Bernhard sitzt auf der Bank. Es ist sehr, sehr früh am Morgen, der Nebel steht noch an den Hängen. Die Morgensonne küsst den Tau auf den jungen Blüten des Edelweißes und Bernhard atmet die reine Luft ein. Während er die Augen geschlossen hat, nähern sich ihm Schritte.
"Guten Morgen", begrüßt ihn Grete, seine Frau. Früher hatte sie eine liebliche Stimme, hell und klar, doch nun hat sich ein rauer Klang eingeschlichen. Sie ist immer noch sehr schön, ihre langen, blonden Haare sind in einem Kranz um ihren Kopf geflochten. Graue Strähnen sind darunter, gekommen im Lauf der Jahre. Ihre stämmige Figur hat noch wundervolle Rundungen und ihre blauen Augen strahlen im kühlen Licht der Morgensonne. Sie stellt das Brettchen mit dem Brot und dem Käse auf den Tisch. Wie jeden Morgen.
"Guten Morgen", antwortet er ihr. Sie lässt sich neben ihm nieder, schweigend beginnen sie zu essen. Die Natur um sie herum wirft ihren Morgenmantel ab und offenbart sich in voller Pracht, während Bernhard und Grete den Klängen der Berge lauschen. Er überlässt ihr das letzte Stück Käse, lächelnd dankt sie ihm still dafür. Ihre Liebe zueinander ist vor langer Zeit erloschen, keiner kann mehr sagen wann oder warum. Sie leben noch immer miteinander, der Kinder Willen, wie er immer sagt. Doch das ist eine Lüge, denn die Kinder sind längst erwachsen und kommen nur noch selten zu Besuch. Was sie zusammen hält ist die Freundschaft. Mag die Liebe auch verflossen sein im Laufe der Jahre, so empfinden sie wohl noch Zuneigung für einander, achten und respektieren sich und fühlen eine tiefe, freundschaftliche Verbundenheit. Doch das würde eh keiner verstehen, deshalb verschweigen sie es und leben in Stille und Zweisamkeit zusammen.
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Frei in den Wörtern
PoetryDas ist keine eigentliche Geschichte. Hier stelle ich viele verschiedene kurze und nicht ganz so kurze Texte hoch, die mir spontan zu 'Inspirationswörtern' einfallen. Sie sind unterschiedlich lang, aber kein Text ist länger als eine Seite. Für mich...