In Gryffindor [2/2]

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Wenige Tage später saß Hermine am Ufer des schwarzen Sees auf der hölzernen Bank unter der entlaubten Eiche. Die Sonne hatte jetzt im März schon an Kraft gewonnen. Hermine war in ihre Aufzeichnungen vertieft, als ein Schatten auf sie fiel. Sie blickte hoch und sah zu ihren großen Überraschung Gregory Goyle über ihr aufragen.

»Hi«, grüßte er sichtlich verlegen. »Darf ich mich zu dir setzen?«

»Klar«, sagte die Gryffindor perplex und rutschte ein Stück zur Seite.

»Her... Hermine«, quetschte der Gorilla hervor. »Würdest du mir die Hausaufgaben von Verwandlung erklären? Ich habe mal wieder gar nichts verstanden und ihr hattet das doch bestimmt auch gestern bei McGonagall durchgenommen.«

»Warum hilft Draco dir nicht?«

»Ach der«, Gregory machte eine wegwerfende Handbewegung. »Der ist zu nichts mehr zu gebrauchen, seitdem du weg bist. Hilfst du mir jetzt?«

»Gib mal her«, sagte Hermine gönnerhaft. Sie nahm das wenige, was der Slytherin schon zu Pergament gebracht hatte. Damit war nicht allzu viel anzufangen. Geduldig erklärte Hermine worauf Professor McGonagall hinaus wollte. Dann griff sie nach ihrer Feder und ergänzte Gregorys Hausaufgaben.

»Danke, Hermine. Auf dich ist echt Verlass.«

»Goyle!« Der erschreckte Ausruf ließ beide zusammen fahren. Draco sah mit blankem Entsetzen auf seinen Hausgenossen. »Was bei Merlins Bart machst du da?«

»Deinen Rat befolgen.«

»Wie bitte?«

»Du wolltest mir doch nicht bei meinen Hausaufgaben helfen. Genervt hast du schließlich gesagt: Such Granger, die hilft dir bestimmt. Du hattest Recht, Hermine hat mir geholfen.«

Verdattert sah Draco ihn an. Dann brüllte er: »Aber das habe ich doch ironisch gemeint, du Erbsenhirn.«

Gregory Goyle erhob sich langsam und streckte sich noch ein wenig. Er überragte Draco um fast einen Kopf und war ungefähr doppelt so breit. »Das Erbsenhirn bist wohl eher du, Malfoy«, sagte er und die Gryffindor registrierte verwundert die Schärfe in seiner Stimme. »Erst verlangst du von uns allen, Hermine komplett zu ignorieren und drohst jedem von uns mit Konsequenzen, wenn wir uns nicht daran halten. Dann wirfst du deine eigenen Regeln um, indem du mich zu ihr schickst und nun behauptest du, du hättest es gar nicht so gemeint. Jedenfalls habe ich jetzt nicht nur meine Hausaufgaben, sondern auch kapiert, was McGonagall eigentlich will.«

»Ich hätte dir schon noch geholfen«, maulte Draco.

»Danke, nicht mehr nötig.«

Draco kniff die Lippen zusammen. Ohne ein weiteres Wort drehte er sich um und stürmte von dannen. Er hatte Hermine nicht eines Blickes gewürdigt.

»Ich sag's doch, er ist nicht mehr ganz frisch. Ehrlich Hermine, du bist schon in Ordnung.« Gregory unterstrich seine Behauptung, indem er Hermine auf die Schulter klopfte, was sie ein wenig an Hagrids Pranke erinnerte.

Eine Woche später passte Gregory Hermine im Korridor ab. »Ich habe ein »Erwartungen übertroffen« in meiner Hausaufgabe bekommen«, strahlte er, »obwohl McGonagall meinte, es höre sich ein wenig nach dir an.«

Hermine grinste, doch es erstarb, als Gregory hinzusetzte: »Dabei hatte Draco sie noch abgeändert, weil er der gleichen Meinung war.«

»Tatsächlich?«, fragte sie lahm. Konnte er es noch nicht einmal ertragen, wenn handschriftliche Notizen von ihr im Gemeinschaftsraum der Slytherins auftauchten?

»Natürlich hat er nichts gefunden, was es zu verbessern gab, er hat es lediglich ein wenig umformuliert. Wahrscheinlich war das nur ein Vorwand, weil er das Pergament von dir haben wollte.«

»Um es zu vernichten, nehme ich an«, vermutete Hermine traurig.

»Keine Ahnung, was er damit vorhat. Jedenfalls hat er es in seinen Koffer getan. Vorgestern habe ich ihn dabei erwischt, wie er auf seinem Bett gesessen hat und mit den Fingern über deine Ergänzungen gestrichen ist. So, als wären sie in Blindenschrift geschrieben. Ist auch egal, ich muss zu Wahrsagen. Tschüß Hermine.«

»Mach's gut Gregory.«

Kaum war der Slytherin um die Ecke verschwunden, lehnte sich Hermine mit zitternden Knien an die Wand. Draco kämpfte! Er kämpfte mit sich selbst um seine Gefühle für sie. Genauso, wie Hermine es seinerzeit getan hatte. Immerhin, das war mehr, als die Gryffindor zu hoffen gewagt hatte nach seiner Reaktion auf die Wahrheit.

Nachdem ihr Herz wieder in seinem normalen Rhythmus schlug, ging sie zum Arithmantikunterricht.



Am kommenden Nachmittag rannte sie fast in Pansy und Ron hinein. Die beiden standen mitten im Gang, der zur Bibliothek führte, und unterhielten sie leise miteinander. Hermine ließ bewusst das Buch fallen, das sie vor der Nase hatte. Ron bückte sich sofort und reichte es ihr. Pansy sah sauertöpfisch drein. Hermine lächelte die beiden bewusst freundlich an.

»Danke Ron. Ach Pansy, Ron und ich sind nur noch Freunde und werden es auch bleiben. Damit musst du dich abfinden. Aber den Rest von ihm kannst du gerne haben. Viel Glück und behandle ihn gut, sonst bekommst du es doch noch mit mir zu tun.«

Die Slytherin öffnete zwar den Mund, aber kein Ton kam dabei heraus. Hermine setzte amüsiert ihren Weg fort. Den Rest musste Ron allein schaffen.

Am folgenden Tag, auf dem Weg zum Mittagessen, zog Ron Hermine beiseite und berichtete ihr flüsternd, dass er und Pansy sich einig waren. Es sollte jedoch noch keiner aus Gryffindor wissen, vor allem seine Schwester nicht.

»Was darf ich nicht wissen, Bruderherz?«, fragte Ginny in dem Moment. Sie hatte sich unbemerkt von hinten angeschlichen.

Ron legte sogleich den Arm um Hermines Taille und zog sie eng an sich. »Dass ich mein Herz verschenkt habe und endlich weiß, wer meine Partnerin fürs Leben ist«, erwiderte er etwas zu laut. Dann jedoch versteifte er sich plötzlich. Draco war hinter Ginny aufgetaucht und die flackernden Augen verhießen nichts Gutes.

»Du ekelhaftes Insekt. Gestern erst habe ich gesehen, wie du Pansy abgeknutscht hast und jetzt machst du dich auch noch an Hermine ran. Eine reicht dir wohl nicht, was?«

»Du hast Parkinson geküsst?«, fuhr Ginny auf.

Rons Ohren leuchteten in einem tiefen Scharlachrot. Statt zu antworten beugte er sich zu Hermine hinunter und wisperte ihr etwas zu, das sie in ihrer Aufregung nicht verstand. Sie hatte nur Augen für den blonden Slytherin.

»Nimm deine verfluchten Drecksfinger von ihr«, rief Draco zornig. »Er spielt doch nur mit dir, Hermine«, sprach er zum ersten Mal die Gryffindor direkt an.

»Nein, tut er nicht«, widersprach sie betont ruhig. Doch noch ehe sie weiter reden konnte, warf sich der Slytherin herum und stürmte davon.

Ron ließ Hermine los. »Glaubt ihr, er lässt seine Wut jetzt Pansy aus?«

»Quatsch, warum sollte er?«, antwortete Ginny.

»Weil er sauer ist, dass sie mich liebt und nicht ihn. Ich muss mich selbst davon überzeugen, dass er ihr nichts antut«, rief Ron und jagte Draco hinterher.

Hermine starrte ihm nach. Sie glaubte auch nicht, dass Pansy in Gefahr war.

Ginny riss sie aus ihren Gedanken. »Sag mal, ist dir eigentlich aufgefallen, dass Malfoy dich eben zweimal Hermine genannt hat?«

Ron und Draco erschienen verspätet zum Mittagessen. Offenbar hatten sich die beiden getroffen. Rons linkes Auge schwoll langsam zu, während Draco immer noch ein wenig Blut aus der Nase lief. Hermine sah missmutig zu, wie Pansy sich bemühte, es vorsichtig abzutupfen.

Ron quittierte dies mit einem Grunzen. Dann zückte Hermine ihren Zauberstab und einen Augenblick später war das Veilchen verschwunden. Am Slytherintisch schien man die Aktion bemerkt zu haben, denn Draco wie Pansy wirkten plötzlich ein wenig angesäuert.

Wenig später erwischte Hermine Ginny, die im Schatten eines Besenschrankes auf Draco einredete. Sie hatte ihre Hände in die Hüften gestemmt und glich in dem Moment so sehr ihrer Mutter, dass Hermine unwillkürlich grinsen musste. Draco hob die Augen und sein Blick traf den ihren. Sofort schob er Ginny zu Seite und ging davon.

»Du bist du ein Feigling, Malfoy. Du hast sie gar nicht verdient«, rief Ginny ihm nach.

Hermine erstarrte. Wütend schoss sie auf ihre Freundin zu. »Lass ihn in Ruhe. Ich weiß, dass du mir nur helfen willst, aber misch dich bitte nicht ein.«

»Ich kann es aber nicht mehr aushalten, dich so leiden zu sehen. Vielleicht brauchte Malfoy nur einen Schubs in die richtige Richtung. Jedenfalls weiß er jetzt, dass du und Ron wirklich nur Freunde seid. Zumindest kann er nun aufhören, meinen Bruder mit Blicken töten zu wollen.«

Ostern rückte näher und damit die Ferien. Ginny hatte darauf bestanden, zum ersten Mal während dieser Ferien nach Hause zu fahren. Die zwei Wochen in der Schule zu verbringen hielt sie nicht für ratsam.

Hermine wusste, dass sich ihre Freundin große Sorgen machte. Hermine war abgemagert, ihre Haare wirkten stumpf und glanzlos und schienen störrischer denn je auf Bürste oder Kamm zu reagieren. Sogar ihre schulischen Leistungen hatten ein wenig nachgelassen, obwohl Hermine wie eine Besessene lernte. Manchmal hatte sie sogar selbst den Eindruck, als würde sie in der Bibliothek wohnen.

Aber auch Draco sah nicht gut aus. Tiefe Falten hatten sich um Mund und Stirn eingegraben. Er war noch dünner als früher und sein Haar hing ihm strähnig ins Gesicht. Schulisch war er im Vergleich zu Hermine noch tiefer abgesackt. Es schien, als würde ein Feuer in ihm brennen, das ihn von innen her aufzehren würde. Auf Hermine machte er den Eindruck, als stünde er kurz davor sich aufzugeben. Das belastete sie und sie litt nicht nur um sich selbst- sondern vor allem um seinetwillen.

Ein paar Tage vor den Ferien blickte Hermine erstaunt auf, als Blaise Zabini nach dem Unterricht auf sie zutrat. Noch ein Slytherin, der Dracos Anweisung missachtete. »Hi.«

»Hallo, Blaise.«

»Hör zu, du siehst schlecht aus. Ich kann dir da nur einen Abendspaziergang empfehlen. Treppensteigen soll ja bekanntlich sehr gesund sein und den Kreislauf anregen. Wie wäre es, wenn du heute Abend mal auf den Astronomieturm gehen würdest. Dort oben kannst du dann die schöne Aussicht genießen, wenn dir danach ist.«

Hermine war einen Moment lang sprachlos. »Mache ich«, sagte sie schließlich. »Ich nehme mal an, es gibt noch mehr Menschen, die das tun.«

Blaise zuckte mit den Schultern. »Hin und wieder. Ich kann dir nicht garantieren, dass du heute alleine da oben bist.« Dann zwinkerte er ihr zu und ging von dannen.

Nach dem Abendessen steigerte sich Hermines Nervosität von Minute zu Minute. Ihr Herz klopfte immer schneller und ihre Hände begannen zu schwitzen. Das war doch Irrsinn. Sie wusste ja noch nicht einmal, ob Draco überhaupt dort oben sein würde. Endlich glaubte sie gehen zu können. Betont langsam stieg sie die vielen Stufen hinauf. Immer wieder machte sie eine kurze Pause, denn sie wollte keinesfalls außer Atem oben erscheinen.

Hermine erklomm die Plattform. Dort stand er. Sein silberblondes Haar leuchtete im Licht des Mondes. Er hatte die Hände um das Geländer gekrallt und starrte über die Ländereien ins Nirgendwo. Leise näherte sie sich ihm von hinten.

Erst als sie neben ihm stand hauchte sie: »Hallo.« Ihre Hände legte sie ein kleines Stück entfernt von den seinen ebenfalls auf dem Eisen ab.

Draco antwortete nicht. Er sah sie nur kurz an, um dann wieder in die Ferne zu blicken. Sie standen eine ganze Weile schweigend nebeneinander, bis Hermine die Stille nicht mehr ertragen konnte. »Was tust du hier?«

»Ich suche«, sagte er schleppend.

»Wonach?«

»Nach einer Antwort, nach einem Ausweg für uns. Nenn es, wie immer du willst.«

»Du hast noch nichts gefunden?«

Draco antwortet nicht. Stattdessen beugte er sich über das Geländer. Hermine atmete hörbar auf, als er sich wieder zurücklehnte.

Dann drehte er langsam den Kopf und blickte ihr tief in die Augen. Leise fragte Draco: »Würdest du mit mir springen?«


Zaubertrank des SchicksalsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt