Teil 9

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Als ich aufwachte entdeckte ich unzählige Nachrichten von Nathalie. Sie hatte offensichtlich nicht schlafen können und die ganze Nacht geweint. Ich nahm mir vor sie später zurück zu rufen, aber erstmal musste ich eine andere Sache klären. Meine Schwester musste schon wach sein, jedenfalls lag sie nicht mehr neben mir in meinem Bett.

Langsam quälte ich mich aus dem Bett und machte mich fertig. Ich lehnte mich am Türrahmen der Küche an und beobachtete meine Familie - oder einen Teil davon. Morgens taten wir irgendwie immer alle so als wäre alles völlig normal, als wären wir eine ganz normale Familie so wie jede andere auch. Ich konnte das nicht mehr. Jedes Mal wenn ich meinen Stiefvater auch nur anschaute, bekam ich ein unangenehmes Kratzen tief in meinem Hals.

Ich schaute meine Mutter an, konnte ihr Gesicht gar nicht richtig erkennen. Dennoch sah ich wie traurig und fertig sie war. Mit krummem Rücken und hängenden Schultern saß sie am Küchentisch und schlürfte ihren schwarzen Kaffee. Die Haare noch völlig zerzaust, nicht einmal angezogen hatte sie sich.

"Guten Morgen, Mama", sagte ich während ich im Vorbeigehen über Shays Rücken strich und mich dann neben sie setzte. "Guten Morgen, Wincent", sagte mein Stiefvater bitter. Mir gefiel nicht wie er meinen Namen aussprach, doch meine Mutter lächelte wieder nur gequält.

"Ich gehe heute nicht zur Arbeit", sagte sie und starrte irgendetwas auf dem Grund ihres Kaffeebechers an. Schweigend biss ich in ein Toast, das ich mir gerade mit Marmelade bestrichen hatte. In letzter Zeit blieb meine Mutter öfter zuhause - und zwar immer wenn sie sich besonders schlecht fühlte. Ich wusste, was das für mich bedeutete: Shay zur Schule bringen, einkaufen und Shay wieder abholen. Natürlich übernahm Stefan keine einzige Aufgabe in unserem Alltag.

Ich schaute meiner Mutter in die Augen und sah ihren entschuldigenden Blick, den sie mir immer öfter zuwarf in ihren rotgeweinten müden Augen. Ich konnte nicht einfach ganz normal sein. Seufzend stand ich auf und nahm meinen Kaffee mit in mein Zimmer.

Auf dem Weg stellte sich Stefan mir leider in den Weg. "Kannst du nicht wenigstens zehn Minuten mit uns frühstücken, Wincent? Ich hab extra auch für dich gedeckt", schrie er mich an, während er sich mit verschränkten Armen vor mir breit machte.

"Sorry, aber im Gegensatz zu dir habe ich heute noch etwas vor."

Ich konnte gar nicht schnell genug reagieren, als seine riesige Patschehand in meinem Gesicht landete. Ich schaute ihn nur fassungslos an. Meine Wange brannte regelrecht vor Schmerz. Er hatte mir regelrecht eine geknallt.

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