In der Winkelgasse [1/2]

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In der Winkelgasse

  

Hermine lehnte sich von innen gegen das Holz. Sie hörte nach einem Moment, wie sich Dracos Schritte entfernten und wenig später einen Knall, als seine Zimmertür ins Schloss flog.
Tränen brannten in ihren Augen. Was war nur in sie gefahren, ihn zu küssen? Und vor allem, weshalb tat es so unglaublich weh, als er sie Pansy genannt hatte? Natürlich hielt er Hermine für seine Hausgenossin, sonst würde er sie noch nicht einmal anfassen, geschweige denn, sich so leidenschaftlich an sie drücken. Er begehrte Pansy, nicht sie. Sie durfte seinem Werben nicht nachgeben. Es war zu gefährlich. Hermine zog sich aus und warf sich aufs Bett. Es dauerte lange, bis sie in einen unruhigen Schlaf fiel.
Am nächsten Morgen weckte sie ein zaghaftes Klopfen an der Tür. Hermine zog die Bettdecke bis ans Kinn und rief: »Herein!«

Doch nicht Draco, sondern die kleine Elfe, die sie begrüßt hatte, erschien im Türrahmen. Sogleich kramte Hermine in ihrem Gedächtnis nach dem Namen.
»Die Herrschaften sind bereits zum Frühstück versammelt und warten auf Sie, Miss Parkinson.«

»Danke, Corky. Ich bin gleich da.«

In Windeseile flog Hermine aus dem Bett, spritzte sich ein wenig kaltes Wasser ins Gesicht, zog sich an und betrat tatsächlich zehn Minuten später den Salon.
»Unglaublich, Pansy«, empfing sie Lucius Malfoy, »Corky hat dich doch eben erst geweckt. So schnell schafft das noch nicht einmal Draco mit seiner Katzenwäsche.«

Hermine lächelte scheu und blickte zu seinem Sohn hin, der sich gerade Rührei auf den Teller häufte. Draco ignorierte sie.

»Ich denke, ihr zwei solltet heute zu Madame Chantal gehen. Dort werdet ihr bestimmt ein passendes Kleid für Pansy finden«, sagte Narzissa und schaute abwechselnd von Draco zu Hermine. Offenbar fiel ihr auf, dass zwischen ihnen etwas vorgefallen war.

»Ich bin mir nicht sicher, ob sie wirklich Lust hat, mit mir dorthin zu gehen. Vielleicht solltest du ihr lieber beistehen, Mutter«, brummte Draco.

»Ach was, Schatz. Das Kleid soll ja in erster Linie dir gefallen. Außerdem bin ich nicht so ganz auf dem Laufenden, was junge Frauen heutzutage anziehen.«

Selbst Hermine fiel auf, dass die Ausrede eher schwach war. In einem Modegeschäft würden sie natürlich explizit beraten werden. Sie beeilte sich zu sagen: »Ich würde gerne mit dir einkaufen, Draco. Du hast einen guten Geschmack und ich weiß, dass ich mich auf dein Urteil jederzeit verlassen kann.« In dem Moment, als sie es aussprach erkannte Hermine, dass das die Wahrheit war.

Draco hob den Kopf und sah sie an. Ein Lächeln blitzte kaum wahrnehmbar in seinem Gesicht auf. Dann nickte er.
Während der restlichen Zeit des Frühstücks, erzählten Narzissa und Lucius abwechselnd, welche einflussreichen Leute den Ball besuchen würden. Außer von Kingsley Shacklebold, dem Zaubereiminister, hatte Hermine noch von keinem gehört.
Nach dem Frühstück zogen sich Draco und Hermine ihre Mäntel an und disapparierten. Wenige Augenblicke später standen sie vor dem Tropfenden Kessel. Hermine traute sich nicht zu fragen, wo der Laden dieser Französin war, wenn es sich bei dieser überhaupt um eine solche handelte.
Nachdem sie durch die geöffnete Mauer im Hinterhof hindurchgetreten waren, zupfte Hermine Draco am Ärmel. Sie hatte in Pansys Koffer einen kleinen Schlüssel mit einer Nummer darauf gefunden. Er musste zu einem Schließfach in Gringotts gehören. Sie hatte zwar ein schlechtes Gewissen dabei, deren Bankfach zu öffnen, aber wenn Pansy das Kleid nicht gefiel, würde Hermine ihr den Betrag ersetzen. »Lass uns erst zur Bank gehen«, sagte sie deshalb.
»Ist schon erledigt«, antwortete Draco. »Meine Mutter hat bereits Madame Chantal kontaktiert, unseren Besuch angekündigt und alles weitere in die Wege geleitet.«

Hermine stöhnte. »Warum tut sie das? Ich will das nicht.«

»Weil sie dich mag. Alle mögen dich, nur du willst nichts von uns wissen«, sagte er bitter.

»Das stimmt nicht. Ich finde euch auch nett. Ganz besonders dich«, setzte sie leiser werdend hinzu.

Draco blickte ernst auf sie hinunter. »Ich verstehe dich nicht mehr. Launisch warst du schon immer. Aber die Show, die du jetzt abziehst, schlägt dem Fass den Boden aus. Du ermunterst mich, nur um mich einen Moment später umso härter von dir zu stoßen. Ich verkrafte das nicht mehr. Es ist, als würdest du mit dir selbst um deine Gefühle für mich kämpfen.«

»Besser hätte ich es nicht ausdrücken können. Ich will mich nicht in dich verlieben, Draco. Es steht etwas zwischen uns, das unüberwindlich ist. Uns zu lieben würde nur Schmerz mit sich bringen«, sagte Hermine tonlos.

Einen langen Moment sah er sie an, dann nickte er. »Ich verstehe. Aber ich bin in der Lage das Problem zu lösen, auch wenn es hart werden wird.«

Hermine schüttelte den Kopf. Egal an was er dachte, es war keinesfalls das Richtige. Doch es verschaffte ihr einen weiteren Aufschub.
»Vertrau mir, es wird mir gelingen, meine Eltern zu überzeugen. Du bist für mich der wichtigste Mensch auf der Welt und ich habe es satt, immer nur von dir zu träumen«, fuhr er eindringlich fort.

»Hast du letzte Nacht?«, fragte Hermine schelmisch.

Draco wurde tatsächlich rot. »Hmm«, nuschelte er, »ziemlich feucht sogar.«

Jetzt war es an Hermine, die Farbe zu wechseln. Instinktiv lehnte sie ihren Kopf an seine Schulter. Sogleich legte er den Arm um sie und drückte sie an sich.

»Jetzt lass uns gehen, sonst stehen wir morgen noch hier und haben immer noch kein Kleid für dich.«

Sie lösten sich von einander und schritten die Winkelgasse entlang. Seit Voldemorts Sturz war sie wieder belebt wie früher. Ihr Weg führte sie vorbei an Eeylops Eulenkaufhaus, Ollivanders, dem Zauberstabladen, und natürlich an Weasleys Zauberhafte Zauberscherze. Hermine war schwer in Versuchung, das Geschäft zu betreten, doch Pansy Parkinson oder Draco Malfoy hätten wohl freiwillig nie einen Fuß hineingesetzt.
Pansy! Sie hasste diesen Namen, besonders wenn Draco ihn aussprach. Was bedeutete das? Je länger sie im Körper der Slytherin steckte, desto mehr verabscheute sie ihn, anstatt sich immer mehr in ihre Rolle hineinzufinden.
Mittlerweile befanden sie sich in der Verlängerung der Winkelgasse, einem Teil Londons, in dem Hermine noch nie gewesen war. Die Geschäfte hier grenzten sich von den übrigen ab. Sie wirkten eher wie die gehobenen Einkaufsmeilen, die in jeder Großstadt zu finden waren. Die angebotene Bekleidung war exquisit und extrem teuer. Jedenfalls ging Hermine davon aus, da nirgendwo ein Preisschild in den Schaufenstern zu sehen war.
»Wir sind da«, sagte Draco und hielt vor einem weißen, zweistöckigen Gebäude an. Über dem Eingang war in goldener Schrift zu lesen: Chez Madame Chantal. Als sie den Laden betraten, kamen sogleich zwei elegant gekleidete Verkäuferinnen auf sie zu. Während die eine ihnen sofort die Mäntel abnahm und damit verschwand, lächelte die andere Draco verführerisch an. »Mr. Malfoy, wir haben Sie bereits erwartet. Wenn Sie und Ihre Begleitung mir bitte folgen wollen.«
Für Hermines Geschmack war die junge Dame ein wenig zu zuvorkommend. Grummelnd folgte sie den beiden die breit geschwungene Treppe ins Obergeschoss hinauf. Erstaunt blieb sie stehen. Sie befand sich in einem Raum, der mit einem Laufsteg eingerichtet war. Links und rechts davon standen bequem aussehende Sessel. An jedem war eine kleine Ablage befestigt, auf der ein Blatt Pergament lag über dem eine Feder schwebte.
Hermine konnte weder Umkleidekabinen, noch überhaupt irgendwelche Kleidung entdecken. Draco ging zielstrebig auf einen der Sessel zu und setzte sich hinein. Er lächelte Hermine an und klopfte auf den freien neben sich. Der Vorhang öffnete sich seitlich und eine ältere, schlanke Dame, ganz in altrosa gekleidet, kam herbei.

Sogleich sprang Draco auf, ergriff die dargebotene beringte Hand und beugte sich darüber. »Enchantez Madame«, sagte er.
Madame Chantal zeigte ihre ebenmäßigen Zähne und wandte sich dann an Hermine. Auch ihr reichte sie die Hand und ließ prüfende ihre Blicke über sie gleiten. »Eh bien, isch bin sischer, wir werden etwas Geeignetes für die junge Dame finden. Christine, sorgen Sie bitte für die Getränke«, verlangte sie mit starkem französischen Akzent.
Die Verkäuferin lächelte. »Was darf ich Ihnen bringen?«

Draco orderte Kaffee und Hermine schloss sich ihm an. Während die Angestellte verschwand, setzte sich Draco erneut und unterhielt sich leise mit der Geschäftsinhaberin, die auf seiner anderen Seite Platz genommen hatte. Hermine spitzte die Ohren, verstand aber kein Wort. Madame Chantals Augen wanderten immer wieder zu ihr und von Zeit zu Zeit nickte sie zustimmend in Dracos Richtung.
Christine erschien mit einem Tablett, das vor ihr herschwebte, auf dem eine Kanne, zwei Tassen, Milch und Zucker standen. Nachdem sie den Kunden eingeschenkt hatte, beugte sie sich zu Draco hinunter und sagte halblaut: »Darf ich nach Ihrem Limit fragen, Sir?«

Madame Chantal ließ ein unmutiges Räuspern ertönen, während Draco die Verkäuferin mit dem Hermine so bekannten hochmütigen Malfoyausdruck ansah. »Es gibt kein Limit, Christine.«

»Danke, wir brauchen Sie nischt mehr«, sagte Madame Chantal schneidend.

Obwohl Hermine eine Spur von Mitleid verspürte, war sie froh, dass die junge Frau gehen musste. Die würde später sicherlich noch einiges von ihrer Chefin zu hören bekommen. Hermines Aufmerksamkeit wurde jedoch sogleich auf den Vorhang gelenkt, der sich öffnete und ein Modell in einem roten Abendkleid die Bühne betrat.
Draco beugte sich zu Hermine hinüber. »Sieh dir die Kleider, die Schuhe und die Accessoires gut an. Was dir gefällt, lässt du auf das Pergament schreiben.«

Jetzt erst bemerkte Hermine, dass über dem Kopf der Frau eine goldene Eins aufleuchtete. Sie sah sich eine nach der anderen an und nach bestimmt zwanzig Kleidern schwirrte ihr der Kopf. Notiert hatte sie gar nichts. Ein Seitenblick auf Draco zeigte ihr, sein Pergament war voll geschrieben. Eben flüsterte er der Feder etwas zu und diese strich eine vorherige Auswahl wieder durch.
Nachdem auch das letzte Kleid vorgeführt war, fragte Draco: »Nun Pansy, welches gefällt dir am besten?«

»Ich weiß nicht. Ich fand sie alle toll, bis vielleicht auf das himmelblaue mit den vielen Rüschen.«

Draco lachte leise. Er betrachtete eingehend seine Notizen, die lediglich aus Großbuchstaben und Ziffern bestanden. Dann drehte er sich Madame Chantal zu. »Ich würde gerne noch einmal die Kleider fünf, dreizehn und einundzwanzig sehen. Dazu die Schuhe von drei, acht und siebzehn, die Handtaschen von elf und fünfzehn und die Gürtel von zehn und sechsundzwanzig.«

Hermine staunte. Das konnte er sich doch unmöglich alles gemerkt haben. Schließlich war sie die Superleuchte in der Schule und nicht er. Als die drei Modelle die Bühne betraten, bewunderte Hermine Draco aufrichtig für seinen guten Geschmack und sein hervorragendes Auge.
»Nun Pansy, fällt dir die Wahl jetzt leichter?«

»Rot, gelb oder grün«, murmelte sie.

»Nein Pansy, die Farbe ist nicht ausschlaggebend, sondern der Schnitt. Auf den kommt es an. Die Farbe kannst du frei wählen.«

»Das in der Mitte hat einen zu weiten Rock, das rechte ist zu eng. Ich will doch mit dir tanzen. Ich denke, das linke ist richtig. Allerdings finde ich den hinteren Ausschnitt zu tief.«

»Gute Wahl«, stimmte Draco zu, »und der Ausschnitt ist perfekt.« Er wisperte: »Dann kann ich beim Tanzen besser deinen Rücken streicheln.«

Hermine sah nach unten. Das Bild, was er mit seinen letzten Worten vor ihrem inneren Auge heraufbeschworen hatte, gefiel ihr beängstigend gut.

Zaubertrank des SchicksalsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt