„Du lügst", bringst du irgendwann heraus, deine Stimme klingt brüchig und die Unsicherheit und Verletztheit in ihr ist nicht zu überhören.
In einer anderen Situation würdest du dich für deine Schwäche verfluchen – du gibst ihm genau das, was er haben will – jetzt gerade ist sie dir trotzdem vollkommen egal. Das, was Doji über deinen Vater gesagt hat, zählt, alles andere ist im Moment nicht relevant.
Dojis Züge nehmen wieder eine neutrale Haltung ein, er lässt sich die Genugtuung nicht anmerken. „Nein, das tue ich nicht und das weißt du, sonst würdest du nicht so reagieren."
Alles in dir sträubt sich dagegen, aber er hat leider recht. Wärst du dir zu einhundert Prozent sicher, dass dies nicht der Fall sein könnte, hättest du keine Zweifel und die Anschuldigung würde dich nicht derart aus der Bahn werfen.
Irgendwo tief in dir ziehst du sie in Erwägung und kannst dir vorstellen, dass es wahr sein könnte.
Was bist du für eine schlechte Tochter, dass du deinem Vater, der immer alles für dich getan hat und durchs Feuer für dich gehen würde, so etwas zutraust?
„Ich helfe dir auf die Sprünge. Du hast mich schon vor der entsprechenden Nacht gesehen, als du dich rausgeschlichen hast. Dein Vater und ich haben uns draußen unterhalten. Er hat dich nicht gesehen, aber ich."Wie ein kleiner Ninja huschst du auf Zehenspitzen zur Haustür, angespannt umklammerst du die Taschenlampe fest und hältst den Atem an. Deine Eltern dürfen dich nicht erwischen, sie würden dir die Hölle heißmachen, dass du um die Uhrzeit in deinem Alter nach draußen gehst, um die Sternschnuppen zu beobachten.
Sie machen sich viel zu viele Sorgen um dich, du bist nicht mehr vier Jahre alt und brauchst keinen Babysitter mehr. Ryuga und du könnt selbst aufeinander aufpassen, ihr seid zu zweit und es besteht kein Grund zur Angst. Euch wird nichts passieren.
Nur weil deine Eltern übertreiben und übervorsichtig sind, lässt du dir nicht die Chance entgehen, dir den Meteorschauer anzugucken.
Langsam drehst du den Schlüssel im Schloss um und drückst in Zeitlupe die Klinke herunter. Es ist nicht das erste Mal, dass du dich heimlich rausschleichst, doch die Aufregung wird nie weniger. Sobald du auffliegst, wirst du dir nie wieder mit Ryuga die Sterne anschauen dürfen. Wahrscheinlich dürftest du bis zwanzig dein Zimmer nicht mehr verlassen, weil dein Handeln ach so gefährlich und unüberlegt sei.
Bevor du hinaustrittst, lauscht du, ob du irgendwelche anderen Geräusche außer das leise Schnarchen wahrnehmen kannst. Da jenes nicht der Fall ist, schließt du die Tür hinter dir und atmest erleichtert aus.
Wenige Sekunden später reißt du erschrocken die Augen auf und musst dir die Hand vor den Mund halten, sonst wäre dir ein entgeisterter Laut entwichen. Dein Herz schlägt panisch schneller und du schluckst angespannt.
Nicht weit von dir entfernt siehst du deinen Vater Seishin und eine weitere Person stehen, die sich unterhalten. Der Mann hat braunes Haar und trägt eine Brille sowie einen violetten Anzug. Er ist dir gänzlich unbekannt, die komische auffällige blonde Strähne wäre dir im Gedächtnis geblieben.
Warum reden dein Vater und er zu solch einer späten Stunde miteinander?
Plötzlich sieht der Unbekannte zu dir auf und du erstarrst. Du bist geliefert und wirst nie wieder dein Zimmer verlassen. Zu deiner Verwunderung tritt er einen Schritt zur Seite und versperrt Seishin die Sicht auf dich.
Ohne dies weiter zu hinterfragen, eilst du zu Ryugas und deinem Stammplatz, wo er längst auf dich wartet.
„Das heißt noch lange nichts." Störrisch straffst du die Schultern und setzt dich aufrecht hin. „Wahrscheinlich hat er dich entdeckt und wollte wissen, was du nachts in unserem Dorf machst."
Deinen Versuch tut Doji mit einem müden Zucken der Mundwinkel ab. „Dann hätte er dich sicherlich vor mir gewarnt."
Sofort setzt du als Abwehrhaltung zu einer Lüge an: „Das hat er."
Grundsätzlich stimmt deine Aussage zum Teil, Seishin wollte nie, dass du spätabends mit Ryuga alleine rausgehst – die Bedeutung dahinter ist verschieden definierbar.
„Natürlich hat er das." Besserwisserisch rückt sich Doji die Brille auf seiner Nase zurecht, dass die Gläser das Licht der Laterne spiegeln und reflektieren. „Was für eine Ausrede fällt dir dazu ein, dass er damals vor der Polizei und dir behauptet hat, mich nicht zu kennen? Dadurch verlor deine Aussage massiv an Glaubwürdigkeit und du warst für die Polizei nicht mehr als ein kleines verängstigtes Kind, das unter Schock stand."
Leider stimmt diese Behauptung ebenfalls. Die „Befragung" mit der Polizei ist zu verschwommen und lückenhaft, eine andere Szene kommt dir dafür allerdings glasklar in den Sinn.
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Kindheitsträume - I. Versprochen ist versprochen
Fiksi PenggemarDu kennst Ryuga gefühlt, seit du denken kannst und dennoch kommt es dir so vor, als würde ein Fremder und nicht dein ehemaliger Kindheitsfreund vor dir stehen. Was ist aus dem kleinen Jungen geworden, der dir einst das Versprechen gegeben hat, dass...