35. Das Geständnis - Phillip

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Ich saß allein auf dem Bett in meinem Zimmer im Dunkeln. Als es anfing zu dämmern, hatte ich mir einfach nicht die Mühe gemacht, das Licht einzuschalten.
Ich zweifelte.
An Elias.
An unserer Beziehung.
Vor allem aber an mir.
Selbst wenn er tatsächlich in mich verliebt war, wie lange würde das halten?
Ich war so unbeholfen. So unsicher. So langweilig.
Was sah er überhaupt in mir?
Ich verstand es einfach nicht.
Warum interessierte sich Elias, der so selbstsicher und attraktiv war, ausgerechnet für mich?

Das Klingeln meines Handys schreckte mich auf, und zuckte zusammen.
Ich griff danach und erstarrte.
Ein Video-Anruf von Elias.
Und ich fühlte mich irgendwie ertappt. Mein Herz raste.
Einen Moment lang wusste ich nicht, was ich tun sollte.
Dann atmete ich tief durch, knipste die Nachttischlampe an und ging ran.
Elias erschien mit einem grimmigen Gesichtsausdruck aus dem Display.
Und für einen Augenblick dachte ich:
Das war's.
Er hat erkannt, was für eine Niete ich bin und macht Schluss.

„Hey, Phil.“
In meiner Brust pochte es schmerzhaft und ich konnte ihn nicht ansehen.
„Hey.“ , brachte ich leise heraus.
„Scheiße, was hast du gehört?“ Er klang so aufgebracht, dass ich zu ihm starrte.
Er sah wütend aus.
Auf mich?
Ich guckte weg.
Kurz herrschte Schweigen, dann sprach Elias.

„Okay. Ich werd‘ dir jetzt etwas erzählen, und ich möchte, dass du einfach nur zuhörst. Ich weiß nicht, ob ich's nochmal hinkrieg‘.“
Was?
Ich verstand nicht, worauf er hinaus wollte.
„Vor etwa zwei Jahren hatte ich einen guten Freund, Matti. Wir hingen viel miteinander ab, und ich verknallte mich in ihn.“
Oh.
„Irgendwann sagte ich es ihm, und er… Er sagte, ihm würde es genauso gehen. Um es kurz zu machen, wir kamen zusammen.“
Warum erzählte er mir das?
Ich traute mich endlich, ihn anzusehen.
Sein Gesicht war schmerzerfüllt.
„Wir sagten niemanden etwas, nicht mal meine Mädels wussten davon. Aber für ein paar Monate war ich glücklich.“
Seine Stimme klang gepresst, seine Augen schimmerten.
Ich hatte ihn noch nie so gesehen. Er wirkte so verwundbar.
In mir tobten Gefühle, die ich nicht kannte. Aber es war intensiv. Und schmerzhaft.
„Ich habe ihm diese verfluchten Bilder geschickt, weil er mich darum gebeten hatte. Ich war verknallt, ich war naiv, ich war dumm.“
Elias schloss seine Augen.
„Er… hat sie online gestellt und behauptet, ich hätte sie ihm ungefragt zugeschickt, um ihn anzumachen.“
Dann schwieg er, während die ersten Tränen seine Wangen hinab rollten.
Elias so zu sehen zerriss mich innerlich, aber ich wollte nicht weinen.
Ich wollte stark sein.
Und, verdammt, ich wollte ihn in den Arm nehmen. Ihn festhalten. Ihn trösten.

„Elias?“ presste ich an dem Kloß in meinem Hals vorbei.
Er öffnete seine vom Weinen geröteten Augen, noch mehr Tränen kullerten hervor.
Tief Luft holend, sprach er schließlich weiter.
„Eines Tages komm ich in die Schule, und alles war anders. Ich bekam seltsame Blicke, wohin ich ging, ich hörte flüstern, und plötzlich rief mich jemand ‚Schwuchtel‘.“
Er atmete nochmal durch.
Und in mir breitete sich leichte Panik aus.
„Noch bevor der Unterricht losging, zogen mich die Mädels in 'ne Ecke, und zeigten mir auf ihren Handys, was los war.“
Er weinte wieder.
„Für mich brach die Welt zusammen. Ich fühlte mich betrogen. Verraten. Verletzt. Ich fühlte mich, als würde ich sterben.“
Elias presste diese Worte mit erstickte Stimme hervor und mir drängten sich Tränen in die Augen, die ich hastig wegwischte.
Ich wollte stark sein.
Ich sollte stark sein.
Gleichzeitig aber wuchs die Angst in mir.

„Für eine Weile ertrank ich in dem Schmerz und der Scham, die folgten. Ich ertrug es kaum, in die Schule zu gehen. Aber was hätte ich tun sollen? Meine Eltern hatten keine Ahnung. Ich schwänzte trotzdem oft.“
Ich wäre vermutlich nicht mal mehr aus meinem Zimmer gekommen.
„Natürlich bekam ich Ärger dafür. Aber zu diesem Zeitpunkt spielte es keine Rolle mehr für mich. Ich fühlte mich so allein, so ungeliebt, so gebrochen.“
Ich Biss fest die Zähne zusammen, um nicht loszuheulen.
Sein Blick war unfokussiert und leer. Teilnahmslos starrte in die Kamera und ich hatte das Gefühl, er sah mich gar nicht.
„Ich war verzweifelt auf der Suche nach einer Art Bestätigung, dass ich nicht…“
Elias Stimme brach.
Und ich hatte das Gefühl, dass auch in mir etwas zerbrach.
„… Dass ich nicht so wertlos bin, wie ich mich fühlte. Ich suchte an der vermutlich schlimmsten Stelle danach, aber ich hatte mir geschworen, keine Gefühle mehr zuzulassen. Ich war innerlich wie tot.“
Seine Augen glitzerten, seine Nase lief, sein Gesicht war gerötet vom Weinen, und dennoch ich fand ihn wunderschön.

„Ich machte … Bekannschaften im Internet. Matti und ich, wir haben nie miteinander geschlafen. Der erste Typ, mein erstes Mal, war beschissen. Ich erinnere mich an den Schmerz. Und daran, dass er mir fast willkommen war, so taub, wie ich innerlich war. Also machte ich weiter. Der zweite war besser. Ich machte weiter. Ich…“
Mit jedem Wort klang seine Stimme leiser und gepresster, bis sein Schluchzen ihn unterbrach.
Ich weinte jetzt auch.
Zu viel Schmerz, zu viel Angst.
Noch nie in meinem Leben wollte ich jemanden so sehr umarmen, wie Elias in diesem Moment.
Es tat weh, nicht bei ihm sein zu können.
Nach einer Weile ließen die Schluchzer nach.
Die Tränen nicht.

„Dann bekamen meine Eltern Wind von den Fotos und die Hölle brach los. Nachdem meine Mutter die Wahrheit aus mir gepresst hatte, startete sie einen regelrechten Kreuzzug. Matti wurde der Schule verwiesen, und ich habe seitdem nie wieder von ihm gehört.“
Seine Stimme wurde wieder fester.
„Die Mädels halfen mir schließlich aus der Scheiße, bauten mich Stück für Stück wieder auf, vor allem Dari.“
Ich fühlte mich aufgewühlt. Zu viele Gefühle in mir.
Während Elias sich langsam beruhigte, versuchte ich zu begreifen, was gerade geschehen war. Ich wollte etwas sagen, aber mein Hirn brachte kein Wort zustande. Überwältigt von einem Tornado aus Mitgefühl, Schmerz, Angst, Bestürzung, Wut und etwas, wofür ich keinen Namen hatte.
Ich hatte einfach keine Ahnung, was ich sagen sollte.

„Du musst nichts sagen, Phil. Ich wollte nur, dass du die Wahrheit kennst.“
Mein überarbeiteter Kopf produzierte schließlich einen Satz.
„Ich hab von den Fotos gehört.“
Ich hätte mir in den Arsch beißen können.
„Das Internet vergisst nichts, was?“ Elias, mit roten Augen und Nase, guckte wieder grimmig.
Und ich wusste wieder nicht, was ich sagen sollte. Ich war wirklich nicht gut als Freund, oder?
„Glaubst du mir?“
Elias Frage überraschte mich.
Natürlich glaubte ich ihm. In diesem Moment hätte ich ihm auch geglaubt, wenn er gesagt hätte, die Erde sei flach und der Mond aus Käse. Bei diesem Gedanken musste ich lächeln.
Aber mir fiel nichts ein, was ich sagen konnte.
„Ja.“, brachte ich nur raus.
„Gut. Danke.“, murmelte er erleichtert, „Fürs Zuhören und dein Vertrauen.“
Nochmals überraschte er mich.
Das drückte wieder Tränen in meine Augen, die ich wegblinzelte, aber irgendwie machte mich das auch glücklich.
„Wir reden morgen, ok?“ Elias schaute mich an, traurig, mit einem halben Lächeln.
„Ok. Bis Morgen.“ Immerhin brachte mein Hirn das noch zustande.
„Bis Morgen.“ Hörte ich Elias noch sagen, dann war die Verbindung weg.

Was ist da gerade passiert?!
Ich blieb zurück in meinem Gefühlschaos.
Und mir wurde bewusst, dass Elias mir wirklich vertraute.
Warum sonst hätte er das erzählt?
Das ließ mich noch unruhiger werden, mein Herz stolperte fast bei dem Gedanken.
Er meint es wirklich ernst.
Zuerst war ich glücklich darüber, saß breit grinsend in meinem Bett.
Dann traf mich ein Gedanke, und das Grinsen verschwand.
Was, wenn ich ihn enttäusche?
Ich war nicht so stark, so mutig, so erfahren wie er.
Dutzende Szenarien, wie ich es verbocken könnte, spielten sich in meinem Kopf ab.
Hör auf! , schrie mein Verstand.
Aber ich konnte nicht anders.
Ich bin so kaputt.
Wie lange erträgt er mich?

Bis zum Abendessen war ich überzeugt, dass ich unsere Beziehung irgendwie in den Sand setzen würde.
Lustlos stocherte ich in dem Auflauf herum.
Und obwohl es ein anstrengender Tag gewesen war, schlafen konnte ich nicht.
Stattdessen quälte ich mich die halbe Nacht lang mit weiteren Möglichkeiten, Elias zu enttäuschen.


Ich bin zu kaputt…


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Bin wieder da! Und ganz gespannt darauf, was ihr von diesem Teil haltet!

Bye
DaGi

Elias und PhillipWo Geschichten leben. Entdecke jetzt