Drachenkrankheit

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Lyrann stand auf dem Wehrgang und beobachtete die Rauchwölkchen, die von Thal her aufstiegen. Sie seufzte. Schwer stützte sie sich mit den Armen auf die Mauer. Mutlos ließ sie den Kopf sinken. Viel hatte sie sich in den letzten drei Tagen verändert. Es schien ihr schon eine Ewigkeit her zu sein, dass sie hier mit Thorin gestanden hatte. Jetzt erkannte sie den Zwerg kaum wieder.

Anfangs hatte kaum einer von ihnen die Veränderung bemerkt. Sie alle waren zu beschäftigt gewesen. Gemeinsam hatten sie angefangen, den Berg für sie bewohnbar zu machen. Es war viel zu tun gewesen. Sie hatten die Verwüstungen angefangen aufzuräumen, die Smaug hinterlassen hatte. Ein paar wenige Kammern hatten sie bewohnbar gemacht. Und sie waren in der Umgebung jagen gewesen, um sich zu versorgen. Aber es würde noch Monate, vielleicht sogar Jahre dauern, bis der Berg wieder in seinem alten Zustand erstrahlte.

Einzig und allein Balin, der Thorin länger kannte, als irgendjemand anderes, hatte früh bemerkt, welche Veränderung in Thorin vorging. Lyrann schloss gepeinigt die Augen, als sie an Thorin dachte. Sie hätte es früher merken sollen. Vielleicht hätte sie es noch verhindern können. Aber sie war zu sehr mit ihren eigenen Gedanken beschäftigt gewesen. Die Beziehung, die sie und Thorin zueinander aufgebaut hatten, hatte sie so sehr beschäftigt, dass sie nicht gemerkt hatte, wie eben diese wieder zu vergehen drohte.

Dabei hatten die ersten Anzeichen sich bereits am Tag nach Smaugs Tod bemerkbar gemacht. Lyranns Gedanken wanderten zurück zu diesem Tag. Sie war erst gegen Mittag wieder aufgewacht, nachdem Thorin ihr eine Kammer in der Nähe des Wehrganges gezeigt hatte, in der sie hatte schlafen können.

Lyrann ging auf die Vorhalle zu. Sie hatte bis in den Mittag hinein geschlafen, fühlte sich aber immer noch nicht wirklich ausgeruht. Es würde vermutlich noch ein paar Tage brauchen, bis sie sich von den Strapazen der letzten Tage erholt hatte. Dennoch strahlte sie vor Glück. Was Thorin ihr am frühen Morgen gesagt hatte, ließ ihr Herz vor Freude hüpfen. Jetzt wollte sie ihn unbedingt wieder sehen.

Irgendwo vor sich konnte sie Stimmen hören. Gelächter drang zu ihr hindurch. Lyrann beschleunigte ihre Schritte. Als sie in der Vorhalle ankam, erkannte sie, dass die anderen draußen waren. Sie ging durch das Portal und betrat die Brücke davor. Die Zwerge mussten schon seit einiger Zeit wach sein. Denn von den vielen Trümmern, die in der Nacht hier noch gelegen hatten, waren bereits einige fort.

„Lyrann!", Dwalin kam auf sie zu. Er zog ein Stück Brot hervor und reichte es ihr. Dankbar lächelnd nahm sie es ihm ab und biss hinein. „Was macht ihr hier?", fragte sie. Der Krieger grinste grimmig. „Wir müssen den Berg doch bewohnbar machen. Und wir fangen damit an, dass man ihn betreten kann.", erläuterte er. Lyrann ließ den Blick schweifen. Nicht weit entfernt sah sie Thorin, der mit abwesendem Blick dastand und die anderen beobachtete. Schließlich ging er zu Bifur und Gloin hin und half ihnen, einen Felsbrocken von der Brücke zu wälzen. Er wirkte trotz der Arbeit immer noch so in Gedanken versunken, dass Lyrann sich nicht traute, ihn anzusprechen.

Sobald sie aufgegessen hatte, schloss sich Lyrann den anderen an. Es war schweißtreibende Arbeit. Immer wieder musste sie kurz verschnaufen. Die Sonne stieg höher und höher. Langsam lagen immer weniger Trümmer auf der Brücke. Als die Sonne ihren Zenit erreicht hatte, legten sie eine Pause ein. Bombur holte Essen und sie setzten sich hin und aßen gemeinsam. Plötzlich fragte Dori: „Wo ist Thorin?" Lyrann richtete sich erschrocken auf und sah sich um. Tatsächlich, der Zwerg war fort. Aber bis vor kurzem war er doch noch bei ihnen gewesen. "Er wird bestimmt bald wieder kommen.", meinte Balin. Doch Lyrann war nicht beruhigt. Wo war Thorin wohl hin gegangen?

Nach dem Essen machten sie sich wieder an die Arbeit. Diesmal jedoch konnte Lyrann sich kaum konzentrieren. Suchend ließ sie den Blick schweifen und hoffte, Thorin zu sehen. Doch der Zwerg blieb verschwunden. Sie war jedoch nicht die Einzige, die sich Sorgen machte. Auch Balin sah sich hin und wieder irritiert um. Kurz trafen sich ihre Blicke. Der alte Zwerg legte besorgt die Stirn in Falten.

BastardkindWo Geschichten leben. Entdecke jetzt