Sinja:
Mit zitternden Fingern wähle ich die Nummer meiner Brief-, respektive Skypefreundin und warte geduldig darauf, dass sie abnimmt. Nachdem ich die Nachrichten und Briefe meiner Brüder gefunden habe, habe ich sie alle einmal sorgfältig umgepackt...allgemein habe ich alles gepackt.
Das einzige, was ich will ist weggehen. Weg von diesem Ort, diesen Erinnerungen, diesen Erfahrungen. Nach dem vierten Tuten wird es kurz ruhig und einen Augenblick danach, taucht das lächelnde Gesicht von Kiki auf.
"Heyyy Schatziii!" Ruft sie überschwänglich meinem Bild auf dem Desktop entgegen und ich kann mir ein Schmunzeln kaum unterdrücken. Doch schnell wird mein Blick wieder ernst. "Hey Kiki...ich brauche deine Hilfe." Komme ich sofort zur Sache. Für Smalltalk habe ich im Moment nämlich gar keine Nerven.
Ihre Stirn bildet runzeln und kritisch mustert sie mich. "Das klingt irgendwie ziemlich ernst. Ist alles in Ordnung?" "Ja" antworte ich gewohnheitshalber, korrigiere mich aber schnell. "Naja...eigentlich nein. Mein Vater ist gestorben." Ihre Augen weiten sich erschrocken und ich sehe, wie sich ihre Miene mitleidig verzieht.
"Oh Gott! Schatzi! Wie geht es dir? Wie kann ich dir helfen? Ich mach alles! Wenn du willst hole ich sofort Messer und Pistole und fliege zu dir nach Europa wenn nötig. Du musst bloss nicken und in einer Sekunde...okay, einem Tag bin ich bei dir!"
Lächelnd über ihre Fürsorge und Bereitschaft schüttle ich den Kopf. "Nein, keine Sorge...ich wollte dich nur fragen, ob du immer noch in einer WG wohnst?" Sie kneift die Augen zusammen und streicht sich eine Strähne ihres, mit Ombré geschmückten Haares, hinters Ohr. Eigentlich hat sie dunkelbraune, beinahe schwarze Haare, hat sich aber letztes Jahr dafür entschieden, sich Ombré in eine graue Farbe verlaufend, machen zu lassen. Das passt natürlich genial zu ihren grauen Augen und insgeheim bin ich extrem neidisch auf ihr bildhübsches Aussehen.
Ich hingegen mit meinen grün-grau-blau-braun-Mischmasch-Augen und den blond-braunen Haaren, sehe aus wie ein ziemlich sehr misslungenes Bild eines Weihnachtsengels mit ebenso misslungenen (nicht gewollten) Stränchen. Ohne Anmut, Grazie oder gar Flügel.
"Naja, ich wohne zwar im Moment noch mit meinem Bruder in der WG, das stimmt, aber erst letzthin hat er beschlossen, zu seinen Kumpels in die WG zu ziehen...das heisst, er lässt mich einfach mal komplett alleine." Schmollt das Mädchen und ich kichere. "Vielleicht habe ich etwas, das uns beiden helfen könnte." komme ich auf den Punkt und interessiert mustert sie mich.
"Ich bin ganz Ohr, sprechen sie weiter Madame." antwortet sie hochgestochen und streckt die Nase in die Luft, was mir abermals ein Grinsen entlockt. "Najaaaa, ich habe vor nach Amerika zu ziehen u-" durch ein lautes Kreischen werde ich unterbrochen. "DU WILLST WAS?!" Schreit sie mich durch den Bildschirm an.
Ein wenig gequält kneife ich die Augen zusammen. "Lass mich doch ausreden." Sie verdreht die Augen, hat aber ein riesiges Grinsen im Gesicht. "Alsoooo," fahre ich fort, "auf jeden Fall wollte ich dich fragen, ob du mich vielleicht einige Zeit be-" "Kiara! Alles okay?" höre ich plötzlich aus ihrem Zimmer, kann die Stimme aber unmöglich einem ihrer Kuscheltiere zuordnen.
Die Stimme ist tief und warm und ich will unbedingt wissen, wer da spricht. Kiki verdreht nur die Augen "Verschwinde Finnley!" "Nenn mich nicht Finnley!" Knurrt die andere Stimme und Kiki zieht die Augenbrauen zusammen. "Na dann nenn du mich nicht Kiara."
Ich höre nur noch, wie eine Tür ins Schloss fällt und Kiki ihren Kopf dann wieder zu mir dreht. "Also, wo waren wir?" lächelt sie mich unschuldig an und ich runzle die Stirn. "Wer war das?" Meine beste Freundin winkt ab. "Aach, nur mein Bruder Finn. Er hat wohl gedacht, ich hätte eine Spinne gesehen." Nun ziehen sich meine Augenbrauen noch mehr zusammen. "Hä? Ich dachte, du hast gar keine Angst vor Spinnen."
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Wie ich bin...
Teen FictionSinja Eileen Archer lebt ihr Leben so, wie es jede zurückhaltende junge Erwachsene in ihrer Situation tun würde: Vernünftig und immer mit einem Lächeln auf den Lippen. Doch dann erfährt sie etwas, das ihr ganzes Leben auf den Kopf stellt. Seit ihrem...