28. Unannehmlichkeiten - Elias

2.3K 151 13
                                    


Ich küsste Dari zum Abschied auf die Wange, ein stilles Dankeschön.
Unsere Wohnung betrat ich seufzend, meine Gedanken gefangen zwischen Phillip und Alex.

Gammliger Gänsekadaver!

Ich schlurfte am Wohnzimmer vorbei, in dem Dad grad in sein Handy starrte und mich nicht bemerkte, zu meinem Zimmer. Im Bad konnte ich meine Mutter schief singen hören – sie lag mal wieder in der Wanne, hörte Musik und strapazierte das Gehör ihrer Familie mit ihrer Stimme. ‚Wellness‘ sagte sie dazu. Ich glaube, sie genoss es einfach, uns allen gehörig auf den Sack zu gehen.
Das Gekreische wurde leiser, als ich meine Zimmertür hinter mir schloss. Ich stellte die Geschenke auf meinem Schreibtisch ab und warf mich auf's Bett.
Meine Augen hatte ich geschlossen, und ich versuchte zur Abwechslung mal an nichts zu denken.

Ein kurzes Summen holte mich aus meinem meditativen Zustand.
Eine Nachricht von Phil.
‚Können wir reden?‘
Ich war etwas beunruhigt. Ein solcher Text verhieß nie was Gutes.

Will er etwa…?

Nervös rief ich ihn an.
Das erste, was ich hörte, war Phils Schluchzen.
Sofort schrillten alle Alarmglocken in mir.
„Phil?! Phillip?! Was ist passiert?!“ Ich schrie förmlich in mein Handy.
Dann sagte er etwas, dass mich regelrecht in Panik versetzte.
„Ich kann das nicht!“
Mein Herz klopfte schmerzhaft und viel zu schnell.

….Schluss machen?!
Nein.
Nein!
Bitte nicht…

„Was?! Phil, sag mir, was los ist!“ Selbst in meinen Ohren klang meine Stimme panisch hoch.
Es folgten noch ein, zwei Schluchzer, bevor Phil was sagen konnte.
„Die Feier war Scheiße.“ Dann zog er die Nase hoch.

Also doch nicht…

Die Erleichterung gab mir fast ein Gefühl, als würde ich schweben.
Gott sei Dank!
„Warum?“ Ich versuchte, möglichst ruhig zu klingen. Er brauchte jetzt wirklich nicht auch noch meine Sorgen.
„Mir war nicht klar, wie viele Schimpfworte es für….“ Phillips Stimme brach und er weinte wieder.
„Oh.“
Ich wusste nur zu genau, was er meinte. Fußball-Vereine, vor allem Amateur-Vereine, waren nicht wirklich schwulenfreundlich. Homophob traf es eher.
Das war damals der Grund, warum ich aufgehört hatte zu spielen, als ich merkte, dass ich schwul bin.
Diese ganzen Ausdrücke. Dem Zuzuhören war erniedrigend.
„Aber sie haben nicht über dich geredet, oder?“
„Nein.“ Presste Phil raus, bevor der nächste Schluchzer kam.

Und ich hatte eine ziemlich gute Vorstellung davon, was passiert war.
Während die Jungs sprachen, versank man selbst im Elend.
Ich hatte es erlebt.

„Ich weiß, wie beschissen sich das anfühlt. Ich weiß, wie sehr es wehtut. Aber…“
das wird noch öfter passieren.
Nun, das konnte ich ihm nicht sagen, nicht jetzt. Egal, wie wahr es war.
Ich holte nochmal Luft.

„Also, noch ist Winterpause, das heißt, dass du keinen von denen so schnell Wiedersehen wirst.“
Es würde stiller in der Leitung.
„Und in der Zeit kannst du überlegen, was du machen willst. Wenn du nicht willst, musst du keinen von denen jemals wiedersehen.“
Er hatte aufgehört zu Weinen, aber er sagte nichts, und ich wurde nervös.
Hatte ich vielleicht was falsches gesagt?
„Phil? Bist du noch da?“
„Ja.“ Kurze Pause. „Danke.“
Mir wurde warm.
Ich hab wohl das richtige gesagt.

Ernsthaft, irgendwie freute es mich, dass ich meinen festen Freund trösten konnte.
Allerdings wäre das deutlich einfacher, wenn ich ihn hätte in den Arm nehmen können. Ich wollte ihn so gerne umarmen….

„Ich wünschte, ich könnte jetzt bei dir sein. Ich vermisse dich.“
Phils Antwort kam so leise, dass ich sie fast nicht gehört hätte.
„Ich vermisse dich auch.“
Mir wurde noch wärmer. Ich wollte unbedingt seine Laune heben.
„Hej, weißt du was? Montag machen wir uns einen schönen Tag. Nur du und ich. Wir können uns 'n Film reinziehen, Pizza bestellen, knutschen, was immer du willst, hm?“
„Klingt gut.“ Phil klang schon besser.
„Alles klar! Wir haben ein Date!“ rief ich begeistert.
Dann könnte ich Phils wunderbares Lachen hören, wenn auch nur kurz. Aber es ließ mich strahlen wie ein Honigkuchenpferd.
Ein kurzer Lacher und ich grinste wie der verliebte Vollidiot, der ich war.
Leider wurde dieser selige Moment von einem Pochen und einem schrillen „Elias!“ unterbrochen.
„Oh, meine Mam hämmert gegen meine Tür. Muss los. Ich schreib dir später, ja? Mach's gut.“
„Tschau.“ War die leise Antwort.
Kaum hatte ich aufgelegt, schrie ich:
„Was?!“
„Abendessen!“ brüllte meine Mam durch die Tür.
Seufzend erhob ich mich und begab mich zum allabendlichen Futterritual der Familie Müller.

Wir saßen alle in der Küche, mein Vater am Kopfende an der Wand, ich und Hanna auf der langen Bank, und meine Mutter am anderen Kopfende auf einem Stuhl.
Anfangs verlief alles friedlich, Hanna und unsere Eltern unterhielten sich über ihren bevorstehenden Auftritt. Sie würde mit ihrer Tanzgruppe auf dem Weihnachtsmarkt eine Art getanzte Weihnachtsgeschichte vorführen.
Naja….
Jedenfalls war es in zwei Wochen soweit, und meine kleine Schwester schwankte zwischen Begeisterung und Panik.
Gerade schwelgte sie in all den tollen Kunststücken, die sie machen würden.
So blieb ich weitestgehend unbemerkt.

So weit, so gut.

Das Problem war nur, dass ich mit Aufräumen dran war.
Während sich Hanna und Dad verzogen, blieb ich mit meiner Mutter in der Küchen.
Ich wusste, ich könnte ihr nicht ewig aus dem Weg gehen, ich wusste, sie würde nicht locker lassen.
So weit, so beschissen.

Meine Mam ließ mich zappeln, wischte den Tisch, guckte zu mir, verstaute die Reste in Tupperboxen, guckte zu mir, stellte alles in den Kühlschrank, guckte zu mir.
Immer nervöser werdend räumte ich die Spülmaschine ein und machte sie an.
Die ganze Zeit herrschte zwischen uns eine angespannte Stille.
Ich hielt es schließlich nicht mehr aus.
„Was?!“ spuckte ich aus.
Meine Mutter verschränkte ihre Arme vor der Brust und lehnte sich gegen den Tisch.
„Phillip und du seid zusammen, nicht wahr?“
Mehr eine Feststellung als Frage.
Am liebsten hätte ich jetzt gebrüllt.
Ich atmete tief durch.
„Na und?“
Mam seufzte.
„Elias, ich liebe dich. Ich vertraue dir. Aber ich will diesen Jungen kennen lernen.“
Und da war er wieder, dieser besorgte Mutterblick. Den ich seit das mit Matti viel zu oft gesehen hatte.
Meine Anspannung verflog.
„Er ist anders, Mama.“
Sie zog eine Augenbraue hoch.
„Davon würde ich mich gern selbst überzeugen.“
Jetzt war es an mir, zu seufzen.
Ich glaubte nicht, dass Phil das mögen würde.
Wie zur Hölle sollte ich ihn darauf vorbereiten?
„Ich muss die nächste Woche wieder abends arbeiten, also, wie wär's mit dem Wochenende? Irgendwann vormittags?“
Ich warf ihr einen Blick zu.
„Ich weiß nicht, ob Phil das will.“
Mam seufzte wieder, massierte sich dann die Schläfen.
„Warum?“ fragte sie mit geschlossenen Augen. Sie klang fast schon resigniert.
„Er hat sich noch nicht geoutet.“
Daraufhin senkte sie ihre Hände und schaute mich fragend an.
„Ernsthaft? Jungfräulich und closeted? Wo hast du den gefunden?“
Ich dachte an unsere erste Begegnung zurück, wie er panisch in das Bad gestürmt war, wie er sich hinter mir versteckt hatte.
Wie er mich mit großen, honigfarbenen Augen angeschaut hatte.
Gegen meinen Willen schlich sich ein Lächeln auf meine Lippen.
„Eigentlich hat er eher mich gefunden.“
Meine Mutter legte ihren Kopf leicht zur Seite.
„Okay, aber rede zumindest mit ihm. Ich will ihn wirklich kennenlernen, aber ich werde ihn drängen, sag ihm das.“
Fassungslos starrte ich meine Mam an.
Man neigt als Teenager zu vergessen, dass Eltern auch Menschen sind. Und dass sie nicht nur da sind, um einen zu nerven.
Schnell schloss ich die Lücke und nahm meine Mutter in die Arme.
„Danke, Mama.“ Flüsterte ich, während ich sie an meine Brust drückte.
„Jaja, schon gut.“ Mam schob sich aus der Umarmung. „Hab dich auch lieb. Und jetzt verschwinde, bevor ich es mir anders überlege.“
Sie schnappte sich ein Küchenhandtuch und wedelte damit herum, als wollte sie Fliegen verscheuchen, und ich ging grinsend zurück in mein Zimmer.
So weit, so besser.

Den Sonntag verbrachte ich im Pyjamas bei meinen Mädels, mit Hausaufgaben und allerlei Blödsinn, bis Mam mich zum Abendessen zurückrief.
Ich vermisste Phil trotzdem die ganze Zeit.



----------------
Jaaa! Noch ein Kapitel!
Tschaka!
Ich hoffe, es entspricht den Erwartungen....

Bye
DaGi

Elias und PhillipWo Geschichten leben. Entdecke jetzt