Der Unterricht [1/2]

2.9K 175 6
                                    



Der Unterricht



Zornig lief Hermine aus der großen Halle. Instinktiv bog sie zum Gryffindorturm ab, bemerkte ihren Fehler jedoch, und machte sich auf den Weg zu den Kerkern. Als sie ihren Schlafsaal betreten hatte, packte sie die Schultasche für den nächsten Tag und stellte sie neben ihrem Bett ab. Ein Blick auf die Uhr zeigte ihr, dass es an der Zeit war zu gehen. Auf dem Weg zu Snape begegneten ihr einige Slytherins, doch Hermine eilte grußlos an ihnen vorbei.
Sie erreichte das Arbeitszimmer ihres gegenwärtigen Hauslehrers zwei Minuten vor der Zeit und wartete. Pansy rauschte um die Ecke. Sofort fiel das Mädchen über Hermine her: »Was bildest du dir dabei ein, Draco so runterzuputzen?«

»Er ist arrogant, widerlich und behandelt dich wie der letzte Dreck«, antwortete Hermine und wurde sich bewusst, dass dies gar nicht so stimmte.

»Und dein Ron ist dermaßen anhänglich, dass man ihn sich kaum vom Hals halten kann«, entgegnete Pansy.
Die Tür flog auf. »Würden die beiden Damen jetzt bitte eintreten, ehe die ganze Schule Ihren Streit hört?« Snape schaute zornig von einer zur anderen.

Zu Hermines großer Erleichterung war Professor McGonagall ebenfalls anwesend. Sie schaute ihre ehemalige Hausschülerin mitleidig an. »Wir haben schlechte Nachrichten für Sie.«

Abwechselnd erklärten beide Lehrkräfte, dass es nicht einfach sein würde, den Rollentausch rückgängig zu machen. »Miss Granger hat einen nahezu perfekten Trank gebraut, bis Miss Parkinson die Bohnen hineinwarf«, erläuterte Snape. »Entsprechend stark ist das Resultat. Der Anteil des Bohnensaftes bestimmt die Dauer der Wirkung. Da nun mehr als nur der Saft hinzugefügt wurde, befürchten wir, dass dies das Ergebnis noch verstärken wird. Wir arbeiten mit Hochdruck an der Lösung, aber es wird noch eine ganze Weile dauern.«

»Und jetzt?«, fragte Pansy resigniert.

»Jede übernimmt die Rolle der anderen. Nach der Rückverwandlung werden die erhaltenen Hauspunkte natürlich getauscht, ebenso wie die Noten. Es ist also weiterhin in Ihrem Interesse, sich anzustrengen«, sagte Professor McGonagall.

»Am besten, Sie geben sich untereinander Ratschläge, wie Sie mit den Freunden der jeweils anderen umgehen sollten«, mischte sich Professor Snape ein.

»Granger soll bloß die Finger von Draco lassen«, fuhr Pansy auf.

»Da sehe ich keine Gefahr«, sagte Snape kühl.

»Was ist mit den Unterrichtsfächern, die ich belegt habe, und Parkinson nicht?«, fragte Hermine.

»Ich werde Ihnen die Unterlagen zukommen lassen. Den Stoff müssen Sie außerhalb der Stunden nacharbeiten«, versprach Professor McGonagall.

»Kann ich die Kurse nicht noch nachbelegen?«, bettelte Hermine.

»Gute Idee«, jammerte Pansy. »Alte Runen, Arithmantik, also wirklich und Muggelkunde, also das geht ja gar nicht.«
Professor McGonagall tauschte mit Snape einen langen Blick, dann sagte dieser: »In Ordnung, das müsste sich regeln lassen. Allerdings wird die echte Miss Parkinson weiterhin Muggelkunde besuchen müssen, da eine Slytherin, auch wenn es in Wahrheit eine Gryffindor ist, wohl kaum Muggelkunde als Fach wählen würde.«
Pansy stöhnte.

»Dafür muss Miss Granger in den Wahrsageunterricht«, fuhr der Professor mit einem hämischen Unterton fort.

»Was?«, sprudelte es aus Hermine heraus. »Aber darin bin ich eine totale Niete.«

»Eben«, antwortete Snape gelassen. »Wie will die echte Miss Parkinson denn den Gryffindors erklären, dass sie sich anders entschieden hat und plötzlich unbedingt in die Zukunft blicken will?«

»Wehe du versaust mir bei Professor Trelawny die Note«, rief Pansy.

»Pass du lieber in Muggelkunde auf«, konterte Hermine.

»Meine Damen«, versuchte Professor McGonagall die beiden zu beruhigen. »Ich schlage vor, Sie treffen sich wöchentlich in der Bibliothek und tauschen die wichtigsten Informationen aus.«

Nachdem noch einige Einzelheiten besprochen worden waren und Pansy Hermine versichert hatte, sich vor Ron am besten in der Bibliothek zu verstecken, ging jede in ihren neuen Gemeinschaftsraum.
Dort traf Hermine beinahe der Schlag. Malfoy schrieb eifrig ihre Hausaufgaben ab.

»Sag mal, was fällt dir denn ein?«, brauste Hermine sogleich wieder auf. »Wie kommst du überhaupt an meine Tasche? Mädchenschlafsäle sind für Jungs unzugänglich.« Sie schlug sich vor die Stirn. »Bulstrode, natürlich.«
Millicent, die sich in einem Sessel verkrochen hatte, zog unwillkürlich den Kopf ein.
»Wieso hast du sie ihm gegeben?«

»Als wenn du Nein sagen könntest Pansy, wenn Draco etwas von dir verlangt.«

»Gib das her, Malfoy!«, rief Hermine statt einer Antwort und entriss ihm ihre Pergamente.

Dem Slytherin verschlug es einen Augenblick die Sprache. »Draco«, sagte er sichtlich verwirrt. »Mein Vorname ist Draco.«

»Weiß ich.« Die Gryffindor raffte ihre Sachen zusammen und einen Moment später schlug die Tür des Schlafsaales hinter ihr ins Schloss.


Als Hermine am nächsten Morgen die Augen aufschlug, starrte sie erst einmal auf den grünen Betthimmel über ihr. Dann kam schlagartig die Erinnerung zurück. Sie stöhnte leise. Mühsam rappelte sie sich hoch und machte sich für das Frühstück fertig. Pansy hatte einen schönen Körper, ein wenig mager vielleicht, dennoch fraulich gerundet. Was Hermine jedes Mal ein wenig abschreckte, waren die harten Gesichtszüge der Slytherin, wenn sie in den Spiegel schaute. Um den Mund hatten sich bereits in ihren jungen Jahren kleine Falten eingegraben. Kam wahrscheinlich daher, dass die echte Pansy immer ein wenig die Mundwinkel hängen ließ. Hermine frisierte sich rasch das schwarze schulterlange Haar. Feine Sache, so Spaghettilocken. Die hingen immer runter. Ob Pansy wohl gerade verzweifelt mit der Bürste kämpfte?

»Schön, du scheinst ja heute bessere Laune zu haben, und das, obwohl es noch so früh am Morgen ist.« Millicents verschlafenes feistes Gesicht tauchte hinter Hermine im Spiegel auf.

»Guten Morgen Milli«, sagte Hermine und zwang sich zu einem kleinen Lächeln. »Ich gehe schon mal vor zum Frühstück.« Wenig später schnappte sich Hermine die Schultasche und verließ den Kerker.

Als sie die große Halle betrat, verhielt sie automatisch den Schritt. Aus ihrem Jahrgang saßen lediglich Malfoy und Zabini am Tisch. Vielleicht hätte sie doch besser auf Bulstrode warten sollen. Für einen Rückzug war es jedoch bereits zu spät, da Zabini sie entdeckte und ihr freundlich zuwinkte.
Hermine schlenderte zu ihm hinüber und ließ sich neben Malfoy nieder. »Guten Morgen«, murmelte sie.

»Nanu, so früh auf und schon ausgeschlafen aussehen. Wie hast du das gemacht, Pansy?«, fragte Zabini.

»Ich, ähm wollte um Verzeihung bitten. Die Sache mit Granger ist mir gestern ziemlich auf den Magen geschlagen. Und als sie dich auf dem Quidditchfeld noch so komisch angeguckt hat«, zwang sich Hermine mit Blick auf Malfoy fortzufahren, »sind mir die Pferde durchgegangen.«

»Als Reaktion auf einen Eifersuchtsanfall hätte ich eher erwartet, du ziehst Granger die Zotteln lang, anstatt über mich herzufallen«, sagte Malfoy, lächelte dabei aber ein wenig.

»Du hast doch selbst gesagt, ich soll mich nicht mit ihr anlegen, weil du es mir nicht zutraust.«

Jetzt grinste der Slytherin tatsächlich. »Es freut mich, dass du meine Warnungen beherzigst. Obwohl nach deinem gestrigen Verhalten glaube ich fast, du würdest auch mit Granger fertig werden.«

Hermine starrte ihn wortlos an. Er sah tatsächlich nett aus, wenn seine Mundwinkel sich nach oben kräuselten. Sie senkte den Blick auf ihren Teller und begann das Rührei in sich hineinzuschaufeln.

»Verwandlung, Zauberkunst und Wahrsagen, wenigsten bleiben uns heute die Gryffindors erspart«, seufzte Zabini theatralisch. »Na Pansy, sagst du Draco heute wieder seine Zukunft voraus?«

»Hm, mal sehen. Was hatten wir denn noch nicht? Vielleicht sollte ich ihn mal in der Gosse enden lassen.« An den Gesichtern der beiden Slytherins konnte sie ablesen, dass Pansy wohl nie solche Witze riss. Bissige Bemerkungen schien sie nur über andere Häuser und deren Mitglieder zu machen. »Tut mir Leid«, entschuldigte sie sich sofort. »War ein blöder Scherz.«

»Pansy, du bist doch sonst absolut humorlos. Du verehrst Professor Trelawny und jetzt machst du dich über ihren Unterricht lustig?«, fragte Zabini erstaunt.

Hermine warf Malfoy einen vorsichtigen Blick zu, doch der schien sich ganz auf sein Frühstück zu konzentrieren. Zu Hermines Erleichterung kamen Bulstrode und Goyle hereingepoltert und stürzten sich sogleich auf das Essen. Dadurch war Zabini abgelenkt und erwartete keine weitere Antwort.

In Verwandlung überreichte Professor McGonagall Hermine den neuen Stundenplan. »Sehr lobenswert von Ihnen, Miss Parkinson. Ich wünsche Ihnen bei Ihren neuen Fächern viel Erfolg.«

»Wieso neuer Plan und weshalb gibt sie ihn dir und nicht unser Hauslehrer, Professor Snape?«, zischte Millicent ihr zu.

Da hatten sie wohl alle nicht aufgepasst. Hermine murmelte ein: »Ich weiß nicht«, und steckte den Plan ein.
In Zauberkunst überraschte sie alle, einschließlich Professor Flitwick. Der Lehrer hatte der Klasse die Aufgabe gestellt, einen kleinen Obstbaum zu zaubern, in dem ein Vogel sang. Hermine schaffte es auf Anhieb, mit Pansys Zauberstab den Auftrag zu erfüllen. Kein Wunder, schließlich hatte sie ihn schon in der Stunde mit den Gryffindors geübt. Allerdings hatte der Vogel stumm auf seinem Ast gesessen, während er jetzt fröhlich vor sich hin zwitscherte.
Professor Flitwick klatschte in die Hände. »Ausgezeichnet Miss Parkinson, zehn Punkte für Slytherin. Noch nicht einmal Miss Granger ist der Zauber so perfekt gelungen.«

Hermine spürte Malfoys Blick auf sich ruhen und erwiderte ihn so hochmütig, wie sie konnte. Ihr triumphales Gefühl verflog jedoch rasch in der nächsten Stunde. Verzweifelt schaute sie auf den Kaffeesatz in ihrer Mokkatasse und versuchte ein Muster darin zu erkennen. Malfoy saß ihr an dem runden kleinen Zweiertisch gegenüber, hatte den Kopf in die Hand gestützt und sah sie einfach nur an. Hermine wurde nervös. Professor Trelawny ging durch die Reihen und wollte von den Schülern ihre Vermutungen hören, was die Zukunft ihres Gegenübers betraf.
Hermine blickte hoch in die hellgrauen Augen vor ihr. »Mensch M... Draco, jetzt hilf mir doch mal.«

»Wieso setzt du immer ein »hm« vor meinen Namen? Findest du mich zum Anbeißen?«

»Ich habe dich zum Fressen gern«, zischte die Gryffindor und klang nicht überzeugt.

»Gib mal her«, sagte der Slytherin und griff nach der kleinen Tasse. Dabei streiften seine Fingerkuppen über Hermines Hand. Beinahe hätte sie das Tässchen fallen lassen.

Konzentriert sah Malfoy hinein. »Ich kann keine Brücke erkennen.«

»Brücke?«

»Du wolltest mich doch heute Morgen noch in der Gosse enden lassen. Mittellose Zauberer schlafen oft unter Brücken, habe ich gehört«, klärte er sie ungefragt auf.

Hermine öffnete den Mund, doch ihr fiel nichts ein und schloss ihn sogleich wieder.

Er stellte die Tasse wieder vor ihr ab und zuckte die Achseln. »Denk dir was aus. Nur trage nicht zu dick auf.«

»Nun Miss Parkinson, was sehen Sie diesmal?«, fragte Professor Trelawny und kam auf ihren Tisch zu.

Hermine starrte angestrengt auf den Kaffeesatz. »Ich sehe eine Frau«, sagte sie langsam.

Malfoy stöhnte leise und die Lehrerin verzog das Gesicht. »Ja, ja, eine schöne Schwarzhaarige, wie jedes Mal.«

»Nein«, sagte Hermine schnell. »Sie ist blond, es ist seine Mutter.«

»Weiter.«

»Sie ... sie umarmt Mr. Malfoy und gratuliert ihm. Er wurde gerade zum Zaubereiminister ernannt.«

»Nun, das ist immerhin mal etwas Neues. Und Sie sind sicher, dass sie keine dunkelhaarige Frau an seiner Seite sehen?«

Hermine nickte. Sie erinnerte sich an die Todesvorhersagen, mit denen die Wahrsagerin Harry immer zur Verzweiflung getrieben hatte. »Allerdings gibt es da eine Gefahr«, fuhr sie mit bebenden Lippen fort.

»Ja?« Professor Trelawny kam noch näher und ihre Augen, die hinter den Brillengläsern riesig wirkten, fixierten Hermine. Einer ihrer Schals rutschte von ihrer Schulter und das Ende wischte über den Tisch.

»Harry Potter will ihm den Titel streitig machen. Es wird zum Kampf kommen, doch ich kann nicht sagen, wie er enden wird«, erfand die Gryffindor und bemühte sich, dem durchdringenden Blick stand zu halten.

»Erstaunlich«, sagte die Lehrerin. »Ihre Aura, meine Liebe, hat sich völlig verändert und somit auch ihre Weissagungen. Wir werden noch einiges von Ihnen zu erwarten haben. Jetzt Sie, Mr. Malfoy, was sehen Sie?«

Er hob kurz die Augen und schaute dann in die Tasse. »Ich sehe Miss Parkinson, wie sie sich mit einer Hexe duelliert. Sie gewinnt und ich drücke sie ganz fest an mich.«

»Hochinteressant. Kaum sieht Miss Parkinson sich selbst nicht mehr in Ihrer Zukunft, Mr. Malfoy, erblicken Sie sich der ihren.«

Hermine hatte einen flüchtigen Moment den Eindruck, als würde ein zarter rosafarbener Hauch das blasse Gesicht des Slytherins überziehen. Sie blinzelte, doch dann war der Anschein verschwunden.

Zaubertrank des SchicksalsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt