Ein bisschen Amortentia

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"Rey! Wie oft muss ich dir noch sagen, dass du hierfür gefeuert werden kannst!?" Ungläubig starrte Rose zwischen dem rostigen Kessel und ihrer Freundin und Arbeitskollegin hin und her. "Du hast mir gesagt, du hättest aufgehört."
In ihrer Stimme versagte die Wut und machte ernüchternder Enttäuschung Platz.
"Rose, psst!"
Zu behaupten, sie bereue ihre Tat, wäre gelogen. Aber Rey hasste es, wenn Rose sie aus jenen großen, braunen Augen ansah, und sie das Vertrauen darin beinahe zerbrechen sehen konnte.
"Ich erkläre es dir, aber bitte, komm rein!"

Die Tür des Zimmers verschloss sich dank eines einzigen Winks ihres Zauberstabs. Es war nicht leicht sich auf das zu konzentrieren, was nun folgen würde, denn aus dem Kessel in ihrem Rücken strömte noch immer ein verführerisch duftender Nebel, der ihr jegliche Klarheit raubte.
Rose hatte die Arme verschränkt, aber auch hinter ihrer steinernen Fassade lauerte das Verlangen, sich dem Gebräu zu nähern. Gut.
"Es ist nur ein winziges bisschen Amortentia, das schadet niemanden."
Rose schnaubte.
"Rey, du bist Heilerin und nicht Professor für Zaubertränke! Und überhaupt, jeder Zauberer, der danach verlangen würde, müsste selbst in der Lage sein, diesen Trank zu brauen. Für wen arbeitest du?"
Unauffällig ging sie ein paar Schritte nach hinten, um das Fenster zu öffnen. "Du weißt, dass ich dir das nicht sagen kann."
"Rey!"
"Ja? Ich darf es dir nicht sagen, das ist Berufsgeheimnis, du weißt schon..."
"Oh ja, ich bin sicher, das ist eine tolle Idee", sie verdrehte die Augen, "hast du vergessen, was das letzte Mal passiert ist?"
"Rose!"
"Nein, Rey, ich mache mir Sorgen. Du musst damit aufhören."
Bei dem Gedanken an ihren letzten Klienten überkam sie ein unangenehmer Schauer.
"Dieses Mal ist anders, vertrau mir."
"Ich habe dir vertraut, als du versprochen hast, du würdest jetzt aufhören."
Mit einem letzten verletzten Blick in ihre Richtung machte sie kehrt.
"Weißt du?", fragte Rose jedoch noch, während ihre rechte Hand bereits auf der Türklinke ruhte, "Wenn du Hilfe brauchst, kannst du auch einfach Bescheid sagen. Dafür sind Freunde schließlich da."
Dann verließ sie den dunklen Raum und Rey war allein mit sich und einer dicken Ladung Schuld auf den sowieso schon schweren Schultern.

Sie wendete sich wieder ihrem Kessel zu, beobachtete eine Weile die perlmuttfarbene Oberfläche und entspannte sich hingegen ihrer Vernunft, die sagte, dass das was sie vorhatte in der Tat alles andere als klug war.
Nur noch diesen einen Kunden und sie würde eventuell aufhören, ihr Talent, was das Brauen von Zaubertränken anging, zum Geld verdienen zu nutzen. Vielleicht.

Als alles bereit war, befüllte sie drei gläserne Phiolen. Der Dampf versiegte und sie war sich sicher, dass man bereits binnen der nächsten zehn Minuten nichts mehr von ihrem kleinen Geheimnis erfahren würde, wenn sie das Fenster offen ließ.
Dann schnappte sie ihren Umhang, ließ die Tränke vorsichtig in ihrer Tasche verschwinden und verließ nach einem kleinen Aufräumzauber unauffällig den Raum.

Der Flur war fast leer, ein alter Zauberer mit hässlichem roten Ausschlag stand neben Marina, einer jungen Hexe, die ihr bestes tat den Alten zu beruhigen.
"Es ist nicht so schlimm, wie es aussieht. Ein Trank, ein paar Tage Ruhe und sie sehen wieder aus wie neu", mit einem Zwinkern schickte sie ihn den Gang entlang.
Rey warf ihr einen mitleidigen Blick zu, aber sie lächelte und wünschte einen schönen Feierabend.
"Danke, dir auch", murmelte sie noch zu ihr zurück, dann machte sie sich auf den Weg nach unten.

Als sie draußen auf Londons verlassenen Straßen stand, wartete sie, bis zwei junge Burschen hinter der nächsten Ecke verschwunden waren, dann apparierte sie. Das Gefühl durch einen Tunnel gejagt zu werden, der viel zu klein für sie war, verschwand so schnell wie es gekommen war. Sie öffnete die Augen.
In dem kleinen, abgedunkelten Raum, der dem Pub, der heute ihr Ziel war, als Vorzimmer diente, stand die Luft. Rey hatte das Gefühl, in Ohnmacht zu fallen - es war kein einziges Fenster in Sicht.
Ein wenig benommen machte sie sich auf in Richtung der hundert verschiedenen Stimmen, die über laute Musik hinweg an ihr Ohr drangen.
Ihr Auftraggeber hatte ihren nächsten Kunden nicht sonderlich genau beschrieben: groß sollte er sein, einen Umhang tragen und sich abseits der feiernden Massen aufhalten. Wenn Rey früher noch kein mulmiges Gefühl gehabt hatte, dann überkam es sie jetzt, da sie am Rande einer bunt schillernden Tanzfläche stand, drei Meter von der nächsten und nicht einzigen Bar entfernt.
Lila, grüne, gelbe und rote Dampfwolken stiegen auf und machten die Luft noch undurchsichtiger, als sie sowieso schon war. Seufzend entschied sie sich, an der Wand entlang zu laufen, um hoffentlich mit dem Mann zusammen zu stoßen, der ihr Geld gäbe und sie dann gehen ließe.

Reylo-OneshotsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt