Thorondor, Fürst der Adler

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Lyrann erwachte, als die Sonnenstrahlen sie immer mehr erwärmten. Erst bemerkte sie nur, wie hell es trotz der geschlossenen Augenlider um sie herum war. Dann spürte sie, dass sie scheinbar auf Ästen lag. Es piekste sie ein wenig im Rücken. Mit einem unterdrückten Gähnen reckte und streckte sie sich, doch ein plötzlicher Schmerz in ihrem Brustkorb ließ sie zusammen fahren.

Sie schlug die Augen auf und sah über sich strahlend blauen Himmel. Irritiert setzte sie sich auf und blickte sich um. Neben ihr lagen ein paar der Zwerge, scheinbar schlafend. Sie senkte den Blick. Sie saß auf vielen kleinen Zweigen und Ästen, die Lücken zwischen dem Holz waren mit Federn ausgestopft. Verwundert sah sich um. Um sie und die Zwerge herum wand sich ein Wall aus dem gleichen Geflecht. Schnell erhob sie sich. Sie stand in einem riesenhaften Nest.

Langsam kehrte die Erinnerung zurück. Die Lichtung, der Angriff der Warge, das Feuer, Thorin, zu Boden geschleudert.... All das zog in rascher Abfolge vor ihrem inneren Auge vorbei. Auch die unangenehme Prellung an ihrer Seite kam ihr in den Sinn. Dann fielen ihr die Adler ein. Sie waren herab gekommen, hatten erst ihre Angreifer zerstreut und dann Lyrann und ihre Gefährten eingesammelt. Die Adler waren mit ihnen fort geflogen. Erst waren sie in schwindelerregende Höhen gestiegen. Dann hatten sie abgedreht und lange hatte Lyrann sich nur an ihrem Adler festklammern können. Sie waren durch die Nacht geflogen, in welche Richtung hatte Lyrann nicht sagen können. Die Zwerge hatten besorgt nacheinander gerufen, verängstigt über die scheinbare Entführung. Doch der Zauberer hatte sie beruhigt, er hätte die Adler zu Hilfe gerufen. Und so hatten sie in der Kälte der Nacht auf den Vögeln ausgeharrt, abwartend. Nur Thorin hatte schlaff in den Krallen des Adlers gehangen, der ihn trug. Es war Lyrann wie eine Ewigkeit vorgekommen, bis die Vögel begonnen hatten, zu sinken. Sie hatten auf einen Felsen zugehalten. Dort angekommen, hatten sie ihre Reiter umsichtig absteigen lassen. Gandalf hatte sich sofort um Thorin gekümmert und die anderen hatte er schlafen geschickt.

Lyrann blickte auf die Zwerge zu ihren Füßen. Zusammen mit fünf anderen hatte sie in dem Nest geschlafen. Sie wollte wissen, wo sie waren und so kletterte sie auf die Begrenzung des Nestes. Das Nest lag auf einem hohen Plateau, umgeben von anderen Nestern. Eben wollte Lyrann hinab auf den Felsen springen, als hinter ihr eine krächzende Stimme erklang. „Wohin willst denn du, Küken?" Erschrocken wirbelte Lyrann herum. Auf einem Felsblock hinter ihrem Nest saß ein Adler. Er war riesig. Sein gefiederter, prächtiger Kopf schwang zu ihr hinab. Lyrann wurde klar, dass sie selbst kaum so groß wie der Kopf dieses Riesen war. Sie wich ein wenig zurück, denn der Schnabel kam ihr sehr nahe. Die bernsteinfarbenen Augen des Vogels fixierten sie.

„Ich...", Lyrann schluckte, „Ich wollte mich nur umsehen." Ihre Stimme klang viel höher als normal und Lyrann ärgerte sich. Sie wollte nicht so verängstigt wirken. Der Adler richtete sich wieder auf und raschelte mit den Flügeln, als er seine Position ein wenig veränderte. „Bleib in der Nähe, wo ich dich sehen kann!", sagte er.

Lyrann nickte, dann sprang sie vom Rand des Nestes. Scheinbar war der Adler, der sie aufgehalten hatte, der einzige hier. Vielleicht sollte er auf die Besucher aufpassen. Sie warf einen kurzen Blick zurück. Der Adler sah jetzt in ein zweites Nest hinab. Lyrann konnte nicht umhin, sich über seine Größe zu wundern. Da erinnerte sie sich daran, wie Fila ihr einmal von Manwes Adlern erzählt hatte. Den riesenhaften Adlern, die Manwe gesandt hatte, über Mittelerde zu wachen. Sie waren viel größer als normale Adler, unglaublich alt, stolz und weise. Die Adler, die sie gerettet hatten, konnten nur zu diesem Volk gehören. Ehrfürchtig blickte Lyrann zu dem Vogel. Die Adler hatten in grauer Vorzeit an der Seite der Elben gekämpft. Vielleicht war Lyranns Furcht doch nicht so unbegründet. Eben hob der Vogel wieder seinen Kopf und sah zu ihr. Schnell wandte sie sich ab und ging zum Rande des Plateaus.

Alle Gedanken an die Adler waren fort geblasen. Ein atemberaubendes Panorama erstreckte sich zu ihren Füßen. Der Horst der Adler lag hoch oben am Rand des Nebelgebirges. Um sie herum waren die Ausläufer des Gebirges zu sehen. Vor ihnen breitete sich eine riesige Ebene aus. Nach Norden und Süden hin erstreckte sie sich, grün und weit. Weiter im Osten erkannte Lyrann das glitzernde Band eines Flusses in dessen Nähe sie einige kleinere, seltsam geformte Berge sah. Mit ihren scharfen Augen sah sie sogar ein Stück weiter dahinter ein Gebiet von dunklerem Grün als die Ebene vor ihr. Es musste ein Wald sein. Und weit weg im Osten, kaum erkennbar selbst für sie, war die Shilouette eines einzigen Berges zu sehen. Der einsame Berg, dachte sie ergriffen und versuchte, den Berg schärfer zu sehen.

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