Es ist nun fast einen Monat her, dass du Tsubasa einen Teil der Wahrheit erzählt hast und du bereust deine Entscheidung nicht, sondern hältst sie weiterhin für richtig. Zwar weißt du immer noch nicht, was sein wahres Ziel ist und welche Beweggründe ihn in die Dark Nebula geführt haben, dafür kennt er deinen Plan nicht – damals ist nicht der richtige Zeitpunkt gewesen, um ihn zu verraten.
Euer Deal steht noch und du wartest mittlerweile nur noch auf den passenden Moment, damit du ihn einweihen kannst. Du hättest es niemals erwartet, aber nach einem Monat vertraust du Tsubasa in der Hinsicht absolut.
Er steht nicht auf Dojis Seite und im schlimmsten Fall würde er dir keine Hilfe anbieten und sein eigenes Geheimnis, das er erfolgreich verbirgt, dir nicht verraten. Seit deinem Besuch von Koma Village hast du schon schlimmere Enttäuschungen verkraftet.
Viel erschreckender ist, dass sich die vier Wochen nicht gezogen haben und beinahe an dir vorbeigezogen sind. Das Hauptquartier der Dark Nebula fühlt sich nicht wie ein Gefängnis an und eine Routine hat sich bei dir eingeschlichen.
Jeden Tag trainierst du sowohl deine Fähigkeiten mit deinem Bey als auch deine körperlichen Fertigkeiten und obwohl dir anfangs förmlich alles wehgetan hat und du Stellen entdeckt hast, an denen du niemals geglaubt hättest, Muskelkater zu bekommen, freust du dich jeden Morgen darauf.
Die eigenen Fortschritte zu sehen, motiviert ungemein und zusammen macht das Training viel mehr Spaß. Der Versuch, Tsubasa zu schlagen, treibt dich zu ungeahnten Höchstleistungen an und Yu zaubert dir jedes Mal ein Lächeln ins Gesicht.
Selbst an dem Geburtstag deines Vaters, an dem du am liebsten jeden ermordet hättest, der es gewagt hat, dich anzusprechen, konnte er dir das ein oder andere Lachen entlocken.
Seine Ähnlichkeit zu Ryuto früher ist erschreckend und es ist viel zu lustig, ihn zusammen mit Tsubasa zu ärgern. Gemeinsam macht ihr die Dark Nebula unsicher.
Wenn du nicht trainierst und keine Zeit mit Tsubasa oder Yu verbringst, sammelst du Punkte für das anstehende Turnier. Doji möchte unbedingt, dass du an Battle Blader teilnimmst und da du das Beybladen aufgrund gewisser Umstände etwas vernachlässigt hast, musst du einiges aufholen und deinen Punktestand rasch erhöhen.
Knapp 13.000 Punkte fehlen dir noch und dir bleibt circa ein Monat Zeit, um die benötigten 50.000 zu erreichen. Das sollte eindeutig machbar sein, erst recht mithilfe der Dark Nebula. Merci hat dir extra eine Übersicht aller anstehenden Turniere zukommen lassen und bei weiteren Entfernungen erweist sich der Hubschrauber als äußerst praktisch.
Die Aufregung vor einem Kampf, der damit verbundene Adrenalinschub und die Freude über einen Sieg lassen dich beinahe alles vergessen. In dem Moment gibt es nur deinen Bey, euren Gegner und dich. Alle Sorgen und Probleme scheinen auf einmal ganz fern und nichts außer der Spaß zählt.
Deswegen hast du damals zusammen mit Ryuga das Beybladen angefangen und es über all die Jahre nie aufgegeben. Von Personen wie Doji wirst du dir das niemals kaputtmachen lassen und diejenigen, die die wahre Bedeutung des Bladens verdrängt haben, an sie zurückerinnern.
Ein Bey ist nicht dazu da, um seine Kraft zu missbrauchen und er ist erst recht kein Werkzeug zur Eroberung der Welt. Eines Tages wird das hoffentlich jeder verstanden und verinnerlicht haben.
Obwohl dir die dunkle Macht eine heiden Angst einjagt, bleibt Vision Hippogryph dein Partner und du wirst ihn garantiert nie als ein Mittel zum Zweck oder eine Gefahr sehen, was zum Glück auf Gegenseitigkeit beruht.
Ohne deinen Beyblade hättest du es nie im Leben so weit gebracht und nicht derart tolle Leute kennengelernt. Die Dunkelheit in ihm ändert nichts daran, du musst sie schließlich nicht nutzen und all die Jahre hast du sie nie gespürt.
Es liegt an dir, wie du mit ihr umgehst und du vertraust darauf, dass du sie kontrollieren kannst. Solange du dich deiner Wut und deinem Hass nicht hingibst, wird die Dunkelheit keine Chance haben.
Sollte das nicht der Fall sein, hast du genügend Freunde in deinem Leben, die dir das Licht zurückbringen und dich aus der Finsternis befreien.
Diese Einsicht hat definitiv viel zu lange gebraucht und ohne Gingka oder Tsubasa hättest du sie wahrscheinlich niemals erlangt – das musst du dir eingestehen.
Es ist falsch, sich panische Gedanken über die dunkle Macht zu machen und sich auf die negativen Dinge zu fokussieren, das nährt sie nur noch weiter.
Doji will höchstwahrscheinlich genau das erreichen und das weißt du zu verhindern. Gingka ist das beste Beispiel dafür, kaum einer erreicht seine Stärke und trotz der schrecklichen Dinge, die er erlebt hat, hat er seine Fröhlichkeit und seine Freude am Beybladen nie für lange verloren.
Manchmal wirkt vielleicht alles aussichtslos, das heißt aber nicht, dass es nicht besser werden oder irgendeinen Weg geben könnte. Er gibt nicht auf und das wirst du ebenfalls nicht tun.
Das kleine Mädchen von früher ist vielleicht noch nicht gänzlich verloren, ebenso wenig wie ihr damaliger Kindheitsfreund. An dieser Vorstellung hältst du fest, denn sie spendet dir neue Hoffnung.
Es muss noch nicht alles zu spät sein. Sicherlich wird keiner von euch mehr ganz wie früher sein – das ist vielleicht gar nicht so schlecht – allerdings bedeutet das nicht, dass nicht noch Bruchstücke dieser Personen existieren, die nur an die Oberfläche gebracht werden müssen. Ganz selten schaffen es Ryuto, Gingka oder Tsubasa, dass du in dir erneut einen Teil des Mädchens von vor fünf Jahren erkennst und du wünschst dir, dass dir das bei Ryuga eventuell auch gelingt.
Er hat niemanden, der ihn sonst aus der Dunkelheit befreien kann, bevor sie ihn gänzlich verschlingt und seinen Verstand vollends vernebelt.
Das Wohlergehen Ryutos und seiner Eltern ist ihm nicht egal gewesen – völlig irrelevant, ob er das leugnet – und das bietet dir zumindest einen kleinen Punkt, an dem du ansetzen kannst.
Einen Versuch ist das allemal wert, nachdem sämtliche andere, die du unternommen hast, gescheitert sind. Obwohl ihr fünf lange Jahre keinen Kontakt hattet und nun sogar in demselben Gebäude lebt, hast du den Monat keinerlei Fortschritte gemacht und die Distanz könnte kaum größer zwischen euch sein.
Tag für Tag wird die dunkle Macht um ihn stärker – das kannst du bei euren Begegnungen spüren – und du hast keine Ahnung, was du dagegen unternehmen kannst. Auf dich wird er nicht hören, eure ehemalige Verbindung zueinander bringt dich nicht weiter und hat sich eher als Nachteil erwiesen.
Du wirst nicht umherkommen, deinen Plan demnächst in die Tat umzusetzen, obwohl er dir nicht ganz gefällt. Irgendwann müssen die ewigen Lügen ein Ende haben und du möchtest nicht ähnliche Spiele spielen wie Doji.
Das entfernt dich nur noch weiter von der Person, die du sein willst und bringt dich dem näher, das du verabscheust, aber dir bleibt keine Wahl. Eine andere Möglichkeit gibt es nicht.
Resigniert seufzend, legst du den Kopf in den Nacken und starrst an die weiße Decke. Darüber wolltest du dir eigentlich im Moment gar keine Sorgen machen und du bemühst dich deshalb, die Zweifel und das Chaos aus deinem Kopf zu verbannen. Das ist kein passender Zeitpunkt dafür, Doji und Tsubasa könnten jederzeit zurückkommen – zumindest hoffst du das.
Auf die beiden wartest du schon viel zu lange, Merci hat dich in Dojis Büro zitiert und seitdem sitzt du wie bestellt und nicht abgeholt auf einem der Sessel und hast keine Ahnung, wo die zwei stecken.
Die Aussicht hat dich irgendwann gelangweilt, Metal City ist zwar schön, jedoch bieten Hochhäuser und ein blauer Himmel nicht viel Unterhaltungsbedarf. Damit du nicht auf blöde Ideen kommst und beispielsweise Dojis liebsten Kaktus anzündest – die Vorstellung ist zu verlockend und die Chance könnte kaum idealer sein – hast du schlussendlich Platz genommen und bist wie so oft mit deinen Gedanken abgedriftet.
Merci hat keinen Grund für deinen Abstecher in Dojis Büro genannt, sondern nur erwähnt, dass Tsubasa ebenfalls da wäre, beziehungsweise da sein sollte, also kannst du nur spekulieren, was es damit auf sich hat.
Höchstwahrscheinlich will Doji euch entweder zum Punktesammeln losschicken oder euch wie bei Tsubasa und Yu neulich die Stärke der Dark Nebula beweisen lassen.
Ersteres fändest du deutlich angenehmer, du musst nicht live vor der ganzen Welt deine Mitgliedschaft in der Dark Nebula zeigen, darauf kannst du verzichten.
Die Tür öffnet sich endlich und Doji und Tsubasa betreten das Büro, deinen genervten Blick überspielst du gar nicht erst.
„Schön, dass ihr mich auch einmal mit eurer Anwesenheit beehrt", begrüßt du sie schnippisch.
Dojis Miene bleibt neutral und du kannst nichts aus ihr ablesen. „Wir mussten noch etwas besprechen."
Die Antwort ist alles andere als zufriedenstellend und ergibt wenig Sinn. Wozu hat Doji sein eigenes Büro, wenn er es nicht nutzt, um in diesem mit den Mitgliedern seiner Organisation zu reden?
Wollte er nicht, dass du ihr Gespräch mitbekommst? Als würde dir Tsubasa nicht höchstwahrscheinlich eh davon berichten und er besitzt nicht umsonst die künstliche Intelligenz Merci, die dir Bescheid hätte geben können, dass Doji noch einen Moment benötigen würde.
Da er sich dir gegenüber allerdings nicht rechtfertigen muss und der Mehrwert einer Diskussion gleich null wäre, sparst du dir einen weiteren Kommentar. Immerhin Tsubasa nickt dir kurz zu und sieht dich entschuldigend an, was deine schlechte Laune ein bisschen anhebt.
„Ihr werdet zusammen an einem Tag-Team-Turnier teilnehmen, um Punkte für Battle Blader zu sammeln. Die Gewinner erhalten jeweils 5.000 Punkte und ich erwarte von euch, dass ihr sie holt. Tsubasa ist über alles weitere informiert." Für wenige Sekunden betrachtet Doji Tsubasa mit einem undefinierbaren Gesichtsausdruck und sein Tonfall wird bei dem letzten Satz etwas schärfer. „Ein Hubschrauber steht bereit."
Mit einem Handwinken entlässt er euch und du erhebst dich von dem Sessel, während Tsubasa in der Tür auf dich wartet. Das lästige Herumsitzen hat sich eindeutig gelohnt, jene Information hätte Merci dir nicht einfach übermitteln können.
Dann hättest du längst eine Tasche gepackt und ihr könntet euch direkt auf den Weg machen.
„Wie lange sind wir weg?", fragst du Tsubasa, als ihr auf den Flur hinaustretet.
Die wenigen Angaben von Doji bringen dich nicht sonderlich weit. Dass er ein Tag-Team-Turnier für euch ausgewählt hat, wundert dich, auf Teambuilding scheint er normalerweise keinen großen Wert zu legen.
Des Weiteren haben Tsubasa und du bisher kein einziges Mal zusammen gekämpft, das sind keine guten Voraussetzungen für einen Sieg. Irgendetwas anderes muss dahinterstecken, aber was?
„Zwei Tage, morgen ist das Turnier und danach fliegen wir wieder zurück."
Die Antwort macht es nicht unbedingt klarer und wirft nur weitere Fragen auf: „Hätten wir dann nicht einfach erst morgen anreisen können?"
Das klingt nicht nach einem von Dojis Plänen, euer heutiger Aufenthalt ist nicht notwendig. Warum sollte euch Doji also verfrüht losschicken? Solch eine Ressourcenverschwendung und Unachtsamkeit – er kann euch in der Zeit schlechter überwachen und euch beiden wird er am meisten misstrauen – sieht ihm nicht ähnlich.
„Deshalb habe ich gerade mit Doji gesprochen. Du verträgst das Fliegen nicht sonderlich gut, also wärst du morgen unkonzentriert und wir haben noch kein einziges Match gemeinsam geführt, demzufolge wäre es klug, vorher in Ruhe eine Strategie zu besprechen", erklärt Tsubasa sofort.
Dem Funkeln in seinen Augen zu urteilen, steckt aber noch etwas mehr dahinter. Aufmerksam schaut er sich um, greift sanft nach deinem Handgelenk und navigiert dich in eine der wenigen Ecken mit einem toten Winkel für Merci.
Trotzdem flüstert er möglichst leise: „Wir sollten reden, findest du nicht?"
Selbstverständlich ist dir direkt bewusst, worauf er hinaus will, anscheinend beruht das Vertrauen auf Gegenseitigkeit und er möchte dich ebenfalls einweihen.
„Das sollten wir, ich hatte denselben Gedanken." Ein freches Grinsen bildet sich auf deinen Lippen. „Ansonsten könnte man das auch schnell falsch verstehen, Tsubasa." Dein spielerischer Tonfall lässt keinen großen Interpretationsfreiraum.
Tsubasa erwidert die Geste und seine Mundwinkel heben sich ebenfalls. „Vielleicht gehört das zum Plan. Doji wird ein gewisses Eigeninteresse dahinter vermuten und es schadet nicht, ihn in die falsche Richtung zu lenken und ihn das glauben zu lassen, was er will."
Verstehend und gleichzeitig zustimmend nickst du. Zwar wäre es dir lieber gewesen, dass er dich eher über diesen Einfall informiert hätte, jedoch findest du seine Idee nicht schlecht. Der Abstand von der Dark Nebula und das Turnier zu zweit wirken dadurch weniger verdächtig und Doji kann sich einen Grund zusammenreimen.
„Bis gleich dann. Ich muss noch meine Tasche packen", erwiderst du schlussendlich. „Wir sehen uns in ein paar Minuten am Landeplatz und können dann später alles weitere besprechen."
Trotz des toten Winkels ist dir nicht ganz wohl dabei, so etwas in der Zentrale der Dark Nebula zu bereden, die paar Stunden kann die Unterhaltung noch hinausgezögert werden, sie machen auch keinen Unterschied mehr.
Bevor du aus der Ecke trittst und dich auf den Weg zu deinem Zimmer machst, wartest du aus Höflichkeit noch ein „Bis gleich" von Tsubasa ab.
Deine Räumlichkeiten sind nicht weit von Dojis Büro entfernt, demnach erreichst du sie schnell. Dass deine Tür einen Spalt breit offensteht, lässt dich aber für einen Moment innehalten und du greifst skeptisch zu deinem Launcher.
Du hast sie eindeutig geschlossen, als du zu Doji gegangen bist, wer hat sich in der Zeit also Zugang zu deinen Sachen verschafft?
Derjenige wird auf jeden Fall eine Lektion erleben. Nachdem du deinen Bey eingerastet hast, stößt du mit dem Fuß die Tür auf und gehst in dein Zimmer. Es ist gar nicht nötig, dass du dich genau umschaust, denn du kannst den Übeltäter sogleich entdecken:
Ryuga sitzt auf dem Stuhl vor dem kleinen Schreibtisch, auf dem aufgeklappt dein Laptop steht und tippt auf der Tastatur herum.
Es sollte dich nicht wundern, dass ausgerechnet er so etwas macht. Wer sonst würde sich etwas derart Dreistes wagen?
„Einen Kampf gegen LDrago würdest du verlieren, also pack deinen Launcher weg", meint Ryuga nur unbeeindruckt und blickt nicht einmal zu dir.
„Sicherlich würdest du irgendwelche unangekündigten Besucher genauso freundlich behandeln." Dein Tonfall ist scharf und angriffslustig, dennoch packst du deine Ausrüstung weg und schließt die Tür hinter dir. „Das Wort ‚Privatsphäre' ist dir wohl nicht geläufig."
Sämtliche gute Vorsätze ignorierst du und überbrückst die geringe Entfernung zwischen euch eiligen Schrittes, ehe du den Laptop zuklappst und ihm dabei bewusst tief in die Augen guckst. „Finger weg von meinen Sachen, Ryuga!"
Er kann sich nicht alles erlauben und gerade hat er den Bogen überspannt. Deine privaten Angelegenheiten haben ihn nichts anzugehen und irgendjemand muss seinen Größenwahnsinn in die Schranken weisen.
Ryuga übergeht deine Aussage einfach und ein provokantes Grinsen liegt auf seinen Lippen. „Ryutos Geburtstag, huh? Das ist niedlich, aber äußerst dumm."
„Dass du überhaupt noch weißt, wann Ryuto Geburtstag hat." Diesmal ist die Diskussion nicht wie eure anderen, zumindest nicht von deiner Seite aus, es fehlt das spielerische Aufziehen. Das Gift in deiner Stimme ist vollkommen ernst gemeint und deine Wut ebenso, deshalb redest du dich förmlich in Rage: „Für dich ist das vielleicht witzig, für mich allerdings nicht. Du hast Ryutos letzte fünf Geburtstage nicht erlebt, du musstest nicht mit ansehen, wie schlecht es ihm ging, da sein einziger Wunsch nicht erfüllt werden konnte: nämlich dich zurück zu haben. Seine größte Hoffnung war, dass du ihm an den Tag anrufst und er endlich ein Lebenszeichen von dir erhält."
Vor ihm willst du eigentlich keine Schwäche zeigen und trotzdem hörst du dich zum Ende hin gebrochen an. Die Vorstellung treibt dir beinahe Tränen in die Augen, Ryuto ist dein wunder Punkt und du kannst deine Sorge um ihn nicht ausschalten.
„Hätte es dich umgebracht, zumindest an dem Tag ihn ein einziges Mal anzurufen – für ihn, deinen kleinen Bruder, der dich über alles liebt und dem egal ist, was du getan hast oder noch tun willst?", fragst du Ryuga schließlich.
Seine Hand ballt sich zur Faust, seine goldenen Iriden wirken für den Hauch einer Sekunde etwas trüber und das Grinsen verschwindet von seinen Lippen. Die Bemerkung hat ihn anscheinend getroffen und kurz einen Teil des alten Ryugas zurückgebracht.
Normalerweise hättest du das als Fortschritt betrachtet, dafür bist du jedoch zu genervt und verkneifst dir daher keinen vorwurfsvollen Kommentar: „Ich dachte mir, dass du darauf keine Antwort hast."
Von Ryuga folgt kein spöttischer und schlagfertiger Konter, stattdessen erhebt er sich wortlos und verringert die Distanz zwischen euch. „Wenn dir Ryuto so viel bedeutet, dann pack deine Sachen und verschwinde von hier." Die Worte ähneln eher einem Vorschlag als einer Drohung und sein intensiver Blick, den du sogleich erwiderst, liegt auf dir.
„Das kann ich nicht. Nicht ohne dich." Deine Stimme klingt wieder fester und gefasster, obwohl du weiterhin aufgewühlt bist.
Im gewissen Maße legt das deine Verletzbarkeit offen und es ist alles andere als leicht gewesen, es auszusprechen. Du hast keine Ahnung, wann du zuletzt so ehrlich gewesen bist und es zugelassen hast, deine Gefühle derart offen zur Schau zu stellen.
Kurz herrscht Stille zwischen euch und die Luft knistert förmlich, ehe Ryuga euer Schweigen durchbricht: „Dann weißt du, wie es enden wird und es wird ihn zerstören."
Darauf kannst du nicht antworten, die Fähigkeit, zu reden, hat dich urplötzlich verlassen und dein Hals fühlt sie wie zugeschnürt an. Er hat recht, denselben Gedanken hattest du ebenfalls schon und du fürchtest dich vor diesem Fall.
Erstens hängst du an deinem Leben und möchtest Ryuga garantiert nicht deine Energie überlassen und zusätzlich könnte kaum etwas wichtiger für dich sein als Ryutos Wohlergehen.
Ryuga vergrößert den Abstand zwischen euch wieder und scheint aufbrechen zu wollen, du hältst ihn jedoch sanft am Arm zurück. Die Bewegung erfolgt fast automatisch von dir und du realisierst sie erst, als deine Hand sich um seinen Unterarm schließt.
„Was willst du wirklich hier?", willst du von ihm wissen. „Du wartest wohl kaum in meinem Zimmer auf mich, nur um mich zu nerven und so interessant sind meine Daten auf meinem Laptop auch nicht."
Schlagartig wird Ryugas Miene wieder kühl und distanziert. „Tsubasa hat Doji das Tag-Team-Turnier vorgeschlagen. Irgendetwas führt er im Schilde." Geschickt befreit er sich aus deinem Griff, ohne dir dabei weh zu tun.
„Und? Ich kann schon auf mich aufpassen." Ein freches Grinsen stiehlt sich auf dein Gesicht und deine Iriden funkeln herausfordernd. „Aber ich weiß deine Besorgnis zu schätzen."
„Mach dich nicht lächerlich." Abwertend schnaubt Ryuga und schüttelt widersprechend den Kopf. „Ich will nur von dir hören, ob du etwas damit zu tun hast. Euch beiden ist nicht zu trauen und die Angelegenheit mit dem Turnier ist äußerst auffällig."
Am liebsten würdest du ihn nicht anlügen, nach all den Lügen möchtest du den endlosen Kreislauf aus Unwahrheiten endlich durchbrechen, dennoch gehst du auf Tsubasas Vorschlag ein und spielst sein Spiel mit.
„Vielleicht möchte er auch nur etwas Zeit mit mir alleine verbringen. Wäre ihm das zu verdenken? Ich bin schließlich ziemlich sympathisch und dazu noch gutaussehend", behauptest du und drehst eine Strähne um deinen Finger.
Unbeeindruckt zieht Ryuga seine Augenbrauen zusammen und mustert dich mit komplett neutraler Miene abschätzend. „Ansichtssache." Sein Tonfall klingt ebenso sachlich.
Dir gefällt es nicht, nichts aus seinem Ausdruck lesen zu können und nicht zu wissen, was er denken könnte. Tatsächlich macht dich das ein bisschen nervös und du verlagerst dein Gewicht von einem Bein auf das andere.
Deine Reaktion bleibt von ihm nicht unbemerkt und du versuchst, sie mit Witz zu überspielen: „Bevor du irgendeinen Kommentar abgibst, überleg dir vorher gut, dass du derjenige bist, der eine Jacke nicht normal tragen kann und fast nur in Schwarz und in Leder herumrennt."
„Sagt diejenige mit der schwarzen Lederjacke." Demonstrativ wandert eine Hand von ihm zu deiner offenen Jacke.
„Die ich nicht komisch über meine Schulter geworfen habe und außerdem habe ich nicht von einem einzigen Teil, sondern von fast nur in Schwarz und Leder geredet, das ist ein wesentlicher Unterschied", ergänzt du und deine Mundwinkel wackeln verdächtig.
Es ist verwunderlich, wie ihr es innerhalb weniger Minuten schafft, einander beinahe umzubringen, danach eine ernsthafte Unterhaltung zu führen und zum Schluss ins Neckische abzudriften. Manchmal kommt es dir vor, als hättest du ihn niemals gekannt und in manchen Augenblicken sind die vergangenen fünf Jahre wiederum komplett bedeutungslos.
Das verwirrt und frustriert dich gleichermaßen, einerseits lässt es Hoffnung aufleben, die viel zu schnell wieder verblasst und andererseits gestaltet es jede Begegnung von euch nicht einschätzbar.
Tsubasa mag ein Mysterium für dich sein, doch mit Ryuga ist es noch viel schlimmer.
„Sollte Tsubasa irgendetwas geplant haben, was ich bezweifel, weiß ich nichts davon." Sanft schüttelst du seine Hand an deiner Jacke ab. „Ich muss packen, bevor ich noch vermisst werde oder der Hubschrauber ohne mich losfliegt und ich den ganzen Weg laufen darf."
Ohne zu zögern, drehst du Ryuga den Rücken zu, nimmst deinen Rucksack und wirfst ihn aufs Bett. Während du letztens noch Angst vor ihm hattest und deine Deckung nicht vor ihm vernachlässig hättest, bereitet dir das heute keine Probleme.
Der Sachverhalt sollte dir eindeutig zu denken geben, aber du ignorierst ihn fürs Erste.
Kurz siehst du über deine Schulter zu ihm herüber. „Sollte es so interessant sein, wie ich meine Klamotten zusammensammle, kannst du gerne noch die fünf Minuten bleiben."
Zu deiner Überraschung bewegt sich Ryuga nicht von Ort und Stelle, sondern bleibt wahrhaftig und das ist eine Tatsache, die du nicht einfach verdrängen kannst und die eindeutig kein leichtes Lächeln auf deine Lippen zaubern sollte.
Dennoch verschwindet es erst wieder, als du den Landeplatz betrittst und Ryuga in die andere Richtung aufbricht.
Für wenige Minuten ist es ein bisschen so wie früher gewesen.
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Kindheitsträume - I. Versprochen ist versprochen
FanfictionDu kennst Ryuga gefühlt, seit du denken kannst und dennoch kommt es dir so vor, als würde ein Fremder und nicht dein ehemaliger Kindheitsfreund vor dir stehen. Was ist aus dem kleinen Jungen geworden, der dir einst das Versprechen gegeben hat, dass...