Teil 1

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"Jetzt räum verdammt nochmal die Spülmaschine aus!", brüllte er durch die ganze Wohnung. Seine Stimme war so laut, dass ich sie klar und deutlich verstand, obwohl auf beiden Seiten Musik in meine Ohren schallte. Seufzend schmiss ich meine Kopfhörer aufs Bett und machte mich auf den Weg in die Küche.

Meine Mutter stand am Herd und rührte das Essen im Topf. Als ich rein kam wischte sie sich schnell mit dem Handrücken über die Augen und tat so als wenn gar nichts wäre, doch ich hatte es gesehen. Es war keine Seltenheit mehr, dass meine Mutter mitten am Tag anfing zu weinen. Auch wenn sie das vor uns Kindern immer versteckt halten wollte, merkte zumindest ich immer sofort, wenn bei ihr die Tränen flossen.

Im Vorbeigehen drückte ich sanft ihre Schulter, woraufhin ich ein leicht gequältes Lächeln zurück bekam. Sie tat mir so unendlich Leid, doch ich konnte im Moment nicht viel für sie tun, besonders nicht wenn sie weiterhin so stur blieb.

Aus dem Augenwinkel nahm ich war, wie Stefan ebenfalls in die Küche kam und einen Arm um die Taille meiner Mutter legte. "Siehst du nicht, dass deine Mutter hier gerade kocht? Kannst du sie nicht mal in Ruhe lassen oder musst du sie dabei auch noch stören?", blaffte mein Stiefvater mich von der Seite an. Ich knallte gnadenlos weiter Gläser auf die Arbeitsfläche.

Ich konnte nicht erklären, was sein Problem war. Im Grunde genommen hatte er schon immer irgendetwas gegen mich als Person. Im einen Moment wurde ich angeschrien, ich solle die Spülmaschine ausräumen und im Nächsten stand ich angeblich im Weg. Egal was ich machte, ich schien es immer falsch zu machen.

Eigentlich störte mich das nur wenig. Keinesfalls war es angenehm jeden Tag dutzende Male angeschrien zu werden, aber auf der einen Seite war ich eh schon daran gewöhnt und auf der Anderen nahm ich gerne alles auf mich, um meine Mutter und meine kleine Schwester ein bisschen mehr vor ihm zu beschützen.

"Geh mir aus den Augen!", meinte Stefan laut. Ich stellte die letzte Schüssel auf die Arbeitsfläche, klappte die Spülmaschine wieder zu und machte mich schnellstmöglich aus dem Staub.

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