Ein Teil von uns

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"Mama, schau!", rief der kleine Junge mit den Seelenaugen. Sie folgte mit ruhigem Blick der Richtung, in die die kleinen Finger deuteten. "Hast du es auch gesehen?"
"Ja", lächelnd blieb sie hinter ihm stehen. "Was denkst du, könnte es gewesen sein?"
Er blickte nachdenklich in die Luft; ins Leere; in eine Welt, in die sie ihm nicht folgen konnte.
"Ein Schiff", sagte er schließlich, "oder ein Komet."
Sie nickte. Dann fuhr sie ihm mit einer Hand durch sein volles, dunkles Haar und setzte sich. "Komm her." Mit ausgebreiteten Armen wartete sie, bis er sich in ihren Schoß fallen gelassen hatte; schweigend blickten sie auf in die Sterne.
Seine Augen funkelten; sie erkannte die ihres Liebsten darin, ihres verlorenen Liebsten.
"Wo ist Papa?"
Konnte er spüren, dass sie in diesem Moment an ihn gedacht hatte? Wenn ja, so ließ er es sich nicht anmerken. Sein kleiner Kopf war so weit zurückgelehnt, dass sie ihr Kinn auf seine Stirn hätte stützen können.
"Ist er ein Stern?"
Lächelnd schlang sie die Arme um die schmale Form ihres Sohnes, zog ihn näher zu sich; erst dann begann sie leise zu sprechen: "Papa", das hatte sie schon oft gesagt, "ist hier drin." Ihre Hand ruhte jetzt - leicht nur - auf der kleinen Brust, sie konnte seinen Herzschlag dennoch spüren.
"Er ist immer bei uns."
Der Blick ihres Jungens lag verträumt auf der Stelle, die sie so großflächig bedeckte. "Aber wer weiß", fuhr sie fort und zog ihre Hand langsam zurück, "ob er nicht auch dort oben ist, bei den Sternen."
Während sie sprach, schluckte sie die Trauer hinunter, kämpfte verbissen um das Lächeln auf ihrem Gesicht. "Dann schaut er jetzt zu uns herab; bestimmt ist er froh, dich zu sehen."
Erst spürte sie, wie die Kinderfinger begannen, mit dem Saum ihrer Bluse zu spielen. Dann hörte sie den Menschen, der nun die Welt für sie war, sagen: "Ich freue mich auch, selbst wenn ich ihn nicht sehen kann..."
Durch die weit geöffneten Augen hatte sie das Gefühl, ihrem Sohn direkt in sein kleines, lebendiges, liebes Herz zu sehen.
"Er wäre so stolz auf dich", flüsterte sie, schaute ihm noch einen Moment lang voller Mutterstolz ins Gesicht und verbarg ihr Gesicht letztlich in einer festen Umarmung. Er sollte die Tränen nicht sehen.

"Vielleicht", murmelte sie in sein Ohr, "vielleicht wird er uns eines Tages besuchen kommen. Wenn du älter bist."
Ihr Sohn nickte, aber sie wusste nicht, ob er ihren Worten Glauben schenkte, denn sie hatte es ihm schon so oft gesagt. Wieder dachte sie an Ben und das seltsame Gefühl glücklich und todtraurig zu sein, wann immer sie seinen blauen Geist neben der Wiege des kleinen Kindes gesehen hatte.
"Er sieht aus wie du", hatte sie ihm im Dunkeln erzählt, als die ersten schwarzen Locken das kahle Haupt bedeckt hatten.
"Er ist so wunderschön."
Ben war immer an ihrer Seite gewesen. In der Nacht, da sie den Jungen allein auf einem entlegenen Planeten zur Welt gebracht hatte. In den ersten Tagen und schlaflosen Nächten, an allen Geburtstagen und kleinen Höhepunkten. Manchmal war es ihr vorgekommen, als wäre er wirklich da. Als wären sie wirklich eine kleine Familie.
Aber immer, wenn er verschwand, löste sich dieser Traum in Luft auf und die Leere kehrte in sie zurück. Und wie groß diese Leere gewesen war, als sie gemerkt hatte, dass zwar sie den Vater sehen konnte, seine Geisterfigur für den Jungen jedoch unbegreiflich war!
"Erzähl mir von ihm", forderte er sie auch an diesem Abend auf. Still dankte sie ihrem Sohn für die willkommene Unterbrechung, wenn auch sie sie sofort auf den Gegenstand hundert schöner und schmerzlicher Erinnerungen zurückbrachte.
"Erzähl mir von Papa."
"Er war mutig", begann sie mit einem Blick, der sich ähnlich dem ihres Sohnes, wenn sie ihn etwas fragte, weit in der Ferne verlor. "Ich kenne niemanden, der mutiger war als er. Außerdem war er ein hervorragender Pilot; er liebte das Fliegen, das hatte er vielleicht auch von deinem Großvater." Sie wartete darauf, dass er sie nach Han fragen würde, aber als sie eine Weile geschwiegen hatte, klebten seine Augen noch immer wie gebannt an ihren Lippen, so als hoffe er, seinen Vater dazwischen hervorschlüpfen zu sehen.
"Irgendwann zeige ich dir, wie man fliegt", murmelte sie in der Angst, ihn aus seinen Träumen zu reißen, die doch manchmal das einzige waren, was Vater und Sohn verband. 
"Ben", mit diesem Namen konnte sie ihm stets ein kleines Lächeln auf das Gesicht zaubern, "war stark."  "Wahrscheinlich stärker als wir beide zusammen", fügte sie in fester Überzeugung hinzu und dachte ganz kurz nur an seine breiten Schultern und die starken Arme, an das Gefühl sicher zu sein, solange er in ihrer Nähe war; auch an seine Geistesstärke, an wilde Entschlossenheit und ewige Ausdauer dachte sie.
Entflammt von der Macht der Erinnerung spürte sie wieder diese Sehnsucht, die sie nicht nähren durfte, weil sie ihr Untergang wäre. Still seufzend fuhr sie fort.
"Er war oft wütend, aber ich glaube, die Ursache seiner Wut lag in tief gehegter Trauer. Für die Menschen, die er liebte, hätte er jedoch alles getan", ihre Lippen zitterten, sie schluckte. "Für dich, mich, deine Großeltern", im Augenwinkel meinte sie für einen Moment Leia zu sehen, jedoch sah sie sich nicht weiter um. "Er wäre für sie gestorben", ihre Stimme verlor sich im Nichts und trotz ihrer Anstrengung, stark zu bleiben, konnte sie die Träne, die nun im Mondschein über ihre Wange rollte, nicht mehr aufhalten.
Kurz herrschte Schweigen, sie wischte sich eilig mit einer Hand übers Gesicht. Ihr Sohn hatte jedoch nichts bemerkt, er war in Gedanken weit weg.
"Warum war Papa so traurig?", fragte er leise.
Bevor sie antwortete, küsste sie den schwarzen Schopf. "Weil das Licht in ihm so stark war, wie die Dunkelheit." Ihr war bewusst, dass fünf Jahre zu wenig waren, um ihre Antwort zu verstehen. Aber manchmal dachte sie, dass er es doch täte.
"Das wichtigste ist", schloss sie für diesen Abend, "dass er stets versuchte, das Richtige zu tun. Bis zum Ende. Und er liebt dich, mich, uns alle beide." 

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Vor vielen Wochen in mein Notizbuch geschrieben und in den letzten Tagen wieder herausgekramt. Nicht ganz traurig und nicht ganz glücklich, ich hoffe es gefällt euch ^^

<3

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⏰ Letzte Aktualisierung: Apr 29, 2020 ⏰

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