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Ein schnauben entkommt ihm und er schüttelt den Kopf, ehe er mich ansieht. "Also gut. Aber es wird wahrscheinlich komisch für dich." warnt er mich, doch ich winke ab. Was kann denn bitte noch komischeres kommen als ein Kerl der mich drei Jahre ignoriert und der mit mir jetzt freiwillig auf Tuchfühlung ist? "Mach deine Augen zu. Ich sag dir, wann du sie wieder öffnen kannst." Etwas verwirrt runzle ich die Stirn, vertraue ihm aber. Wenn ich bei der Wandlung nicht zusehen soll, dann tue ich es nicht. Ich kann froh sein, dass er dem überhaupt zugestimmt hat, nicht wahr?

Nach einem Augenblick räuspert er sich. "Jetzt kannst du wieder hinsehen." ertönt seine Stimme und ich bin mir etwas unsicher. Hat sich die schon immer so extrem imposant angehört? Imposanter als vorher schon? Geht das? Als ich meine Augen öffne, sehe ich vor mir einen fast anderen Mann. Seine schwarzen Haare gehen bis zu seiner Brust. Er sieht älter und noch erfahrener aus. Menschlicher. Seine Augen haben immer noch die rötliche Farbe. Er hat einen geteilten schwarzen Oberlippenbart und am Kinn ebenfalls einen Bart aus schwarzen und wahrscheinlich etwas festeren Haaren. "Das bist du einmal gewesen..." murmle ich schon fast ehrfurchtsvoll.

"Ein gebrochener Mann der sich, sein Volk, Gott und die menschlichkeit in frage gestellt und im Stich gelassen hat." erwiedert er und ich kann nicht anders, als mich ebenfalls ein wenig aufzusetzen und sein Gesicht in meine Hände zu nehmen. "Ja, Alucard. Du bist ein gebrochener Mann. Und es wird mich vielleicht auf dein Abschussliste schieben, aber das bist du auch in deiner normalen Form. Du hast dich selbst gebrochen." Ich spüre, wie er schluckt und sehe ihm aber weiterhin in die Augen. "Aber ich sehe hier auch einen Mann, der für seine Ideale gekämpft hat. Und der es immer noch tut."

Er zuckt kurz zusammen, aber ich fahre fort. "Ich sehe hier jemanden vor mir, der es immer noch wird, egal in welchen Formen man dich antrifft und in welche Formen man dich noch bringen wird." Ich atme tief ein und wieder aus. "Ich sehe einen Mann der es hasst, Feiglinge zu bekämpfen. Der nur die würdigen Gegner auch würdig besiegt und der die Stärke eines anderen anerkennt, egal ob er ein Vampir oder ein Mensch ist. Hast du Seras Stärke etwa nicht anerkannt, in dem du sie zu einer Draculine gewandelt hast? Oder Lady Integra's, als sie dir ihr Blut gegeben hat?"

Langsam lasse ich meine Hände wieder sinken. "Ja, Alucard. Du bist gebrochen. Aber du bist ein gebrochener Mann der alles tut, um seine Familie zu beschützen und der, auch wenn es selten ist, einmal schwäche zeigt. Jemand, auf den man sich verlassen kann. Der einen zur Seite steht, wenn man gut gesagt am Arsch ist. Du bist jemand, dem ich verdammt noch mal mein Leben anvertrauen würde und es auch tue." Ich lasse mich nach hinten fallen und das Bett knarzt unter der Belastung des doppelten Gewichtes. "Und jetzt sag mir, ob dir DAS schon mal jemand gesagt hat."

Schock. Das ist alles, was ich bei ihm im moment diagnostizieren kann. Er ist geschockt von dem, was mir über meine Lippen gekommen ist. Er scheint es nicht fassen zu können. Scheint es schlichtweg nicht zu realisieren, was für ein Typ Mensch, beziehungsweise was für ein Typ Vampir er ist. Das er nicht unbedingt der böse ist. "Ich..." fängt er an und ich lehne mich wieder mit dem Rücken gegen die Wand und beobachte ihn. Manchmal reicht kein Zaunpfahl. Manchmal muss es der Zaun sein mit Garten und Grundstück. Und Haus. Und dann alles auf einmal, weil man es sonst eh nicht glaubt.

Aber mehr als dieses eine: 'Ich' kommt ihm nicht über die Lippen. Das ist jetzt ersteinmal ein hartes Stück zu verdauen. Ich weiß das aus eigener Erfahrung. Also mir wurde das jetzt nicht gesagt, aber ich habe es oft genug meinen Schülern sagen müssen. Es reicht nicht, wenn man es zuflüstert. Da muss meistens ein Megafon her. Mach... die Augen zu. Ich hinterfrage es einfach und höre auf ihn. Er will sich sicherlich wieder in seine normale Form zurückwandeln und dann wird er sich verziehen, um das alles alleine zu verarbeiten. Und er wird mich ignorieren.

"Kannst wieder gucken." Ich bin mehr als verwirrt, als ich plötzlich eine Kinderstimme höre! Blinzelnd sehe ich einen kleinen Jungen an. Blaue Augen, schulterlanges schwarzes Haar. "A-Alucard...?" Hat er sich in ein Kind gewandelt? Wieso dass denn? "Frag nicht." meint er nur, krabbelt auf mich zu und macht es sich auf meinem Schoß gemütlich. Wie selbstverständlich nimmt er meine Arme, legt sie um seinen kleinen Kinderkörper und zieht die Decke ein wenig hoch. Jetzt bin ICH überfordert. Doch wie er schon zu mir sagte... ich frage einfach nicht. Stattdessen sehe ich zu ihm hinunter. "Willst du schlafen?" frage ich und klein-Alucard nickt.

"Achtung..." sage ich leise und hebe ihn mit leichtigkeit hoch, ehe ich ihn neben mich lege. "Ich will versuchen, auch zu schlafen." erwiedere ich auf seinen fragenden und auch leicht genervten Blick und lege mich auf die Seite. Mit ihm als Kind zu interagieren fällt mir um einiges einfacher. Ich lege meinen Kopf auf das Kissen und strecke meinen Arm aus, auf den klein-Alucard dann seinen Kopf legt. Die Decke ziehe ich über uns beide und klein-Alucard rutscht noch ein wenig näher zu mir, ehe ich einen Arm um ihn lege. Irgendwie muss ich anfangen zu lächeln.

"Hoffentlich schläfst du jetzt endlich." brummt klein-Alucard und schnaube amüsiert. "Ja, das hoffe ich auch. Und jetzt schlaf, kleiner." flüstere ich und warte, bis er sich ein wenig hin und her gerollt hat, ehe er eine gute Schlafposition gefunden hat. "Du auch..." flüstert klein-Alucard ganz leise und ich lächle wieder. Geduldig warte ich, bis er die Augen geschlossen hat, ehe ich das selbe tue. Ich bin entspannt und nicht einmal das lachen meines alten Meisters bringt mich aus der Ruhe. Der kleine Körper Alucards reicht dahingehend für mich völlig aus, einzuschlafen und auch keinen Albtraum zu haben. Und sogar ohne Lolli in die tiefen des Schlafes einzutauchen.

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