Kapitel 8

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4 Tage später ...

Ich bin mittlerweile aus dem Krankenhaus entlassen worden und kann wieder zur Uni gehen.
Mir geht es absolut beschissen, auch wenn sowohl die Platzwunde, als auch meine Gehirnerschütterung, problemlos verheilt sind.
Denn eine Sache ist noch geblieben und nicht verheilt: Die Erinnerungen vom Abend, an welchem K- Kyle meine Vorstellungen über ihn in das Gegenteil wandelte. Sein Name fällt mir seit dem Vorfall nur schwer über die Lippen. Er hat mich gebrochen. Nicht nur in zwei Hälften, sondern in viele, kleine Teile.
Jeden Abend weine ich mich in den Schlaf und wache morgens mit geschwollenen und geröteten Augen auf. Hinzu kommen die schlimmen Albträume, welche mich plagen. In diesen Träumen sehe ich ihn vor mir, wie er teuflisch lächelt und mich auszieht. Auch in diesem Traum bin ich bewegungsunfähig. Kurz bevor es geschieht wache ich schweißgebadet und keuchend auf.
Im Prinzip erlebe ich die Situation wieder und wieder. Nacht für Nacht. Mittlerweile kann ich nur noch mit Schlafmittel einschlafen. Und auch diese wirken nicht schnell genug.
Ich habe oft darüber nachgedacht, mir einfach eine Überdosis zu verpassen. Dann wäre alles leichter. Aber dann denke ich an meine Familie, wie sie reagieren würde. Wie enttäuscht und traurig sie wären.
Amy hat nach meiner Entlassung oft genug über das Thema nachgehakt, gibt es jedoch langsam auf.
Ich weiß nicht, ob sie mittlerweile schon Verdacht schöpft, was eigentlich ziemlich sicher ist.
Aber solange sie mich nicht mehr darauf anspricht, werde ich schweigen wie ein Grab.
Ich habe mir keine Hilfe gesucht und möchte es in Zukunft auch nicht, weil keiner davon erfahren soll.
Ich schäme mich dafür. Ich schäme mich in Grund und Boden, dass mir so etwas widerfahren ist. Der Gedanke, dass mich fremde Hände gegen meinen Willen angefasst haben, lässt mich erschaudern. Ich fühle mich dreckig und befleckt. Als wenn ich nichts mehr wert wäre und mir diese eine Person all meine Stärke und meinen Stolz genommen hat.
Normalerweise hört man über solche Fälle nur in den Nachrichtensendungen und ist froh, dass man selbst nicht betroffen ist. Dies kann ich jetzt nicht mehr behaupten, da ich auch diejenige in solchen Nachrichten sein könnte.
Ich war nach meiner Entlassung aus dem Krankenhaus so panisch, dass ich direkt einen Schwangerschaftsttest durchführte, aus Angst, ich könne ein Baby in mir tragen. Zum Glück war der Test negativ, was wenigstens eine gute Nachricht in meiner jetzigen Situation ist.

Ich stehe im Dessous vor dem Spiegel und betrachte meinen Körper, welcher mit Blutergüssen übersät ist. Meine Handgelenke sind blau und weisen an manchen Stellen gelbe Färbungen auf. Auch die anderen  Ergüsse an Armen, Beinen, Bauch und Po färben sich langsam gelb-bräunlich.
Ich versuche sie stets zu verstecken, indem ich Pullover und lange Hosen trage, bis sie allmählich verheilt sind. Bei dem heißen Wetter ist es verdammt schwer einen ganzen Tag in diesen Klamotten auszuhalten. Aber lange dürfte es nicht mehr dauern, bis ich zu meinen normalen Klamotten zurückkehren kann.
Ich danke Amy, dass sie mir Klamotten anzog, als sie mich splitterfasernackt in der Lagerhalle fand.
Ansonsten wüssten die Ärzte sofort, was mir zugestoßen ist.
Aber glücklicherweise stellen sie deswegen keinen Verdacht auf eine Vergewaltigung, sondern auf einen unglücklichen Unfall.
Vermutlich hält Amy sich ein wenig zurück, da sie sich nicht hundertprozentig sicher ist, was mir widerfahren ist, zumal ich dicht halte. Aus diesem Grund hat sie nichts in der Hand, um zur Polizei zu gehen.
Oder sie plant etwas hinter meinem Rücken. Das könnte ich ihr zutrauen.
Früher oder später werde ich es merken, wenn die Polizei vor meiner Tür stehen sollte oder mein Fall in den Nachrichten aufkommt.
Ich habe selbst nie verstanden, warum betroffene Frauen ungern über dieses Thema sprechen oder gar es gestehen. Doch jetzt verstehe ich warum. Ich verstehe deren Gefühle und Schmerzen, die sie durchmachen müssen.
Es gibt kein Heilmittel dagegen. Das gibt es einfach nicht.
Bescheuerte Therapiestunden bei einem Psychologen nutzen rein gar nichts, weshalb ich mich auch dafür entschieden habe es sein zu lassen. Ich muss selbst versuchen dieses Erlebnis zu verarbeiten, auch wenn es unmöglich scheint. Ich bin doch sowieso schon daran zerbrochen. Mich kann keiner reparieren.
Auch Ablenkungen bringen nicht viel.
Dennoch beschließe ich mir eine zu suchen, damit ich endlich die Augen von meinem verseuchten Körper lösen kann.
Ich brauche irgendetwas, das mich glücklich stimmt, wenn auch nur für einen kurzen Moment.
Ich grüble nicht lange, schnappe mir schließlich meinen Laptop und öffne den Internetbrowser, um auf meinen liebsten Onlineseiten nach neuen Kleidungsstücken und Dekorationen Ausschau zu halten.
Und genau das ist meine Therapie. Mir neue Dinge kaufen, auch wenn ich nicht alles davon brauche.
Ehrlicherweise werde ich vielleicht zu viel Geld los, aber solange es meine Glückshormone wieder weckt, spielt das keine Rolle.

Ich klicke mit meinem Cursor auf Bestellung bestätigen und kann das erste Mal wieder lächeln, da mich dieser Großeinkauf mit Freude erfüllt. Wenn auch nur für einen kurzen Moment.
Ich liebe es online zu bestellen, weil es einfach eine bequeme Art und Weise ist, Dinge zu dir liefern zu lassen, ohne sich durch das enge Gedränge in Geschäften zu quetschen.
Seufzend klappe ich meinen Laptop wieder zu und stelle ihn zurück auf meinen gläsernen Wohnzimmertisch, welcher beim Ablegen einen lauten Knall von sich gibt, wodurch ich kurz zusammen zucke und ein kalter Schauer über meinen Rücken läuft. In meinem Kopf spielt sich wieder dasselbe Szenario ab und ich kann es nicht aufhalten: Ich knalle mit meinem Hinterkopf gegen das Eisenregal, welches denselben Ton von sich gibt, wie der Glastisch und falle zu Boden. Und dann passiert das Schlimmste. "Geh raus! Geh verdammt nochmal da raus!", schreie ich und haue mir öftere Male mit der Handfläche gegen den Kopf und breche heulend auf dem Boden zusammen. Meine Gefühle überwältigen mich so stark, dass sich mein Brustkorb zuschnürt und ich keine Luft mehr bekomme.
Es reicht! Das kann nicht so weiter gehen ... ich kann doch nicht ständig an diesem Schmerz zerbrechen. Er frisst mich förmlich von innen auf und schreitet wie eine Krankheit voran. Und ich steuere sicher auf das Endstadium zu.
Anstatt ständig in meiner Wohnung zu hocken, könnte oder muss ich etwas unternehmen, um meinen Kopf frei zu bekommen. Einkaufen gehen fällt auf jeden Fall weg. Mein Onlineshopping-Trip hat mich einiges an Geld gekostet.
Als sich mein Magen mit einem unüberhörbaren Grummeln meldet, kommt mir die Idee. Vielleicht gehe ich essen. Aber vielleicht ist das auch eine total schlechte Idee. In meinen eigenen vier Wänden bin ich sicher und draußen ist die Welt, welche mir gezeigt hat, wie böse und erbarmungslos sie sein kann.
Aber will ich hier die ganzen Jahre versauern? Will ich wirklich weiterhin zerbrechen?
Verheult reibe ich meine Augen und erhebe mich vom weichen Teppich.
Meine Atmung verläuft allmählich kontrollierter. Doch die geschwollenen Lider bleiben. Kein Wunder, bei der Literanzahl an Tränen, welche ich die letzten Tage vergossen habe.
Ich schlürfe in mein Schlafzimmer und öffne den Kleiderschrank, welcher noch nie chaotischer war. Denn ich habe all die Kleidung entsorgt, die mich an das Ereignis erinnern.
Ich versuche mir einen Überblick zu schaffen und arbeite mich durchs Chaos durch, bis ich plötzlich auf ein blau-weiß gestreiftes, langärmliges Polokleid von Ralph Lauren stoße und meine Wahl gefallen ist.
Ich ziehe mich um und gehe dann weiter ins Badezimmer. Im Spiegel betrachte ich mein verheultes Gesicht und überschminke meine Traurigkeit, indem ich mich richtig aufbretzel.
Heute gehe ich schick Essen. Heute werde ich mich trauen das Haus zu verlassen.
Alleine?
Ja, alleine.
Ich brauche keinen Mann an meiner Seite. Ich schaffe das alleine.
Kyle hat mir gezeigt, dass sie Schweine sind.
Schweine, die sich in ihrem eigenen Dreck wälzen und dabei lachen.

Right or Wrong? (WIRD ÜBERARBEITET)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt