IX

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Staub. Alles, was auf Jakku unter Sand verborgen gelegen hatte, war hier - hier! verrückt genug, dass sie tatsächlich hier war - von einem seltsamen Gemisch aus Staub und Ruß überzogen. Jahrzehnte war es her, so viele Jahre, dass sie sie nicht einmal mit der Existenz ihres eigenen Selbst begleichen konnte, seit in diesen Fluren Menschen gewandert waren und Oberflächen in silbriger Dunkelheit geglänzt hatten.

Raue Wände, verbeulte Tische, zerbrochenes Glas und durchtrennte Leitungen - all das schien aus jedem erdenklichen Winkel herunter zu hängen, stach aus dem Boden hervor oder schien im Minutentakt von der Decke zu stürzen. Sie fühlte sich Zuhause.

Zwar hatte die feuchte Kühle nichts von der einst unerträglichen Hitze, doch lag in der Finsternis, das Medium der um sie herum herrschenden Zerstörung, ein Hauch Geborgenheit. Ein kleines bisschen Leben, das ihre Erinnerung beflügelte und auf sie wirkte, wie ein Lichtsprung in weit zurückliegende Jahre. Wer war sie damals?

Ein Kind? Ein zurückgelassenes Kind, das es geschafft hatte zu überleben - auch ohne Eltern. Das Wrack, in dem sie sich nun befand, fand seltsamerweise Zugang zu einem Teil in ihr, den sie seit vielen Monaten verdrängt hatte. War sie schon einmal hier gewesen? Es schien, als hätte sie an dem Tag, da sie ihrem alten Leben entflohen und sich - wenn auch im ersten Moment mit einer Gewissen Ungewissheit und Furcht - dem Widerstand angeschlossen hatte, einen Teil ihrer Vergangenheit hinter sich gelassen. Und alles, was noch übrig war, hatte sie seit ihrer Rückkehr von der Supremacy ebenfalls für immer tot geglaubt. Tot, wie ihre Eltern. Tot, wie ihr einst so unausweichlich scheinendes Schicksal.

In der Ferne rauschten Wellen; sie setzte ihren weg fort. Kein Grund zu vergessen, warum sie hier war. Schließlich musste Er ganz in der Nähe sein.

Als sie nach kurzer Zeit das große zersprungene Fenster erreichte, besah sie sich selbst darin: Die Haare straff zurück gebunden, drei Schlaufen und ein paar unbeugsamer Strähnen. Die Kleider rein weiß - unbefleckt. Als hätte sie noch nie eine Schlacht gekämpft; gebangt, getötet, verloren. Ihr Spiegelbild erstrahlte in Unschuld.

So viele Neuzugänge hatte es seit der Schlacht auf Crait gegeben. Allein in den letzten Monaten war die Zahl des Widerstandes auf das Doppelte gestiegen. Ihre Basis ähnelte einem Bienenschwarm; überall herrschte Bewegung und nirgendwo war es still. Nicht selten, nachdem Chewie, Finn, Poe und sie selbst von einer ihrer Missionen zurückkamen, wurden sie von Menschen umschwärmt. "Jedi", flüsterten die Neuankömmlinge, "Held, Licht, Hoffnung", nannten sie der Rest.

Sie war nicht mehr als eine Figur in den Märchen, die man unter den Menschen verbreitete, wenn ihr Umfeld in Dunkelheit zu versinken schien. Wer wusste schon von den Opfern, die sie gebracht hatte; von den Wunden in ihrem Herzen und den Narben auf ihrer Haut?

Aber konnte man es ihnen verübeln? Nein. Nein. Sie lebte diese Lüge und machte sie Tag für Tag zur Wirklichkeit. "Jeder Mensch trägt eine Bürde", hatte Leia einmal gesagt. Und mit traurigem Lächeln hatte sie hinzugefügt: "Die Stärksten von uns tragen sie zu oft allein."

Als sie damals mit gesenktem Kopf aus dem Raum gegangen war, hatte sie sich elend gefühlt. Aber Leia hatte genug Sorgen und niemand sonst war in der Lage, sie zu verstehen. Fast.

Wütend wandte sie sich ab. Ihr Puls pochte kräftig, ihr Herz schlug zu schnell. Schritte. Sie griff zu ihrem Lichtschwert; erst als sie das kalte Metall berührte, spürte sie, wie heiß sie selbst glühte. Ihre Finger umschlossen den Griff an der Stelle, an der es einst entzweit wurde. Erneut vernahm sie einen Stich im Innersten ihrer Brust.

Am anderen Ende des Raumes erschien eine Gestalt. Schwarz, wie das zerrissene Leder am Stuhl zu ihrer Seite; groß, schon immer einen guten Kopf größer als sie.

Reylo-OneshotsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt