Teil 24

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Ich musste den Brief zwei Mal ganz durchlesen, um nur ansatzweise zu verstehen, was meine Mutter mir geschrieben hatte. Einen Abschiedsbrief. Einen richtigen Abschiedsbrief wie ich ihn sonst nur aus Filmen kannte. Ich klammerte mich an der Tür fest, versuchte noch irgendwie auf meinen wackeligen Knien stehen zu bleiben. Auf einmal schien sich alles um mich herum zu drehen, doch ich nahm nichts mehr wahr.

Völlig das Zeitgefühl verloren musste ich einige Minuten einfach nur da gestanden haben. Es fühlte sich an wie Sekunden, die ich einfach nur da stand, an nichts dachte, nichts fühlte. Ich war wie betäubt, wusste nicht wohin mit mir und meinem Körper. Ich konnte nicht glauben, was ich hier gelesen hatte. Meine Mutter hatte sich von mir verabschiedet?

Plötzlich und ohne jegliche Vorwarnung brach ich einfach so zusammen. Ich merkte noch wie ich mit dem Fuß umknickte und schon lag ich auf dem Boden. Die Tränen rollten in Strömen über meine Wangen ohne dass ich wirklich weinte. Ich kauerte mich zusammen, zog die Knie an meine Brust. Auf einmal fühlte ich mich so unwillkommen, so fremd in meiner eigenen Wohnung, in meinem eigenen Körper. Ich stand auf, rannte wie wild los, riss die Tür auf und sprintete nach draußen. Meine Lungen drohten zu kollabieren, wenn ich nicht schleunigst ein wenig Luft bekam. Alles in meinem Körper zog sich zusammen, weigerte sich gegen jegliche Bewegung, doch ich rannte einfach los. Rannte und rannte, ohne dass ich wusste wohin eigentlich.

Erst als ich wirklich keine Luft mehr bekam und meine Haare verschwitzt an meiner Stirn klebten, blieb ich stehen. Mit einer Hand stützte ich mich an einem Baum ab, beugte mich nach vorne in dem verzweifelten Versuch Sauerstoff in meine Lungen zu bekommen. Meine Lunge schnürte sich bis oben hin zu, wenn ich nur eine Millisekunde daran dachte, was in den letzten 24 Stunden passiert war. Tränen brannten in meinen Augen, bis ich einfach anfing zu weinen. Völlig fertig ließ ich mich an dem Baum herabsinken, vergrub das Gesicht in meinen Händen und fing wie ein kleiner Junge an zu schluchzen.

Im Grunde genommen war ich das doch auch! Ein kleiner 18-jähriger Junge, der gerade erst von zuhause ausgezogen war, der gerade erst die Schule abgeschlossen hatte, der gerade erst die volle Verantwortung für ein Kind übernommen hatte, der nicht nur seinen Vater verloren hatte, sondern jetzt auch noch seine Mutter. Ich war allein. Und zwar völlig.

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