78~ Wie ein Lachen jedes noch so schlechte Gefühl bezwingt

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Sinja:

Ich schlucke und ergreife den erstbesten Gedanken, welcher sich für mich ersichtlich macht...

Dann öffne ich den Mund und beginne zu sprechen. Die Worte kommen mir über die Lippen, ohne dass ich darüber nachdenken müsste, ohne Zurückhaltung oder Einschränkung:

"Ich...ich habe das Gefühl, dass mein ganzes Leben verrückt spielt", beginne ich, "innerhalb kürzester Zeit habe ich meinen Vater verloren, bin auf einen komplett anderen Kontinent gezogen, habe meine vergessenen Brüder wiedergefunden, bin in einer WG untergekommen, dann wieder zurück nach Europa, um herauszufinden, dass ich eigentlich noch eine kleine Schwester hätte, wäre sie nicht verstorben und zum Schluss...zum Schluss stellt sich heraus, dass ich mich wohl Hals über Kopf in dich verliebt habe...in den Jungen, welcher mich eigentlich schon bei seinem blossen Anblick auf die Palme bringt...", hauche ich kaum hörbar, was Finn ein sofortiges Grinsen entlockt, "und nicht zu vergessen die Tatsache, dass du nun auch noch mit diesem Jungen in einer Beziehung steckst", hängt er an und erntet ein schwaches Lächeln meinerseits.

Doch gleich darauf nehmen mich die Schatten der Besorgnis wieder in ihre Gefangenheit, ziehen mir die Worte aus dem Mund, wollen sie ausgesprochen haben und kein Millimeter meines Körpers scheint etwas dagegen tun zu wollen. Ganz so, als würde alles in mir den Schatten zustimmen, die mich belastenden Gedanken ebenfalls loswerden zu wollen. Es scheint so, als würden gut und böse zusammenarbeiten...zusammenarbeiten in einem gemeinsamen Ziel, einer gemeinsamen Motivation.

"Naja, und jetzt...", fahre ich stockend weiter, verdränge das Bild von gut und böse, "jetzt habe ich das Gefühl, einfach überfordert zu sein. So unglaublich viele Eindrücke prasseln auf mich ein, scheinen meine Seele erdrücken zu wollen und nun, nachdem, was mit Connor los ist, nachdem ich wirklich gedacht habe, die Lösung vor Augen zu haben...hat er einfach aufgegeben...Ich weiss echt nicht, warum bei mir die Sicherungen durchgebrannt sind, warum ich alle Selbstbeherrschung verloren habe...Das einzige aber, was für mich nun glasklar ist, setzt sich daraus zusammen, dies nie wieder erleben zu müssen! Ich habe mich so unglaublich schwach gefühlt, habe keine Kraft mehr besessen, meinen Körper nicht unter Kontrolle gehabt und das...dieses Gefühl ist einfach so...so angsteinflössend, erdrückend und..." Ich stocke im Satz, als mir etwas aufgeht.

Ein weiterer Gedanke hat sich seinen Weg durch das Getümmel zu mir hin gebahnt. Ich fokussiere mich auf ihn, betrachte ihn genauer und von allen Seiten. "Aber...", murmle ich leise, "aber irgendwie scheint es auch befreiend gewesen zu sein...Ich glaube, allem Anschein nach hat mein Körper genau das gebraucht, um wieder neue Dinge aufnehmen zu können. Irgendwie scheint mein Speicherplatz für jegliche äussere Eindrücke voll gewesen zu sein, womit ich nicht länger habe leben können. Ich scheine nicht einfach wahllos der Explosion meiner selbst ausgeliefert zu sein gewesen, sondern habe mich bloss von all den mich zerstörenden Einflüssen befreien müssen..."

Überrascht von meinen eigenen Worten, blicke ich Finn in die sturmgrauen Augen, in welchen sich nun ein glückliches Funkeln befindet, welche (wenn ich mich nicht täusche) mit einem kleinen Hauch von Stolz versehen sind.

"Siehst du Prinzessin!", schmunzelt er, "sich alles von der Seele reden zu können, ist wunderbar. Und manchmal auszurasten ist ebenso erlaubt, wie jedes andere Gefühl. Du bist nämlich Herr deiner Selbst, inbegriffen deiner Emotionen, Wahrnehmungen und Gedanken. Dieses Geschenk ist jedem Menschen gegeben, doch nur wenige scheinen zu wissen oder erkennen zu können, was wirklich in ihnen steckt und wie viel davon sie alleinig durch eigene Entscheidungen steuern können."

Er streichelt mir sanft mit dem Daumen über den Handrücken und erfüllt von einer plötzlichen Ruhe, lehne ich mich ein wenig nach hinten an ihn. Meine Augen schliessen sich wie von selbst und ich geniesse bloss noch die Anwesenheit, die Nähe meines Freundes, meines Ankers, welcher mich vor dem Ertrinken in der gewaltigen Flut aus Gedanken und Emotionen rettet.

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