23. Überfällige Unterhaltungen

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Schon vom Weiten kannst du einen weißen Haarschopf mit einer roten Strähne erkennen, als du dich dem Krankenhaus näherst und du musst automatisch sanft lächeln. Du hast Ryuto unglaublich vermisst, ihr habt noch nie so wenig geschrieben und euch derart selten gesehen.
Auch Ryutos Miene hellt sich sofort auf und er rennt dir das letzte Stück entgegen; scheinbar ist es ihm nicht anders ergangen.

Im Hubschrauber hast du ihn von deiner baldigen Ankunft informiert und er konnte sie wohl kaum abwarten. Wäre Ryuga mitgekommen, hätte er sich sicherlich noch mehr gefreut. Leider ist es dir nicht möglich gewesen, ihn dazu zu überreden. Wahrscheinlich werden sie sich erst erneut begegnen, wenn LDrago geschlagen ist.

„Hey, Kleiner", begrüßt du ihn lachend und Ryuto springt förmlich in deine ausgestreckten Arme.

Er drückt dich fest und legt den Kopf auf deine Schulter. „Hi, Star."

Dir sind die dunklen Ringe unter seinen Augen nicht entgangen, ebenso wenig wie seine geröteten Augen und der matte Ausdruck in ihnen, der untypisch für Ryuto ist. Selbstverständlich geht es ihm nicht gut und dennoch schmerzt dich der Anblick. 
Dass dein Vater das verursacht hat, macht es schlimmer und die bekannte Schuld schleicht sich in deine Gedanken.

„Ich bin froh, dass du da bist", murmelt Ryuto in dein Shirt und du umarmst ihn sogleich etwas stärker.

„Ich auch."

Nur die Umstände könnten gerne anders sein, du solltest ihn nicht wegen solch einer Situation besuchen müssen. Hoffentlich ist nach Battle Blader all das vorbei, keiner hätte das mehr verdient als Ryuto.

Langsam löst sich Ryuto von dir und wischt sich über die verräterisch glänzenden Wangen. „Dad schläft gerade, er ist zwischenzeitlich kurz aufgewacht, nur braucht er viel Ruhe. Die Ärzte sind optimistisch."

„Das klingt gut." Vorsichtig drückst du seine Schulter und piekst ihn dann spaßeshalber in die Seite. „Ich sag doch, dass ihr hart im Nehmen seid."

Unsicher kaut Ryuto auf seiner Unterlippe herum und weicht deinem Blick aus. „Dad und Ryuga vielleicht, ich nicht ..."

Hättet Ryuga und du Seishin nicht schon einen Besuch abgestattet, hättest du dich spätestens jetzt in den Flieger gesetzt, um ihm eine Lektion dafür zu erteilen. Ryuto ist eigentlich niemand, dem es am Selbstbewusstsein mangelt – davon hat er ab und an eher etwas zu viel, das liegt in der Familie – und er sollte Gefühle nicht als Schwäche betrachten. 
Nach allem, das ihm und den Menschen, die ihm am Herzen liegen, widerfahren ist, ist es normal, dass er das nicht ignorieren kann und damit zu kämpfen hat. Das hätte jeder, du zum Beispiel auch und er ist deutlich jünger als du.

„Sag das nicht." Sacht berührst du seine Wange und drehst seinen Kopf zu dir, dass er dich anschauen muss. „Du bist verdammt stark, Ryuto und sollte ich noch einmal das Gegenteil von dir hören, haue ich dich. Keine Widerworte." Freundschaftlich stupst du mit der Faust seinen Oberarm an.

„Hey!" Für den Bruchteil einer Sekunde heben sich Ryutos Mundwinkel und er reibt sich gespielt schmollend seinen Arm. „Danke."

Automatisch musst du auch schmunzeln und winkst den Dank mit einer knappen Handbewegung ab. „Nicht dafür."

Er kann wieder lachen und das ist mehr, als du dir erhofft hast. Natürlich kannst du kein Weltwunder verbringen und ihm sämtliche Last nehmen, trotzdem kannst du für ihn da sein, ihm zuhören, ihn ablenken und ihn gegebenenfalls trösten.
Ryuto kann sich auf dich verlassen, du wirst jedes Mal alles in deiner Macht Stehende für ihn tun.

Kindheitsträume - I. Versprochen ist versprochenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt