26. Samstag - Elias

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Am nächsten Morgen schnappte ich mir meine Schwester Hanna an der Bushaltestelle, meine Mädels stehen lassend.
„Kannst du mir einen Gefallen tun?“
Hanna betrachtete mich skeptisch. Wir hatten ähnliche Gesichtszüge, aber sie hatte die blauen Augen und dunklen Haare unseres Vaters.
„Hängt davon ab.“
Ich atmete tief durch. Das könnte teuer werden.
„Okay. Also es könnte sein, dass heut und die nächsten Tage ein Junge zu mir kommt. Würdest du bitte unseren Eltern nichts sagen?“
Kurz verzog sie angewidert das Gesicht.
„Bei uns? Echt jetzt, Elias?“ Dann guckte sie mich an, einen Finger an ihr Kinn tippend. „Was krieg ich dafür?“
Nochmal Luft holen.
„Die Hälfte meines Taschengeldes diesen Monat.“
Natürlich war das bloß das Anfangsgebot.
Hanna tat, als würde sie überlegen.
„Das wären 25 Euro. Ein bisschen wenig, meinst du nicht?“ Sie lächelte süffisant.
Ich knirschte mit den Zähnen.
„Wie viel willst du?“
„Alles.“ Immer noch lächelnd, klimperte sie mit den Wimpern.
„30 Euro.“
„45.“
„35.“
„40.“
Ich überlegte kurz.
Kleiner gemeiner Gauner!
„35 Euro und ich übernehme deine Küchenpflichten nächsten Monat.“
Jetzt war es an Hanna zu überlegen.
Sie nickte schließlich.
„Gut, ich werde dicht halten.“ Dann machte sie eine wegwerfende Geste. „Du kannst jetzt wieder gehen.“
Was zur ….?!
Schnaubend wandte ich mich ab und kehrte zu meinen Freundinnen zurück.
Überhebliche kleine Unke!

Natürlich hatte ich Dari und Bana gestern Abend zu mir eingeladen, und als Hanna kam, hatte ich Pizza bestellt. Meine Schwester verkroch sich mit ihrer Pizza in ihr Zimmer, während ich mit meinen Mädels im Wohnzimmer feierte. Wenn auch nur mit Limo, Chips, Pizza und Eis.
Aber ich war einfach nur glücklich.
Und letzten Endes lohnte sich der Deal mit Hanna, denn in der Mittagspause, die wir hauptsächlich knutschend im Gebüsch verbrachten, verabredeten wir uns wieder bei mir.
Diesen Nachmittag verschlief Phil nicht.
Stattdessen schauten wir uns tatsächlich den Film an, zusammengekuschelt auf meinem Bett, mit dem Tablet auf'm Schoß.
Es war großartig.
Mittwoch verlief ähnlich, Küsse in der Pause, Besuch am Nachmittag. Aber kein Film, sondern noch mehr Küsse.
Und, Himmel, es war verdammt schwer, sich zurückzuhalten. Am liebsten hätte ich ihm die Kleider vom Leib gerissen.
Immer wieder brach ich ab, lag dann einfach neben Phillip und blickte in seine goldenen Augen, während mein Körper sich langsam abkühlte.

Ich will dir nicht wehtun.
Immer dann hatte ich diesen Gedanken.

Deswegen versuchte ich ihn in der Schule nicht anzustarren, wenn wir uns in den Gängen begegneten. Doch ab und zu erhaschte ich einen Blick.
Phil dagegen schien mich gar nicht wahrzunehmen. Er hatte sich nicht geoutet, und er war wohl besser darin, es zu Verstecken.
Seine Stimme riss mich aus meinen Überlegungen.
„Morgen haben wir lange Nachmittagsstunden, ich muss danach nach Hause. Und am Freitag hat meine Oma Geburtstag.“ Phil sprach leise.
Oh.
„Ist okay. Hast du am Wochenende Zeit?“ Ich versuchte, meine Enttäuschung zu überspielen.
Sein Gesichtsausdruck wurde seltsam angespannt.
„Nein, am Samstag ist die Weihnachtsfeier des Vereins, und am Sonntag gibt's die Feier zu Omas Ehren mit allen Verwandten und so.“
Oh…
Na toll…
Kurz die Augen schließend atmete ich tief durch.
„Okay. Dann sehen wir uns morgen in der Mittagspause. Und am Montag.“
Ich versuchte ein Lächeln.
Phils Reaktion darauf war ein Lächeln, das so traurig aussah, wie sich meins anfühlte.
Bis er wieder gehen musste, kuschelten wir noch schweigend.
Und ich wusste, ich würde ihn vermissen, obwohl wir doch erst ein paar Tage zusammen waren.

So war es auch. Ich vermisste ihn, kaum dass er zur Tür raus war.
Nach dem Chemieunterricht, wo ich ihn sehen, aber nicht sprechen konnte, wurde es schlimmer.
Meine Laune war, sagen wir mal, suboptimal.
Um mich auf andere Gedanken zu bringen, zerrte mich Dari am Samstag ins Einkaufszentrum. Bana verbrachte ihr Wochenende lieber mit Tommy, und ich verstand sie nur zu gut. Mein Neid auf sie machte Gemütslage nicht besser.
Enttäuscht und verärgert lief ich meiner blonden Freundin hinterher, von Laden zu Laden.
Bis mein Blick auf ein kleines Schmuckstück im Schaufenster eines Juweliers traf. Es war ein kleiner, silberner Anhänger in Form eines Fußballs, und ich blieb wie angewurzelt stehen.
Dari ging erst ein paar Schritte weiter, ehe sie merkte, dass ich ihr nicht folgte. Meinen Blick fest auf dem Anhänger, hörte ich sie zurückkommen.
„Echt jetzt, Elli? Ihr seid erst ein paar Tage zusammen.“
Das wusste ich.
Dennoch….
„Weihnachten ist bald.“ Antwortete ich.
Dari stöhnte.
„Du bist ja schlimmer als Bana!“
Na, das ist kaum möglich.
Aber immerhin entlockte mir Dari so ein Lächeln.
„Es ist physiologisch und psychologisch unmöglich in diesem Punkt schlimmer zu sein als deine Schwester.“
Ich schrieb keine Liebesbriefe oder bastelte Geschenke jede Woche.
Dari schnaubte amüsiert, ehe sie seufzte.
„Na geh schon, vorher kommen wir hier eh nicht weg.“
Für einen Augenblick rang ich mit mir selbst.
War es wirklich eine gute Idee?
Dann schob ich meine Zweifel beiseite und betrat den Laden.
Schließlich waren es nicht mal zwei Wochen bis Weihnachten.
Ich wählte zu dem Anhänger noch ein schwarzes Lederband mit Verschluss aus, das er leicht zum Training abnehmen konnte.
Zum Schluss ließ ich es noch in dunkelblaues Papier mit silbernen Sternen verpacken und eine blau-silbrige Schleife drum binden.
Es kostete mich die Hälfte meiner Ersparnisse.
Aber es versetzte mich in gute Laune.
Ich hab das perfekte Geschenk!
Als ich wieder zu Dari zurückkehrte, die mit dem Handy in der Hand gelangweilt vor dem Juwelier stand, und sie mein dümmliches Grinsen sah, rollte sie mit den Augen.
„Glücklich?“ Sie spuckte es mir regelrecht entgegen.
„Jep.“
Und das war ich tatsächlich.
So glücklich, dass ich mich klaglos von einer blonden Furie, die ich Freundin nannte, durchs Einkaufszentrum zerren ließ.
Als sie mich geradewegs in den Hunkemöller ziehen wollte, stemmte ich meine Fersen in den Boden.
Ihr bei der Auswahl von Tops, Hosen oder Kleidern zu helfen, geschenkt.
Unterwäsche dagegen?
Nicht mal, wenn die Hölle zufriert.
„Vergiss es!“ zischte ich.
Sie schaute mich durchdringend an, die braunen Augen verengt.
„Feigling!“
„Nenn mich wie du willst, aber da gehe ich nicht rein.“
Sie wechselte die Taktik. Ihre Augen wurden groß und bittend, ihre Unterlippe schob sich leicht vor und sie senkte den Kopf, um mich durch ihre langen, falschen Wimpern anzublicken.
Wäre ich 'ne Hete, würde es vermutlich wirken.
Ich fand es bestenfalls lächerlich.
„Süße, verschwende diesen Blick nicht an mich. Ich bin einer der wenigen Kerle in der Schule, die deine Titten nicht sehen wollen.“
Das niedliche Gesicht fiel von ihr wie eine Maske, stattdessen sah ich den genervten Blick meiner besten Freundin.
„Weißt du was, ich brauch dich nicht. Geh Kaffee trinken oder so, ich hol mir neue BHs.“
Dari drehte auf dem Absatz um und stürmte regelrecht in den Laden.
Deren Verkäuferinnen taten mir jetzt schon leid.
Schultern zuckend schaute ich mich nach einem Cafe, oder zumindest einem Lageplan, um, mein kostbares Geschenk schützend in der Hand haltend, als ein Atemzug in meinem Nacken mich zusammenzucken ließ.
Erschrocken wirbelte ich herum, nur um einen süffisant grinsenden Alex zu sehen.

Und mein Atem stockte.
Er sah großartig aus.
Die dunklen Haare zurück gegelt, frisch rasiert und mit seinem Hemd und grauen Pullover definitiv overdressed für einen Samstag im Einkaufszentrum. Gekrönt wurde das noch von der schwarzen Hose und den schicken Schuhen in Schwarz. Seinen Mantel trug er über seinem linken Arm.
Jep, overdressed.
„Hast du dir plötzlich eine Freundin angelacht?“ sagte er kurz zu dem Schaufenster hinter mich blickend.
„Beste Freundin.“ Meine Kehle war seltsam trocken, und ich musste mich kurz räuspern, ehe ich weitersprechen konnte. „Hat mich hier stehen lassen. Ich wollte Grad einen Kaffee trinken gehen.“
Alex betrachtete mich eingehend, dann wurde sein Grinsen breiter.
„Gute Idee, lass uns gehen.“
Er ging einfach los, und als hätten meine Beine ihren eigenen Willen, folgte ich ihm.
Es dauerte nicht lange und wir erreichten einen kleinen Italiener, der neben Kaffee auch Eis und Pizzastücke verkaufte. Alex kaufte sich einen Espresso und setzte sich an einen der winzigen Tische, ich folgte ihm mit meinem Latte Macchiato. Zögerlich setzte ich mich zu ihm.
Ich beobachtete, wie er eine unvernünftige Menge Zucker in seine kleine Tasse schüttete, rührte und dann den Löffel ableckte. Mein Blick blieb auf seinen Lippen hängen, während mein Hirn unerwünschte Erinnerungen an die Nacht  mit ihm abspulte.
Kopfschüttelnd versuchte ich sie zu vertreiben.
Alex betrachtete mich amüsiert.
„Also, was treibt dich hierher?“ Er guckte zu dem Päckchen, das jetzt zwischen uns auf dem Tisch stand. „Weihnachtsshopping?“
„Ja, so was in der Art.“ Ich nahm einen Schluck von meinem Kaffee. „Viel interessanter ist, warum du angezogen wie für eine Beerdigung hier herumläufst.“
Für einen Moment brach das Grinsen aus seinem Gesicht, doch gleich darauf erschien es wieder.
„Ich hatte was zu erledigen.“
Mehr sagte er nicht dazu, und ich hatte das Gefühl, er würde nicht mehr sagen.
Schulterzuckend ließ ich dabei.
Still brüteten wir vor uns hin. Und ich kam nicht umhin zu bemerken, dass ich mich zu Alex hingezogen fühlte. Aber ich wollte das nicht. Ich hatte doch einen Freund. Ich hatte Phillip.
Irgendwie war diese Situation irritierend. Wie ein Jucken, das man nicht kratzen kann.
„Hej“ sagte Alex plötzlich „du und dieser Junge, wie hieß er nochmal? Phil! Also, du und Phil, wie läuft's?“
Ich schreckte hoch, fühlte mich ertappt.
„Ähm.“
Wirklich wortgewandt, Elias.
Ich spürte, wie meine Wangen anfingen zu brennen. „Wir sind zusammen.“
Alex grinste wieder sein sexy Grinsen.
„Gratuliere.“
Dann stockte die Unterhaltung wieder.
Was mache ich eigentlich hier?
Ich hätte nie gedacht, dass eine Begegnung mit Alex so unangenehm sein könnte. Woran lag das?
Ein schrilles „Da bist du ja!“ erlöste uns von dem bedrückenden Schweigen.
Dari steuerte auf uns zu und ließ sich seufzend auf eine Stuhl fallen, eine Tüte und ein mit roten Herzen geschmücktes Paket auf das Tischchen schmeißend.
Damit war diese Ausrede für einen Tisch voll.
Selten war ich so froh um ihr Erscheinen.
„Hallo Alex.“ Sagte sie atemlos.
Ich schaute kurz zu dem Päckchen, dann fragend zu Dari.
„Schenkst du dir selbst BHs zu Weihnachten? Oder hast du neuerdings was mit 'nem Mädchen?“
Meine beste Freundin rollte mit den Augen.
Als das damals mit meinem Ex passierte, redeten wir auch über ihre Sexualität.
Sie weigerte sich rundheraus, sich irgendwie festzulegen.
Seitdem zog ich sie ab und zu damit auf.
„Haha, sehr witzig. Nein, das ist für Bana.“ Und dann legte sich ein anzügliches Grinsen auf ihre Züge. „Und für Tommy. Sie werden mir später danken, glaub mir.“
Das war typisch Darylia.
Ich schnaubte, während Alex fragend zwischen uns hin und her schaute.
„Meine Schwester und ihr Freund.“ Elaborierte sie, als sie seinen Blick bemerkte.
Alex nickte.
„Wisst ihr, Jungs, ihr wisst gar nicht, wie schwierig es ist passende Wäsche zu finden. Und ihr werdet es auch nie erfahren, weil ihr euch nicht mal eine Freundin anlachen werdet, also seid dankbar dafür, dass ihr euch nie damit rumschlagen müsst.“ Begann Dari, bevor ein langer Monolog über unmögliche BHs und zwickende Höschen folgte. Über den ich mich diesmal tatsächlich freute.
Sie jammerte ständig über Unterwäsche. Ich hörte nie zu.
Aber ich warf ab und zu ein „Echt jetzt?“  oder so was dazwischen.
Alex dagegen sah aus, als wüsste er nicht, wie er in dieser Mädchenhölle gelandet war und was er tun sollte.
In mir brodelte so was wie Genugtuung zu sehen, wie unangenehm das für ihn war.
Jep, ich war ein Arsch.
Kaum hatte ich meinen Kaffee beendet, stand Dari auf.
„Komm, wir müssen weiter. Dein Schätzchen ist nicht der einzige, der ein Geschenk zu Weihnachten kriegen sollte.“ Sie zwinkerte mir zu.
„War nett, mal wieder mit dir zu reden, Alex. Mach's gut.“
An diesem Satz war soviel falsch, dass ich mich innerlich wand.
Ich stammelte ein „Tschüss.“, dann zog mich meine Freundin auch schon weiter.
Alex schaute uns seltsam fragend hinterher.
Woher ich das weiß?
Weil ich noch zweimal zurückschaute.
Zwei Mal.
Als wir endlich außer Sichtweite waren, verlangsamte Dari ihre Schritte. Aber den Rest des Tages war sie ungewöhnlich still.
Wir hingen beide unseren Gedanken nach, während wir für unsere Mütter gleiche Schals kauften. Für meine Mutter in Türkis, weil es ihre Lieblingsfarbe war, und für Mama Ujstar in rot, weil es ihr besonders gut stand. Da unsere Mütter befreundet waren, würden sie sich über den gemeinsamen Look freuen. Und ja, sie waren diese Art Freundinnen.
Für unsere Väter etwas zu finden war schwieriger. Letzten Endes entschieden wir uns für Gutscheine. Für meinen Dad von einem Buchladen, für Papa Ujstar aus einem Elektronikladen.
Im Bus nach Hause schließlich nahm sie meine Hand, sagte aber weiterhin nichts.
Manchmal vergaß ich bei ihrer Schamlosigkeit, wie einfühlsam sie sein konnte.
Es war gut, dass sie da war für mich.

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Okay, ich bin wieder da. Ursprünglich hatte ich ein längeres Kapitel geplant, aber um endlich wieder etwas veröffentlichen zu können, habe ich beschlossen, es doch zu teilen.
Es ist nicht wirklich Korrektur gelesen, und mit dem Titel des Kapitels bin auch nicht wirklich zufrieden (Vorschläge?).
Aber ich bin wieder da, und ich werde alles raushauen, sobald ich es fertig habe.
Wir alle wollen doch wissen, wie es weiter geht 😉.

Bye
DG

Elias und PhillipWo Geschichten leben. Entdecke jetzt