Am Zauberfluss

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Er hasste diesen Wald. Mühevoll quälte Thorin sich vorwärts. Er lief an der Spitze ihrer Gruppe. Langsam und schwerfällig setzte er einen Fuß vor den anderen. Sein Kopf hing schwer herab. Nur mühsam konnte er sich auf den Pfad vor ihm konzentrieren. Er hasste diesen Wald, diesen stickigen, dämmrigen, dunkeln und unnatürlich stillen Wald.

Einzig und allein seine Wut und sein Zorn auf diesen unheimlichen Wald brachten ihn dazu, weiter zu gehen. Kaum hatten sie den Schatten unter den Bäumen betreten, hatte er gefühlt, wie sich eine bleierne Schwere über seinen Geist gelegt hatte. Alles erschien ihm wie durch einen Nebel, seine Gedanken schleppten sich genauso langsam voran wie er selbst. Der Stille hinter ihm nach zu urteilen, ging es den anderen kaum besser. Alle Gespräche waren verstummt. Er hatte das Gefühl, zu ersticken.

Langsam taumelte er weiter. Hin und wieder warf Thorin einen Blick über die Schulter, um sich zu vergewissern, ob die anderen überhaupt noch da waren. Er wusste nicht, wie lange sie schon unterwegs waren. Ebenso hatte er jegliche Orientierung verloren. Dieses Gefühl der Orientierungslosigkeit hasste er beinahe noch mehr als diesen heimtückischen Wald. Er hatte immer eine gute Orientierung gehabt, darauf war er stolz gewesen. Aber hier..... Hier hatte er nicht einmal den Stand der Sonne, um sich zu vergewissern, wo sie hin liefen. Wenn Thorin nach oben sah, konnte er weder Himmel noch Sonne erkennen. Es war ständig gleich dämmrig. Ihm blieb nichts anderes übrig, als auf das zu vertrauen, was Gandalf gesagt hatte. Die alte Elbenstraße würde sie quer durch den Wald immer weiter nach Osten führen.

Er schüttelte den Kopf, um ihn wieder frei zu bekommen. Doch so sehr er sich auch anstrengte, ein gewisser Nebel lag immer über seinen Gedanken. Wütend hieb er mit der Faust gegen einen neben ihm stehenden Baum. Lautes Flügelrauschen erhob sich sofort über ihm und er riss erschrocken den Kopf hoch. Eine Gruppe Vögel erhob sich aus dem Baum und flog davon. „Es gibt also tatsächlich Leben in diesem verfluchten Wald....", murmelte er grimmig vor sich hin. Dann stapfte er weiter.

Er wusste, dass in diesem Wald Elben lebten. Sie hatten sich zurück gezogen, da ihre Macht schwand. Es würde ihn nicht wundern, wenn diese Müdigkeit, die ihn und seine Begleiter befiel, magisches Elbenwerk war. Dieser Gedanke behagte ihm gar nicht, aber er rüttelte ihn wieder ein bisschen wach. Natürlich, dachte er, solche Heimtücke war den Elben durchaus zuzutrauen. Er vermutete, dass auch die unnatürliche Stille ihr Werk war. Waldlandelben waren gefährlich und weniger weise als ihre Verwandten, das wusste er. Er musste auf alles gefasst sein.

Thorin drehte den Kopf und sah erneut zu seinen Leuten zurück. Sein Blick fiel auf Lyrann, die noch einigermaßen wach schien. Sie hatte wohl weniger Probleme, sich in diesem Wald zurecht zu finden. Aber sie drehte misstrauisch den Kopf hin und her und schien ernsthaft besorgt. Ein Stich schlechten Gewissens durchzuckte ihn. Eben noch hatte er in Gedanken über ihr Volk gewettert. Und sie hatte sich bereits mehrere Male als gute Kämpferin bewährt. Es war sogar so weit gekommen, dass er anfing, sie zu schätzen. Gewiss wäre sie nicht erfreut, hätte sie eben seine Gedanken vernommen. Sie ist nur eine halbe Elbin, versuchte er sich zu beruhigen. Und auch sie scheint die Magie, die auf diesem Wald liegt zu spüren. Außerdem gehört sie nicht zum Waldlandvolk.

Irgendwann, Thorin hatte keine Ahnung, ob es Tag oder Nacht war, ließ er die anderen das Lager aufschlagen. Sie entzündeten ein kleines Feuer und bereiteten schweigsam ein Mahl zu. „Wir stellen Wachen auf.", sagte Thorin in die Stille hinein, während sie aßen. „Ich glaube nicht, dass Azog und seine Häscher uns folgen werden, aber ich traue diesem Wald nicht." Dwalin neben ihm nickte langsam und schwerfällig. Sie versanken wieder in Schweigen.

„Thorin,", sagte Balin leise. Thorin wandte sich seinem alten Freund zu. „Mir gefällt dieser Wald nicht.", murmelte Balin, „Es ist irgendwie.... merkwürdig hier." Den alten Zwerg überlief ein Schaudern. Thorin nickte langsam. „Ich weiß, Balin. Je früher wir hier raus kommen, desto besser." Balin schwieg eine Zeit. Er schien mühevoll seine Gedanken zu sortieren. „Wir dürfen den Weg nicht verlassen.", murmelte er, „Und wir sollten strikt bei unseren Vorräten bleiben. Es sei denn, wir haben keine andere Wahl." Thorin nickte.

BastardkindWo Geschichten leben. Entdecke jetzt