14. Einsichten - Phillip

2.1K 151 9
                                    


Man könnte meinen, ich hätte wissen müssen, dass es Dinge gibt, vor denen man nicht davonlaufen kann.

Ich versuchte es trotzdem.
Ich versuchte, jeden Gedanken an Elias zu verdrängen. Versuchte mich abzulenken. Versuchte alles normal zu machen.

Vergeblich. Mein Denken drehte sich nur noch um ihn. Und die Stunde Chemie am Donnerstag wurde zur Tortur.

Tagsüber funktionierte ich. Mehr oder weniger.

Aber nachts, wenn ich allein im Dunkeln lag, kamen die Erinnerungen.
An seine unfassbaren Augen, wie sie sich einen Sekundenbruchteil, bevor er mich küsste, schlossen. An weiche, warme Lippen, die sich gegen meine pressten. An den flachen, harten Brustkorb, der sich gegen meinen drückte.

Was es nicht besser machte: Am Tag nach dem Kuss erhielt ich eine Nachricht von einer unbekannten Nummer.

‚Du bist wunderschön.‘

Nichts weiter.
Wer hatte mir das geschickt? Etwa er?
Ein Teil von mir wünschte sich, dass es irgendein verliebtes Mädchen war.
Ein anderer Teil dagegen…

Es machte mich kirre, nicht zu wissen, wer das war. Gleichzeitig hatte ich Angst, es herauszufinden.

Irgendwann begann ich nachts Dinge zu den Erinnerungen dazu zu fantasieren. Küsse, die nie passiert waren. Berührungen, die es nie gegeben hatte. Und am Morgen danach tat ich so, als wäre es nie geschehen.

Ich war in der Schwebe.

Das änderte sich nach zwei Wochen.

Als ich erwachte, war das erste, was ich sah, ein zerknülltes Taschentuch auf meinem Nachttisch neben der Lampe.
Die Erkenntnis traf mich mit der Wucht eines Hammers.

Zum ersten Mal seit dem Kuss konnte ich es nicht mehr leugnen.
Am Abend zuvor hatte ich, wie jeden Tag davor, an Elias gedacht. Doch dieses Mal war es nicht bei Träumereien geblieben.

Ich hatte mir einen runtergeholt. Während ich mir vorstellte, dass es seine Hand war.
Mir war in dem Moment schlagartig etwas klar geworden.

Ich will ihn.

Ich lag völlig perplex da, während mein panisches Hirn versuchte, meine gelähmten Lungen zur Arbeit zu bewegen.
Aber erst als eine weitere Erkenntnis mich traf, schnappte ich wieder nach Luft.

Ich bin in Elias Müller verliebt.

Es war der letzte Samstag im November, und damit der letzte Trainingstag vor der Winterpause. Die meisten der Jungs würde ich erst zur Weihnachtsfeier des Vereins in drei Wochen wiedersehen.
Doch bei dem Training brachte ich nichts fertig. Ich baute nur Mist. Weil in meinem Kopf sich ständig ein Satz wiederholte.

Ich bin in Elias Müller verliebt.

Das schlimmste Training meines Lebens. Zumindest hatten meine Eltern den Hausarrest aufgehoben und Kai brachte mich nach Hause. Die ganze Fahrt über schwiegen wir.
Als er vor meinem Haus hielt und ich schon aussteigen wollte, um mich in meinem Bett zu verkriechen, fragte er plötzlich:

„Also, wer ist es?“

Ich erstarrte mitten in der Bewegung, die Hand am Türgriff, den Kopf von ihm abgewandt.

Woher...?!
Atme.

Langsam ließ ich mich wieder im Beifahrersitz nieder. Ich wagte es nicht, ihn anzugucken.

„Ich hab Recht, jemand hat dir den Kopf verdreht!“

Ich wagte nicht, mich auch nur zu bewegen. Als könnte das schon etwas verraten.

„Also, wer? Ein Mädchen aus deiner Schule? Oder vielleicht einer unserer Fans?“ Kai brabbelte regelrecht. „Oder ist sie vielleicht älter? Du hast dich doch nicht etwa in 'ne Lehrerin verknallt?“

Für einen Moment herrschte Stille.

„Oh, oder ist es gar kein Mädchen?“

Gegen meinen Willen schnappten meine Augen auf.

„Scheiße. Es ist ein Junge, nicht wahr?“

Atme!

„Phil, sieh mich an.“

Mein Kopf drehte sich in Zeitlupe zu Kai, während mein Herz raste und ich schwitzte.
Er lächelte freundlich.
„Wir sind immer noch Freunde, klar?“

Ehrlich, mir fielen tausend Steine vom Herzen. Ich hatte bis zu dem Augenblick gar nicht gewusst, wie sehr ich Kais Ablehnung fürchtete.
Aber ich nickte bloß.

„Gut. Wo das geklärt wäre, zurück zur Sache. Wer ist es?“

Sein typisch verschmitztes Grinsen erschien, und ich entspannte mich ein wenig.
„Woher weißt du das?“ fragte ich anstatt zu antworten.

„Das du verknallt bist? Weil du mindestens genauso neben der Spur bist, wie ich damals, als ich Patricia kennengelernt habe.“

Erinnerungen an einen völlig verplanten Kai vor zwei Jahren fluteten mein Bewusstsein.
„Oh…“

War ich genauso schlimm?
War ich so offensichtlich?
Kai lachte.

„Keine Sorge, die Jungs haben keine Ahnung. Die glauben, du hast Stress mit deinen Alten.“

Stimmte auch…

„Wirst du mir jetzt verraten, wer dich so verzaubert hat?“ Wieder dieses schelmische Grinsen. Kai war auf seine schlacksige Art ganz attraktiv.
In mir zog sich alles kurz zusammen und ich seufzte.

„Elias Müller.“ Hauchte ich.

Kai schaute nachdenklich, dann erleuchtete sich sein Gesicht.
„Er war auch auf Freddys erster Party!“

Unsere erste Begegnung kam mir in den Sinn.
Seine Augen.

„Ich glaub, ich hab ihn mit Alex gesehen. Hm. Ist er schwul?“

Mit Alex?!

Ich starrte Kai an. Er starrte zurück. Mein Herz raste so sehr, dass es weh tat.

Atme.

„Oh… Also, ich glaub nicht, dass die zusammen sind. Alex führt keine Beziehungen.“

Mein Puls wurde etwas langsamer.
Mein fragender Blick ließ ihn erklären.

„Seine beste Freundin ist meine Kusine Stella, wir hängen manchmal zusammen ab.“

War er deswegen so entspannt damit, dass ich…?

„Also, er ist schwul, oder?“

Ich nickte wieder.
Kai antwortete breit grinsend.
„Das ist doch super! Dann hast du echt 'ne Chance!“

Mir klappte das Kinn runter.

„Was? Glaubst du nicht?“

Den Mund zumachend schüttelte ich den Kopf.
Das war es nicht.. Kai wusste nicht, dass Elias so etwas wie einen Ruf hatte.
Alex war nicht der einzige, der nicht auf Beziehungen stand.

„Komm schon, du siehst gut aus, bist sportlich, dazu freundlich und loyal. Jeder Typ wäre glücklich, dich zu haben.“

Hat er das jetzt echt gesagt?!

„Kai…“ Ich hatte einen Kloß im Hals. „Ich glaube nicht, dass das was wird.“

Er legte den Kopf zur Seite und musterte mich intensiv.
Mir wurde unbehaglich.

„Etwas mehr Selbstvertrauen würde dir nicht schaden.“

Mir entwischte ein Schnauben.
Selbstvertrauen? Worin?
Ich hatte bis jetzt nur ein Mal geküsst, ein Mädchen, vor über einem Jahr. Und es war schrecklich gewesen.
Elias dagegen… Ich wollte gar nicht daran denken.

„Denkst du denn, er würde dich nicht mögen?“

Der Kuss…

Meine Wangen wurden heiß, und ich wandte meinen Blick auf das Armaturenbrett.

Seine Lippen auf meinen.

„Phil! Du wirst rot!“

Das sorgte dafür, dass sich mein Gesicht noch heißer anfühlte.

„Ist was zwischen euch passiert?“

Sein Körper an meinem...

Jetzt brannten auch meine Ohren. Ich versuchte zu schlucken, aber mein Mund war zu trocken.
„Er hat mich geküsst.“ Krächzte ich.

„Was?! Wann?!“ Kai schaute mich mit offenem Mund an.

„Vor zwei Wochen?“ Es kam mehr als Frage raus.

„Und warum läufst du nicht wie ein Honigkuchenpferd grinsend umher?“
Erstaunt guckte Kai.

Er wusste nichts von meinem inneren Kampf, wie auch? Ich hatte es nie jemanden erzählt…

„Elias… hat einen Ruf. Als Aufreißer.“ Ich wollte lieber nicht wiederholen, wie er  hinter seinem Rücken genannt wurde.
Und in ausgerechnet den hatte ich mich verliebt.

„Oh…“ Kai wurde wieder ernst.
Wir schwiegen eine Weile, jeder seinen Gedanken nachhängend.

„Naja, das heißt ja nicht, dass er sich nicht verlieben kann. In dich zum Beispiel.“

Ich schnaubte verächtlich.
„Ja klar, meinetwegen ändert er sich. Weil er mich so liebt.“ Antwortete ich sarkastisch.

Kai lächelte trotzdem.
„Wer weiß? Vielleicht seid ihr ja füreinander bestimmt?“

Jetzt hat er den Verstand verloren.

Ich schüttelte nur den Kopf, griff nach dem Türgriff, schmiss Kai ein „Tschau!“ zu und stieg aus. Die Tür schloss ich mit mehr Kraft als nötig, und ich hörte Kai drinnen protestieren, doch ich ging einfach nach Hause.
In meinem Kopf nur drei Gedanken.

Ich bin in Elias Müller verliebt.

Kai hat kein Problem damit.

„Wer weiß? Vielleicht seid ihr ja füreinander bestimmt?“


-------------
Das nächste Kapitel! Welches hat euch bis jetzt am besten gefallen?
Ich kann mich nicht entscheiden, ob ich "Party - Elias" lieber mag, oder "Aufruhr" -  beide Teile.

Bye
DG

Elias und PhillipWo Geschichten leben. Entdecke jetzt