34. Das Geständnis - Elias

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Hinweis: Für ein optimales Leseerlebnis empfehle ich "Underneath" von Adam Lambert als Begleitmusik. 😉
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Während ich mich aus meinem Mantel schälte, überlegte ich, wie ich es Phil sagen sollte.
Als ich am Wohnzimmer vorbei wollte, hörte ich Paps.
„H-hallo, mein Sohn!“
Er bekam dafür einen Klaps auf den Oberarm von meiner Mutter und einen kalten Blick von mir. Paps grinste dennoch.
„Wie war's, mein Schatz?“ fragte sie lächelnd.
Beide saßen auf der Couch, entspannt, und in mir brodelte es.
„Bestens!“ zischte ich, und ging dann einfach. Ich konnte sehen, wie meine Mam fragend die Augenbrauen hochzog, aber bevor auch nur einer von ihnen reagieren konnte, war ich in meinem Zimmer und warf die Tür hinter mir zu.
Für einen Augenblick stand ich einfach nur da, die Handflächen gegen meine Schläfen gepresst.
Dann fing ich an, in meinem Zimmer auf und ab zu laufen.
Nicht, weil ich nicht wusste, was ich Phil sagen sollte.
Sondern, weil ich es wusste.

Ich musste ihm von Matti erzählen, die ganze beschissene Geschichte.
Das war nicht gerade etwas, worüber ich reden wollte. Aber ich habe darüber nachgedacht, und wenn ich etwaigen Gerüchten, und den damit verbundenen Problemen, vorkommen wollte, musste Phillip die Wahrheit kennen.
Die ganze Wahrheit.
Und zwar bald.
Schleimiger Schlangenaas!
Ich holte tief Luft, dann griff ich nach meinem Handy, nur um es unschlüssig in der Hand zu halten.
Video-Anruf? Oder nur Anruf?
Ich will ihn sehen.
Also wählte ich und schloss die Augen.
Es dauerte lange, bis Phil den Anruf annahm, lange genug, dass ich die Augen wieder öffnete, um ungeduldig aufs Display zu starren.
Als ich ihn endlich zu sehen bekam, musste ich schlucken.
Er sah so besorgt aus. Und er wich meinem Blick aus.
„Hey, Phil.“
Was hatte er schon zu hören bekommen?
In mir blubberte ein seltsames Gemisch aus Gefühlen.
„Hey.“ Er sprach so leise, dass ich ihn kaum hören konnte.
„Scheiße, was hast du gehört?“
Schmerz und Wut sprudelten hoch.
Phillips braune Augen richteten sich weit geöffnet auf mich.
Aber er sagte nichts. Er schaute mich einen Moment lang an, aber er sagte nichts.
Mein Herz schlug schmerzhaft schnell.
„Okay, ich werd‘ dir jetzt etwas erzählen, und ich möchte, dass du einfach nur zuhörst. Ich weiß nicht, ob ich's nochmal hinkrieg‘.“
Ich holte Luft, versuchte sämtliche Gefühle aus dem Weg zu schieben.
„Vor etwa zwei Jahren hatte ich einen guten Freund, Matti. Wir hingen viel miteinander ab, und ich verknallte mich in ihn.“
Ich blinzelte ein paar Mal, als Erinnerung meinen Kopf durchströmten.
„Irgendwann sagte ich es ihm, und er… Er sagte, ihm würde es genauso gehen. Um es kurz zu machen, wir kamen zusammen.“
In meinem Hals bildete sich ein Kloß, das Sprechen fiel mir schwerer.
Phil schaute mich endlich an.
Traurig, besorgt, aber immerhin.
„Wir sagten niemanden etwas, nicht mal meine Mädels wussten davon. Aber für ein paar Monate war ich glücklich.“
Meine Augen trübten sich mit Tränen, die ich wegzublinzeln versuchte.
Und ich dachte, ich wäre drüber weg.
Aber jetzt war alles wieder da.
Die Scham, die Wut, die Angst, der Schmerz.
„Ich habe ihm diese verfluchten Bilder geschickt, weil er mich darum gebeten hatte. Ich war verknallt, ich war naiv, ich war dumm.“
Mehr Tränen sammelten sich in meinen Augen, und ich schloss sie, um zu verhindern, dass sie flossen.
„Er… Er hat sie online gestellt und behauptet, ich hätte sie ihm ungefragt zugeschickt, um ihn anzumachen.“
Mit jedem Wort wurde der Kloß dicker.
Die Tränen quellten aus meinen fest verschlossen Augen.
„Elias?“ Phils leise Stimme ließ mich sie öffnen, und noch mehr flossen meine Wangen hinab.
Nach einem Augenblick konnte ich sehen, dass auch er feuchte Augen hatte.

Und das war der leichte Teil.

Was ich noch zu sagen hatte, hatte ich noch nie jemandem erzählt.
Selbst das Atmen fiel mir schwerer, und ich versuchte noch mal tief Luft zu holen.
„Eines Tages komm ich in die Schule, und alles war anders. Ich bekam seltsame Blicke, wohin ich ging, ich hörte flüstern, und plötzlich rief mich jemand ‚Schwuchtel‘.“
Nochmal durchatmen.
„Noch bevor der Unterricht losging, zogen mich die Mädels in 'ne Ecke, und zeigten mir auf ihren Handys, was los war.“
Alter Schmerz wallte auf. Noch mehr Tränen.
„Für mich brach die Welt zusammen. Ich fühlte mich betrogen. Verraten. Verletzt. Ich fühlte mich, als würde ich sterben.“
Und der Schmerz war noch da.
Phil wischte sich mit dem Ärmel über die Augen.
„Für eine Weile ertrank ich in dem Schmerz und der Scham, die folgten. Ich ertrug es kaum, in die Schule zu gehen. Aber was hätte ich tun sollen? Meine Eltern hatten keine Ahnung. Ich schwänzte trotzdem oft.“
Die Erinnerungen an diese Tage waren alle düster, geprägt von Schmerz, Einsamkeit und Selbsthass.
„Natürlich bekam ich Ärger dafür. Aber zu diesem Zeitpunkt spielte es keine Rolle mehr für mich. Ich fühlte mich so allein, so ungeliebt, so gebrochen.“
Phil fing an auf seiner Unterlippe zu kauen.
„Ich war verzweifelt auf der Suche nach einer Art Bestätigung, dass ich nicht…“
Für einen Moment war mein Hals wie zugeschnürt.
„… Dass ich nicht so wertlos bin, wie ich mich fühlte. Ich suchte an der vermutlich schlimmsten Stelle danach, aber ich hatte mir geschworen, keine Gefühle mehr zuzulassen. Ich war innerlich wie tot.“
Blinzelnd sammelte ich meine Gedanken.
Ich hatte nicht gedacht, dass das alles so schwer werden würde.
„Ich machte … Bekannschaften im Internet. Matti und ich, wir haben nie miteinander geschlafen. Der erste Typ, mein erstes Mal, war beschissen. Ich erinnere mich an den Schmerz. Und daran, dass er mir fast willkommen war, so taub, wie ich innerlich war. Also machte ich weiter. Der zweite war besser. Ich machte weiter. Ich…“
Meine Stimme brach, ich fing an zu Schluchzen.

Ich hatte ehrlich keine Ahnung, wie viele Männer ich getroffen hatte, ich hatte mir nie die Mühe gemacht, mir das zu merken. Sie waren alle bloß Ablenkungen.
Phil ließ jetzt auch seine Tränen fließen.
Es dauerte, bis wieder sprechen konnte.
„Dann bekamen meine Eltern Wind von den Fotos und die Hölle brach los. Nachdem meine Mutter die Wahrheit aus mir gepresst hatte, startete sie einen regelrechten Kreuzzug. Matti wurde der Schule verwiesen, und ich habe seitdem nie wieder von ihm gehört.“
Ich zog meine Nase hoch.
„Die Mädels halfen mir schließlich aus der Scheiße, bauten mich Stück für Stück wieder auf, vor allem Dari.“
Sie hatte eines Tages einfach genug von meiner miesen Laune, zerrte mich zum Shoppen, kleidete mich quasi neu ein.
„Du bist schwul, die ganze Welt weiß es, du hast überhaupt keinen fucking Grund dich zu verstecken! Und jetzt bringen wir mal etwas Glamour in deine Garderobe!“ sagte sie damals.
Sie überzeugte mich auch davon, mir die Haare wachsen zu lassen.
Bana war diejenige, die mich festhielt, wenn ich es allein nicht mehr ertrug.
Also ja, sie waren meine Mädels, und ich liebte sie.
Gedanken an sie, und die guten Erinnerungen halfen mir, mich wieder zu beruhigen, und langsam versiegten die Tränen.
Phil machte den Mund auf, als wollte er was sagen, schloss ihn aber wieder. Wortlos, mit nassen Augen und Wangen schaute er mich an. Ich versuchte, mich trocken zu wischen.
„Du musst nichts sagen, Phil. Ich wollte nur, dass du die Wahrheit kennst.“
„Ich hab von den Fotos gehört.“ Sagte er plötzlich.
„Das Internet vergisst nichts, was?“ schnaubte ich.
Phil betrachtete mich mit einem seltsamen Blick, die Augen noch tränennass.
Zweifelte er an mir?
„Glaubst du mir?“
Kurz stutze Phil, doch dann kam ein kleines Lächeln auf seine Lippen.
„Ja.“
Ich atmete erleichtert auf.
„Gut. Danke.“
Er zog überrascht die Augenbrauen hoch.
„Fürs Zuhören. Für dein Vertrauen.“
Er blinzelte ein paar Mal, aber sein Lächeln wurde etwas breiter.
Ja, ich war erleichtert. Weil ich es los war. Weil Phil mir glaubte. Aber zugleich fühlte ich mich leer, als hätte jemand mir sämtliche Energie ausgesaugt.
„Wir reden morgen, ok?“ Ich war erschöpft.
„Ok. Bis Morgen.“ Lächelnd verabschiedete er sich.
Ich bemühte mich auch um ein Lächeln, doch es kam nur halb zustande.
„Bis Morgen.“ Ich beendete den Anruf.
Ich fühlte mich seltsam.
Ich konnte nicht mal sagen, ob gut, oder schlecht.
Einerseits hatten mich die Erinnerungen aufgewühlt. Andrerseits fühlte ich mich befreit.
Zum ersten Mal hatte ich das Gefühl, das alles loslassen zu können.
Ich weinte wieder, doch es störte mich nicht.
Ich wusste, es würde das letzte Mal sein, dass ich wegen Matti weinte.

Phil, was machst du bloß mit mir?


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Wer nicht zumindest feuchte Augen bekommen hat, hat kein Herz.
Das dürfte das letzte Update für eine Weile sein, bald geht der Weinachtsstress los.
Ich hoffe, es hat euch gefallen.

Bye,
DaGi

Elias und PhillipWo Geschichten leben. Entdecke jetzt