In der Winkelgasse [2/2]

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»Welche Farbe hättest du gerne?«, fragte er weiter.

»Die dir am besten gefällt.«

»Was hältst du von einem silberfarbenen, das nach unten hin immer roter wird?«

Darauf wäre Hermine nie gekommen. »Hört sich prima an.«

Draco zwinkerte ihr zu. Dann besprach er sich leise mit Madame Chantal. Diese nickte immer wieder und bedeutete Hermine schließlich, ihr zu folgen. Sie führte die Gryffindor hinter den seitlichen Vorhang. Dort war auch ein Umkleidezimmer, denn Kabine konnte man den gemütlichen Raum mit Frisierkommode und der Sitzgruppe nicht nennen. Hermine hatte gerade in einem der Sessel Platz genommen, als eine Bedienstete Kleid, Schuhe und Handtasche brachte. Auf den Gürtel hatte Draco offenbar verzichtet. Man half ihr in den silberroten Traum, von dem Hermine sich wunderte, woher dieser trotz Magie so schnell herkam. Sie schlüpfte in die hochhackigen roten Schuhe, die wie angegossen passten. Nachdem das Kleid vollständig geschlossen war, riskierte sie einen Blick in den Spiegel. An einigen Stellen war es zu weit, aber dennoch sah sie umwerfend aus. Es umschmeichelte ihren Oberkörper wie eine zweite, im Augenblick noch ein wenig zu große, silberne Haut, während der Rock locker um ihre Hüften schwang. Dort begann auch eine zarte Rottönung, die bis zum Saum die Farbe dunkelroter Rosen angenommen hatte. Hinten wurde das Kleid mit kleinen Häkchen geschlossen. Es hatte dreiviertellange Ärmel mit einem trompetenähnlichen Abschluss, der dieselbe Farbe wie der Saum aufwies. Der kleinere Ausschnitt vorne, der ein Stück über dem Brustansatz endete, und der größere hinten, der bis zur Mitte ihrer Wirbelsäule reichte, wurden von mehrfach gefächertem Stoff umrahmt. Hinten reichte er sogar bis zum unteren Rücken hinab, sodass man die kleinen Verschlüsse nicht sehen konnte.

»Ah, magnifique«, ließ sich Madame Chantal zu einer Äußerung hinreißen und setzte hinzu: »Wir sollten ge'en. Männer darf man nischt allzu lange warten lassen.«

Als Hermine den Raum mit dem Laufsteg erneut betrat, schnellte Draco geradezu aus seinem Sessel. Seine Augen leuchteten und dennoch betrachtete er sie kritisch. Sie schritt langsam auf ihn zu, was eher an den ungewohnten hohen Schuhen lag, als dass sie noch mehr Aufmerksamkeit erregen wollte. Vor ihm angekommen blieb sie stehen, spreizte den Rock ein wenig ab und drehte sich langsam. Nachdem sie wieder mit dem Gesicht zu ihm stand, lächelte sie verlegen.

»'ier und da müssen wir noch kleine Änderungen vornehmen«, sagte Madame Chantal, »aber das sind nur Kleinigkeiten. Wenn Sie sisch für das Model entscheiden wird es Ihnen spätestens übermorgen zuge'en.«
Draco nickte. »Wir nehmen es.«

Offenbar hatte er nicht die Absicht nach dem Preis zu fragen, bemerkte Hermine verwundert. Nun ja, wenn man in der Lage ist ohne Limit einzukaufen. Trotzdem nahm sie sich fest vor, das Kleid in Malfoy Manor zurückzulassen. In ihrer eigenen Gestalt würde sie ohnehin nicht hineinpassen, da sie ein wenig üppiger gebaut war als Pansy. Das Geschäftliche musste Draco geregelt haben, während Hermine sich umzog, denn als sie fertig war, trug er bereits wieder seinen Mantel. Er half ihr in den ihren und bot ihr seinen Arm an. Sie hakte sich bei ihm unter. Schuhe und Handtasche wollte sie gleich mitnehmen und sie wurden ihr in eine hochwertige, weiße Tragetasche mit goldenem Schriftzug eingepackt. Draco hängte sie sich wie selbstverständlich über die Schulter.

Hermine kuschelte sich an ihn, als sie wieder auf die Straße traten und ein heftiger Wind durch die Gasse pfiff.
»Du wirst die Königin des Balles sein«, prophezeite Draco.

»Dank deiner Hilfe«, gab Hermine zurück, umarmte ihn spontan und küsste ihn auf die Wange.

»Ah, kann ich deine Zuneigung erkaufen?«, fragte er sofort und grinste, um ihr zu zeigen, dass er scherzte.
Hermine feixte zurück. »Sicher, Mylord. Jede Dame hat ihren Preis.«

»Nun, da habe ich mir wohl eine ganz Exquisite ausgesucht, wenn bei einem solchen Kleid lediglich eine kurze Umarmung und ein kleines Küsschen herausspringt. Ich bin bestimmt nicht gerade arm, aber bei Ihren Anforderungen werde ich mir wohl so gerade noch einen leidenschaftlichen Kuss leisten können, eine ganze Nacht ist selbst für mich unbezahlbar.«

Hermine lachte. »Vielleicht gewähre ich Ihnen einen Rabatt.«

Mittlerweile waren sie wieder im bekannten Teil der Winkelgasse angekommen. Sie befanden sich genau gegenüber von George Weasleys Laden. Draco blieb stehen und sah Hermine hungrig an. »Wie wäre es mit einem Vorschuss, Mylady?«

Ihr Herz klopfte schneller unter seinem Blick. »Nicht hier, Mylord. Es könnte Sie kompromittieren.« Verlegen löste sie ihre Augen von den seinen und sah über seine Schulter. Draco setzte zu einer Erwiderung an, doch Hermine erstarrte bereits. Sie fixierte den Eingang von Weasleys Zauberhafte Zauberscherze. Ron und Pansy verließen gerade kichernd den Laden. Das Mädchen trug einen kleinen Beutel, in dem sich offenbar die Einkäufe befanden. Plötzlich nahm Ron die Slytherin in den Arm und zog sie an sich. Er küsste sie hingebungsvoll und Pansy erwiderte seine Zärtlichkeiten. Ihre Hände wanderten über seine Brust und verschwanden schließlich unter seinem Mantel. Ron lutschte an ihrem Ohr, während er eine Hand unter den kastanienfarbenen Strickpulli mit dem großen gelben »H« schob. Pansy drängte sich noch weiter an ihn und begann ihr Becken an ihm zu reiben.
Draco drehte sich jetzt ebenfalls um. »Ich hätte gar nicht gedacht, dass Granger sich so hemmungslos verhalten kann, schon gar nicht in der Öffentlichkeit.«

Doch Hermine hörte kaum hin. Das Blut rauschte in ihren Ohren und sie schoss regelrecht auf die andere Straßenseite hinüber.
»Was fällt dir ein?«, schrie sie die Slytherin an. »Wie kannst du es wagen? Hast du etwa mit ihm geschlafen?«

Ron zog seine Zunge aus Pansys Ohr und starrte Hermine böse an. »Sag mal, hast du noch alle Zaubertränke im Schrank, Parkinson? Das ist meine Freundin! Natürlich schlafe ich mir ihr, erst gestern, wenn du es genau wissen willst. Aber eigentlich geht dich das gar nichts an.«

Hermine fühlte alles Blut aus dem Kopf fließen. Sie schwankte leicht, bis sich ein Arm um ihre Hüfte schlang. Draco stand neben ihr und sah verwirrt von einem zum anderen. »Pansy, alles in Ordnung?«

Hermine schluchzte. »Nichts ist in Ordnung. Dieses verdammte Miststück hat mich betrogen. Sie hat mein Leben ruiniert.« Sie blickte zu Draco auf. »Bring mich fort von hier«, sagte sie und merkte, wie flehentlich sie klang.

Ron sah verwundert auf Pansy und fragte: »Kannst du dir das erklären?«

Doch das Mädchen zuckte bloß mit den Schultern. »Ich glaube, sie steht auf mich und ist jetzt eifersüchtig.«
Hermine hatte plötzlich den Zauberstab in der Hand. Noch ehe sie jedoch Schaden anrichten konnte, entriss ihn Draco ihr und steckte ihn in seine Manteltasche. Grob deute er sie von dem Pärchen weg. Dann packte er sie am Arm und zerrte sie schnurstracks zurück zum Tropfenden Kessel. Er ließ sie erst wieder los, als sie vor der Freitreppe von Malfoy Manor standen.
»Jetzt reiß dich zusammen. Meine Eltern werden wissen wollen, wie unsere Shoppingtour war. Wir reden später noch über den Vorfall«, sagte er verärgert.

Hermine biss sich auf die Lippe und nickte, obwohl sie am liebsten auf ihr Zimmer gerannt wäre und ihren Tränen freien Lauf gelassen hätte. Sie wusste später nicht mehr, wie sie es geschafft hatte, Dracos Eltern von Madame Chantals Etablissement und von der Hilfe ihres Sohnes vorzuschwärmen. Irgendwie überstand sie auch noch das Abendessen, bei dem überwiegend die Malfoys die Unterhaltung bestritten. Draco sah Hermine immer wieder prüfend an. Schließlich verabschiedete sie sich und eilte auf ihr Zimmer. Jetzt erst konnte sie sich gehen lassen. Sie schluchzte in ihr Kissen. Ron hatte mit Pansy geschlafen. Dieses Weibsstück hatte sich mit ihm eingelassen, offenbar schon öfter. Hermines Finger umkrampften die Enden ihres Kopfkissens. Sie stellte sich vor, es würde sich um Pansys Hals handeln. Hermine fuhr zusammen, als sie eine Hand auf ihrem Rücken fühlte.
Draco saß neben ihr auf der Bettkante und betrachtet sie mit versteinerter Miene. »Ich stelle dir jetzt eine Frage und ich erwarte eine ehrliche Antwort. Ist es Granger?«

Hermine erschrak. Was sollte sie darauf sagen? »Was genau meinst du?«, fragte sie daher, um Zeit zu schinden.
»Hast du dich in sie verliebt?«, presste er hervor.

Hermine schüttelte den Kopf. »Ich stehe nicht auf Frauen.«

Draco sah sehr erleichtert aus. »Was ist es dann? Warum hast du behauptet, sie hätte dein Leben zerstört? Du hast doch gar nichts mit ihr zu schaffen.«

»Das kann ich dir jetzt nicht erklären. Außerdem sagtest du nur eine Frage und die habe ich dir beantwortet. Bitte, lass mich jetzt allein. Ich habe über einiges nachzudenken.«

»Ich bin für dich da, wenn du jemanden zum Reden brauchst«, sagte er und stand auf.

Draco war schon an der Tür, als Hermine antwortete: »Danke, das weiß ich wirklich zu schätzen. Doch damit muss ich alleine klar kommen.«

»Du vertraust mir also immer noch nicht«, stellte er traurig fest.

»Das ist es nicht«, beeilte sich Hermine zu versichern.

»Du machst es einem verdammt schwer, dich zu lieben Pansy«, stieß er hervor und zog die Tür hinter sich zu.
Am nächsten Morgen schützte Hermine Magenschmerzen vor. Sie ließ sich von Corky das Essen bringen und verbrachte den Tag auf ihrem Zimmer. Draco ließ sich nicht blicken, aber als Narzissa nach ihr sehen wollte, stellte sie sich schlafend. In ihr tobten widerstreitende Gefühle. Sie war sauer auf Ron, der offenbar trotz all der Jahre, die sie eng zusammen verbracht hatten, Hermine mit der Slytherin verwechselte. Sie war wütend auf Pansy, die sich nicht von Ron fernhielt. Doch mehr noch als ihre Wut wog ihre Eifersucht.
Erstaunt erkannte Hermine nach einer Weile, dass es nicht die Tatsache war, dass Parkinson mit Ron geschlafen hatte, sondern, dass die Schnepfe offenbar von Ron und Draco geliebt wurde. Genau das war es! Ronald hatte sich tatsächlich in Pansy verliebt, während Draco in Hermine immer nur die Slytherin sah. Natürlich hatte auch er ihre Veränderung bemerkt, doch Hermine glaubte zu wissen, dass es sich bei ihm eher um Bewunderung wegen ihrer vermeintlichen Fähigkeiten handelte, den Gryffindors eins auszuwischen. Zudem leuchteten seine Augen jedes Mal vor Entzücken auf, wenn er sie in einem schicken Outfit erblickte und dafür konnte Hermine nun wirklich nichts.


Zaubertrank des SchicksalsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt