In meinen unzähligen Skizzenblöcken sammelte ich all die schönen Dinge, die mir in meinem Leben begegneten. Alles fand seinen Platz. Landschaften. Städte. Blumen. Bäume. Hunde, die vor dem Supermarkt auf ihr Frauchen warteten. Katzen, die auf der Mauer saßen. Bienen, die um Blümchen schwirrten. Kuriose Steine. Wolken. Flugzeuge. Züge, die in den Bahnhof einfuhren. Meine Familie. Meine Freunde. Die Familie meiner Freunde und die Freunde meiner Familie. Alte Menschen. Kinder. Verliebte Paare. Traurige Menschen. Ich zeichnete alles, was ich sah und festhalten wollte. Und festhalten wollte ich so gut wie jeden Moment.
Doch am liebsten zeichnete ich ihn.
Ich wusste nicht genau, wann ich ihn das erste Mal gesehen hatte. Allerdings wusste ich ganz sicher, was in diesem Moment mit mir geschah. Es war wie eine Szene in diesen kitschigen Romanzen, die meine Mutter sich damals immer im Fernsehen angesehen hatte. Wie in Zeitlupe ging er an mir vorbei. Ich konnte nicht mehr sagen, ob er mich wirklich angesehen hatte oder ob es nur Einbildung war. Dennoch musste ich automatisch lächeln. Wie der letzte Vollidiot saß ich da und starrte den Kerl an. Um ehrlich zu sein, hätte ich nie gedacht, dass jemand wie er meine Blicke so fesseln konnte. Hätte man mich nach dem Typ Menschen gefragt, den ich attraktiv fand, dann wäre es garantiert nicht der Typ Mann gewesen, der an jenem Tag an mir vorbei lief. Ich wusste, dass es unglaublich heiß war. Er trug ein T-Shirt, welches völlig staubig und leicht verschwitzt war. Seine verwaschene Jeans, dessen Löcher wohl eher ungewollt waren, hatte er etwas hochgekrempelt und seine Schuhe sahen aus, als wären sie vom Auto überfahren worden. Die krausen Haare guckten unter seinem Elbsegler hervor und der Schweiß glänzte leicht auf seiner Stirn, welche wie sein restliches Gesicht von der Sonne verbrannt war. Sommersprossen. Es waren nicht viele, dennoch schienen sie durch die Sonne deutlicher zu werden. Genau wie seine blauen Augen. Ich sah sie nur kurz und verlor mich dennoch in ihnen. Sie waren der Ozean. Tief und dennoch würde man nie erfahren, was dort unten lungerte. Er roch nach einer Mischung aus Schweiß, Meer und Männerdeo. Normalerweise hätte ich wohl die Nase gerümpft. Doch nicht bei ihm. Sein Duft schien so lieblich und ich wollte sofort mehr davon. Von der ersten Sekunde an war ich süchtig. Ich schwebte auf Wolke sieben. Nein! Auf Wolke hunderttausend. Es war so hoch, würde ich fallen, wäre es sicher tödlich. Aber das war mir egal. Ich hätte noch viel höher klettern können. Und ich hätte es getan, wenn ich wüsste, dieser komische Kerl säße dort oben und wartete auf mich. Doch das tat er nicht. Und es war okay. Schließlich würde ich ihn doch eh nie wieder sehen. Oder?
Ich wurde nie müde, ihn immer und immer wieder in jegliche meiner Blöcke zu zeichnen. Und jedes Mal aufs Neue fühlte es sich an wie fliegen. Ich dachte so gern an ihn. Seine wilden Haare unter der Mütze. Der Staub auf seiner Kleidung. Die Bäckertüte in seiner Hand. Die zerfetzten Schuhe. Oh einfach alles an ihm war zum träumen schön. Es flogen Flugzeuge durch meinen Bauch. Mein Herz klopfte schneller als normal. Sanfte Arme umschlossen meinen Körper und drückten mich an sich. In mir wurde Frühling. Jedes Mal, wenn ich ihn zeichnete...
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Ursus [boyxboy]
Romance„Wieso sprichst du ihn nicht einfach an?" „Er will sicher keinen Typen. Schon gar nicht einen, der im Rollstuhl sitzt. Sieh mich doch an." „Gut, dann zeichne ihn halt für den Rest deines Lebens nur in dein Skizzenbuch ohne je ein Wort mit ihm gewech...