

»Naja, so genau natürlich nicht, aber ich nehme mal, sie behandeln Zähne.«

»Und warum tun sie das wohl?«, fragte Malfoy mit einem lauernden Unterton in der Stimme.

Hermine räusperte sich. »Muggel kennen keinen Zahnheilungszauber. Sie müssen sich halt anders behelfen, vermute ich mal.«

»Sieh an, du beginnst langsam logische Schlussfolgerungen zu ziehen, oder hast du doch heimlich Muggelkunde belegt?« Malfoys graue Augen bohrten sich in ihre.

Hermine schüttelte den Kopf und kämpfte mit sich, seinem Blick stand zu halten.


Die Verabredung am Montag in der Bibliothek platzte, weil Pansy nicht erschien, auch am folgenden Montag war sie nicht da. Nun gut, Hermine hatte sich so weit es ging mit ihrer jetzigen Situation arrangiert, sich brauchte Pansys Tipps nicht unbedingt. Im Grunde kam sie mit den Slytherins gut aus, nur Malfoy ging sie möglichst aus dem Weg. Das war derzeit auch nicht weiter schwer, da sie viel lernte und er beinahe auf dem Quidditchfeld zu übernachten schien. Er wollte das Auftaktspiel gegen Gryffindor unbedingt gewinnen. Seine letzte Chance, Harry endlich einmal zu schlagen.

Hermine freute sich, als der Samstag schließlich angebrochen war. Jetzt konnte sie die ganze Zeit über Ron, Harry und Ginny beobachten, ohne dass es jemandem auffallen würde.
Nach dem Frühstück gingen sie alle hinunter zum Spielfeld. Hermine ließ sich von dem Strom der Slytherins auf die Tribüne treiben und stellte sich neben Zabini ziemlich in die Mitte. Die beiden Mannschaften stellten sich einander gegenüber auf. Auf Madam Hoochs Befehl hin, gaben sich die Kapitäne die Hand. Die Spieler bestiegen ihre Besen und stießen sich vom Boden ab. Einen Augenblick später, warf die Schiedsrichterin den Quaffel hoch in die Luft.
Sogleich schnappte sich Ginny ihn und sauste auf das gegnerische Tor zu. Doch Malfoy hatte nicht zuviel versprochen. Der Hüter der Slytherins war ausgezeichnet. Locker fing er den Ball ab und warf ihn dem eigenen Jäger zu.
Die beiden Sucher waren weit nach oben gestiegen und betrachteten das Geschehen. Zu einem so frühen Zeitpunkt zeigte sich der Schnatz nur selten, dennoch blickten sie sich wachsam um.
Hermines Augen saugten sich an Ron fest. Er machte einen stolzen Eindruck in seiner Hüteruniform. Konzentriert beobachtete er, wie sich der Jäger der Slytherins mit dem Quaffel den Torringen näherte.

»Slytherin scheint Gryffindor angreifen zu wollen«, tönte Luna Lovegoods verträumte Stimme über das Spielfeld. Seit dem Weggang von Lee Jordan kommentierte sie die Quidditchspiele. »Ronald Weasley hat jedoch aufgepasst und der Quaffel prallt an seinem Helm ab.«

Dummerweise fing der Slytherin ihn sogleich wieder auf und noch ehe Ron reagieren konnte, hatte er ihn durch den linken Torring gefeuert.

»Zehn Punkte für Slytherin«, seufzte Luna in das Sprachrohr.

Hermine nahm den kleinen Feldstecher zur Hand. Während einige ihrer Hauskollegen »Weasley ist unser King« anstimmten, suchte sie die Tribüne der Gryffindors nach ihrem eigenen Gesicht ab. Pansy stand da und sah nicht glücklich aus, eingeklemmt zwischen Hagrid und Neville. Doch zumindest sang sie das Spottlied auf Ron nicht mit, dass mittlerweile von der Tribüne der Slytherin hinüberschallen musste.
Hermine sah weiter nach oben. Sie entdeckte Harry, der über dem Banner »Potter vor - für Gryffindor« kreiste. Ein lautes Ping lenkte ihre Aufmerksamkeit erneut auf das Spiel. Ginny hatte es geschafft den Hüter der Slytherins zu täuschen, und ein Tor geschossen. Nun stand es zehn zu zehn. Das Spiel zog sich in die Länge. Gryffindor erhielt einen Freistoß, weil ein Treiber der Slytherins einen Klatscher gezielt auf Ron gelenkt hatte. Der Hüter wäre beinahe vom Besen gestürzt und Hermine hatte entsetzt aufgeschrien. Zabini deutete es offenbar als Reaktion auf Madam Hoochs Ruf nach einem Freistoß, der beinahe zeitgleich erfolgte.
Plötzlich schoss Harry nach unten. Malfoy verharrte zwar auf seiner Position, reckte aber hektisch den Hals. Der Gryffindorsucher sauste auf Faber zu, einem etwas brutal wirkenden Slytherin, der sich, ohne einen Klatscher vor sich zu haben, mit erhobenem Schlagholz, Ginny in den Weg gestellt hatte. Direkt vor dem Treiber bremste Harry ab und rief ihm etwas zu, das Hermine nicht verstehen konnte. Ginny nutzte die Situation und verwandelte den Freistoß.
Mit dem Glas vor Augen suchte Hermine Malfoys Gesicht. Er sah verkniffen auf die Spieler, griff jedoch nicht ein. Harry wurde von Madam Hooch zurechtgewiesen und machte sich wieder auf den Weg nach oben. Hermine war sicher, Faber würde sich ab jetzt mit derartigen Aktionen zurückhalten.
Die Gryffindors gaben ihr Bestes, doch der Hüter von Slytherin machte ihnen das Leben schwer. Nach zwei Stunden führten die Grünen mit einhundertachtzig zu vierzig. Harry musste unbedingt schnellstens den Schnatz fangen, wollte Gryffindor noch gewinnen. Malfoy dagegen hoffte bestimmt darauf, dass das Spiel noch etwas andauern würde. Zweimal war der kleine goldene Ball gesichtet worden, doch immer wieder schnell verschwunden.
Plötzlich lief ein Stöhnen durch die Reihen der Slytherins. Hermine folgte der Blickrichtung und hatte den geflügelten Ball direkt vor der Linse. Hastig setzte sie das Glas ab. Der Schnatz schwebte mitten über der Tribüne der Schlangen, nur wenige Meter von Hermine entfernt.
Die beiden Sucher hatten ihn auch entdeckt. Harry hatte die günstigere Ausgangsposition und schoss geradewegs auf die Slytherins zu. Malfoy jagte hinterher, aber Hermine glaubte zu wissen, dass er wieder einmal das Nachsehen haben würde. Harry hatte den Schnatz schon so gut wie gefangen und Gryffindor würde doch noch gewinnen.

Aufgeregt hüpfte Hermine auf und ab, während die anderen wie erstarrt waren und beobachteten, wie sich die rechte Hand des rotgekleideten Suchers vom Besenstiel löste und die gespreizten Finger den Ball gleich umgreifen würden.
Hermine klatschte begeistert in die Hände. »Los Harry, schnapp ihn dir!«, schrie sie und riss die Faust in die Höhe.

Sie konnte seine grünen Augen hinter den Brillengläsern erkennen, erstaunt aufgerissen und sie anstarrend, während seine Hand ins Leere griff. Malfoy war jetzt ebenfalls da und sah sie mit einer Mischung aus Wut und Entsetzen an. Harry fing sich als erster, löste auch die linke Hand vom Besenstiel und griff sich den Schnatz, als der gerade unter seinem Besen abtauchen wollte.
Ehe jemand zur Besinnung kam und Hermine aufhalten konnte, bahnte sie sich brüsk den Weg durch die versteinert wirkende Menge. Was hatte sie nur getan? Wie sollte sie den Slytherins ihr Verhalten erklären? Malfoy würde sie umbringen, jedenfalls sah er so aus. Weshalb eigentlich? Er hätte den Schnatz doch sowieso nicht gefangen. Sowieso nicht gefangen. Diese drei Worte schallten hartnäckig durch Hermines Kopf. Daraus musste sich doch etwas machen lassen.
Sie lief in den Gemeinschaftsraum und warf sich in einen Sessel. Hermine glaubte gerade, eine plausible Erklärung für ihren Fauxpas gefunden zu haben, als die ersten Slytherins hereinkamen. Sie sahen geknickt aus und würdigten sie keines Blickes. Blaise Zabini setzte sich ein Stück von ihr entfernt hin und starrte in das knisternde Feuer, das bei den Slytherins Tag und Nacht zu brennen schien. Niemand sprach.
Einige Zeit später öffnete sich der Zugang erneut und die Spieler, die sich mittlerweile umgezogen hatten, betraten den Raum. Hermine rutschte tiefer in ihren Sessel. Plötzlich war sie sich nicht mehr sicher, ob es richtig gewesen war, hier auf Malfoy zu warten.

»Wo ist sie?«, fragte seine Stimme sofort.

Hermine schluckte und erhob sich. Sie reckte das Kinn vor und sagte betont forsch: »Was willst du?«

»Eine Erklärung, und zwar eine gute«, antwortete er und trat auf sie zu.

»Ich habe dir bloß helfen wollen.«

»Helfen?«, brüllte er plötzlich und Hermine zuckte erschrocken zusammen. Malfoy packte sie grob bei den Schultern und drückte sie hart an die Kerkerwand. »Harry, schnapp ihn dir«, äffte er sie nach und dabei sahen seine Augen fast weiß aus.

Hermine begann zu zittern. So wütend hatte er sie noch nie angesehen, nicht einmal als Hermine Granger. Das Kaminfeuer loderte auf und spuckte Flammen auf den grünen Teppich.

»Lass das Draco«, sagte Zabini, »oder willst du unseren Gemeinschaftsraum abfackeln?«

Malfoy antwortete nicht, ließ Hermine aber los. Sogleich fühlte sie sich wieder mutiger.
»Malfoy«, schnaufte sie. »Du bist ein solcher Riesenar... mleuchter. Potter war durch meinen Zuruf so verwirrt, dass er den Schnatz verpasst hatte. Anstatt die Chance zu nutzen, schaust du genauso blöd aus der Wäsche und lässt dir wieder einmal den Ball vor der Nase wegschnappen. Slytherin hätte gewinnen können, doch du hast es vermasselt. Wenigstens in der Beziehung auf dich Verlass.« Hermine stieß Malfoy mit beiden Händen vor die Brust und sauste aus dem Kerker.


Zaubertrank des SchicksalsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt