Mit nacktem Füßen tapste ich über kühlen Marmorboden, der die gesamte Eingangshalle ausmachte.
Ich hatte solche Häuser, ach was, solche Anwesen noch nie außerhalb des Fernsehers gesehen.
Staunend blickte ich zu dem massiven Leuchter in der Mitte des Raumes.
Jeder Kristall schien anders als der Nächste und ich hätte stundenlang dabei zusehen können, wie sich das Licht darin fing und auf dem Boden wiederspiegelte.
Mit solchen "Nichtigkeiten" hatte man mich schon mein ganzes Leben beschäftigen können.
Ich war schließlich die 14 jährige gewesen die ihre Nachmittage in der National Gallery verbracht hatte..
Ein Räuspern riss mich aus meinen Gedanken und ich drehte mich um.
Erstaunlicher Weise verspürte ich im ersten Moment weder Angst noch Nervosität, erst als ich Rhion am Türrahmen des angrenzenden Zimmer lehnen sah, kehrte die Unsicherheit zurück.
Doch zu meiner großen Erleichterung und auch Verwunderung, lächelte der Mann der mich noch vor wenigen Stunden brutal geschlagen hatte, nun freundlich an.
"Ich dachte mir schon das dir besondere Dinge auffallen, wenn du sie siehst."
War das etwa eine merkwürdige Art mir ein Kompliment zu machen?
Ich versuchte es mit einem vorsichtigen Lächeln und strich mir verlegen eine lose Haarsträhne hinters Ohr, da ich keine Ahnung hatte, was ich darauf antworten sollte.
"Komm." forderte er mich auf und stieß sich vom Rahmen ab.
Ich nickte knapp und ging an ihm vorbei in das Zimmer... und wollte am liebsten gleich wieder stehen bleiben!
Der Raum vor mir war mächtig und von einer Eleganz, das ich wahrscheinlich begeistert gekreischt hätte, würde Rhion nicht hinter mir stehen. was jedoch das atemberaubende an all dem war, waren die unzähligen Bücher, die sich in deckenhohen Regalen aus dunkel lackiertem Holz, an allen vier Wänden des Zimmers erstreckten.
Zwei Hände legten sich auf meine Schultern und ich zuckte unwillkürlich zusammen.
"Du kannst dir nachher so viele Bücher mit in dein Zimmer nehmen, wie du tragen kannst, aber wenn wir jetzt nicht bald essen, schmeckt es nicht mehr!"
Rhion sprach ruhig, doch die drängende Aufforderung war deutlich heraus zu hören.
Widerstrebend ließ ich mich von ihm weiter führen.
Er hatte gesagt das ich Bücher mitnehmen durfte! Noch immer konnte ich seine Worte, die aus seinem Mund so selbstverständlich geklungen hatten, nicht verstehen.
Sie wollten einfach nicht zu ihm passen. Zu den Rhion den ich zuvor kennengelernt hatte...
Das Dinner verlief weitestgehend schweigend, auch wenn ich gedanklich die unbekannten Kochkünste in den Himmel lobte, konnte ich Rhion nicht direkt ansehen.
Zu groß war die Sorge, das er meinen Blick falsch interpretierte und wütend wurde.
Da zog ich es lieber vor zu schweigen...
" Woran denkst du gerade?" seine Frage machte mein Vorhaben augenblicklich zu Nichte.
Weil ich einfach nicht wusste welche Antwort er erwartete, zuckte ich leicht mir den Schultern und hob den Kopf.
Erst jetzt sah ich, das er anders aussah als zuvor in meinem Zimmer.
Er strahlte eine Ruhe und Ernsthaftigkeit aus , die der diabolischen Gelassenheit von vorhin in keinster Weise ähnelte.
Er lächelte sogar, als er bemerkte das ich ihn nun ansah.
"Ich wusste wirklich nicht das ich Menschen so sprachlos machen kann. Man könnte fast meinen du wärst stumm!"
Wieder zuckte ich mit den Schultern, konnte mir aber ein kleines Lächeln nicht verkneifen.
"Warum sprichst du nicht mit mir?"
Tja, warum tat ich das?
Vielleicht um keine so unüberlegte Antwort zu geben wie in meinem
Zimmer?
Oder weil ich jetzt schon Angst vor den Konsequenzen hatte?!
Angst. Genau die war es die mich lähmte und mir meinem Stimme raubte.
Meine Hände begannen unkontrolliert zu zittern und Gabel und Messer fielen mit einem metallischen Klirren auf den Teller.
Ich schloss die Augen und verschränkte meine Finger in einander auf meinem Schoß.
Für eine kurze Weile lauschte ich nur meinem unregelmäßigen Atem.
Shae, du musstest dich beruhigen!
Du gibst ihm eine Angriffsfläche, die er schamlos ausnutzen konnte.
Warme, lange Finger schlossen sich um Meine und ich blickte erschrocken auf.
Rhion kniete vor mir und sah mich besorgt an.
"Was auch immer es ist, das dich daran hindert mit mir zu reden, ich bitte dich sag es mir!" sprach er eindringlich.
Und als ich ihn weiterhin wortlos anstarrte wiederholte er das "bitte".
"Angst" im ersten Moment erkannte ich das schrille Krächzen nicht als meine eigene Stimme.
"Das ist es also? Die Angst vor mir, hindert dich daran mit mir zu reden?!"
"Die Angst vor der Reaktion." verbesserte ich hastig und zog augenblicklich den Kopf ein, als seine Augenbraue nach oben schnellte.
"Shae." fast flüstere er meinen Namen "Du hast vollkommen recht, wenn du Angst vor mir hast. Man sollte Angst vor mir haben. Vor dem was ich tue Vor dem was ich verlange. Immer." er wirkte fast schon traurig als er es aussprach "Aber nicht heute Abend. Heute sollst du keine Angst vor mir haben. Heute Abend darfst du, du sein. Sei ehrlich und schonungslos. Neugierig und fröhlich. Sei alles was du sein möchtest, aber sprich mit mir! ich ertrage es nicht mehr!"
Heute Abend also?
Nun er sprach die Wahrheit und das rechnete ich ihm hoch an. Er wusste selbst wie gefährlich er war, oder zumindest hatte er eine Vorstellung.
Und ich glaubte ihm wenn er sagte, ich dürfte heute Ich sein.
Also ließ ich alle Zweifel sinken und atmete noch einmal tief ein.
Dann richtete ich meinen Blick auf ihn, beobachtete seine Reaktion, als ich ein schlichtes "Okay." von mir gab.
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In my veins
Mystery / ThrillerShae wird auf offener Straße überfallen und kann von Glück reden, als ihr ein mysteriöser Fremder zu Hilfe eilt. Das dieser jemand allerdings eine noch viel größere Gefahr darstellt, bemerkt sie erst als sie Tage später in einem Zimmer aufwacht das...