Ein schwerer Fehler

1.8K 103 89
                                    

Missmutig blickte Thorin auf sein Abendessen. Selbst das Wildbret, das auf seinem Teller lag, konnte seinen Appetit nicht wecken. Die Gespräche um sich herum ignorierend, schenkte der König unter dem Berge sich noch mehr Wein ein und leerte den Kelch in einem Zug. Langsam stellte er ihn wieder auf den Tisch und betrachtete ihn. Zwar vertrugen Zwerge recht viel Alkohol, aber er trank seit einiger Zeit um einiges mehr als sonst. Nur so konnte er die ständigen Schuldgefühle und die Einsamkeit, die ihn seit Wochen nun plagten, im Zaun halten.

Ohne dass er es verhindern konnte, kam ihm wieder die Begegnung mit Lyrann früher an diesem Tag in den Sinn. Thorin presste die Lippen aufeinander. So gern hätte er mit ihr geredet, ihre Stimme oder ihr Lachen gehört. Aber er hatte nicht die richtigen Worte gefunden. Und dann war sie so kalt und abweisend gewesen. So unnahbar hatte er sie noch nie erlebt. Es hatte ihm weh getan. Und trotz alldem, obwohl er sie sich so sehr an seine Seite wünschte, hatte er es nicht geschafft, sie anzusprechen. Müde senkte Thorin den Blick. Er hatte sie gehen lassen.

Gesprächsfetzen drangen an sein Ohr. Er hörte, wie Balin und Fili sich miteinander über ein Handelsabkommen unterhielten. Dann hörte er plötzlich Dwalins Stimme. „Ich glaube, Bilbo wollte Lyrann fragen, wann sie wieder zu uns stößt....", hörte er den Krieger sagen. Gegen seinen Willen drehte Thorin den Kopf zu dem Zwerg hin. Bofur saß Dwalin gegenüber und nickte. „Ja, es wird langsam Zeit, dass sie sich nicht mehr versteckt. Sie gehört zu uns!", erwiderte er. Dwalin seufzte, „Das stimmt. Aber momentan hat sie ja genug Kummer...."

Thorin konnte nicht mehr hin hören. Mit aller Kraft wandte er seine Aufmerksamkeit wieder von dem Gespräch ab und sah nach vorne. Ihm gegenüber saß Kili, mit zorniger Miene. „Ich verstehe dich nicht, Kili....", sagte Dis gerade, die neben ihrem jüngsten saß. „Mutter!", sagte Kili ungehalten, „Ich habe dir bereits gesagt, dass ich sie liebe! Du musst das akzeptieren...." Dis seufzte ungehalten. Und bevor Thorin so tun konnte, als ob er nicht mithören würde, wandte sie sich ihrem Bruder zu. „Thorin! Warum hast du dem Ganzen nicht vorzeitig einen Riegel vorgeschoben?", fragte sie vorwurfsvoll.

Er schluckte. Was sollte er darauf erwidern? Dass er Tauriel nicht hatte fort schicken wollen, weil er selbst eine Halbelbin liebte? Er sah Kili an und sah den fast flehenden Blick seines Neffen. Kurz lächelte er den Jüngeren an. Er würde nicht zulassen, dass Kili den gleichen Schmerz erfahren würde, wie er ihn gerade erlebte. „Ich habe Tauriel nicht fort geschickt, weil mir das undankbar erschien.", sagte er an Dis gewandt. Diese sah ihn nur fragend an. „Sie hat Kili mehrmals das Leben gerettet....", fügte er hinzu in einem Tonfall, der deutlich zeigte, dass er nicht weiter darüber reden wollte.

„Entschuldigt mich...", murmelte er. Damit erhob er sich und verließ schweren Schrittes den Raum. Als er die Tür schloss, hörte er, wie seine Schwester ihren Sohn fragte, ob das wirklich wahr sei. Langsam lief Thorin den Korridor hinab. Wie sollte er nur weiter leben? Jeder Atemzug schmerzte ihn. Er hatte das Gefühl, ein riesiges Loch würde seinen Körper zerreißen. Nie hatte ihm Kummer dermaßen körperliche Schmerzen zugefügt. Sollte er zu Lyrann gehen und sie um Vergebung bitten? Oder sollte er lieber warten, bis sie auf ihn zu kam? Und was würde das Volk dazu sagen, wenn sie wieder an seiner Seite wäre? Sehnsüchtig stöhnte Thorin auf. Er würde seine Krone dafür hergeben, dass sie wieder bei ihm war.

In Gedanken versunken, hatte Thorin nicht gemerkt, wohin seine Füße ihn trugen. Erst, als frischer Wind sein Gesicht berührte, merkte er, dass er sich dem Wehrgang über dem Haupttor näherte. Langsam stieg er die Stufen empor. Eben wollte er um die Ecke auf den Gang biegen, als er Stimmer hörte.

„Es fällt mir schwer, das zu glauben, was du mir erzählt hast, Lyrann...." Thorin hielt erschrocken den Atem an. Das war eine Frauenstimme. Und er kannte sie nicht. Rasch drehte er sich um. Das Gespräch wollte er wahrlich nicht belauschen. Da hörte er sie. „Es ist wahr, Tante Fila. Alles, was ich dir erzählt habe, ist wahr." Thorin taumelte und sank gegen die Wand. Sein Herz stolperte vor Freude, allein ihre Stimme zu hören. „Lyrann!", flüsterte er tonlos und blieb stehen, um zu hören. Er war unfähig, sich von der Stelle zu rühren.

BastardkindWo Geschichten leben. Entdecke jetzt