Kapitel 20

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"Guten Morgen." Eine tiefe, raue Stimme weckt mich. Langsam öffne ich meine Lider und blicke in zwei Augenpaare, welche mich zurückschrecken lassen.
"Hey, hey. Ich bin's doch nur. Sorry, wollte dich nicht erschrecken, sondern eigentlich wecken." Kyle legt sanft eine Hand auf meine Schulter, um mich zu beruhigen.
"Fuck, sorry.", murmle ich. Dieses Schreckhafte muss dringend verschwinden. Seit dem Vorfall bekomme ich es nicht weg. Jedenfalls ruckartig Bewegung und jedes laute Geräusch lässt mich zusammen zucken.
Kyle löste seine Hand von meiner Schulter, als er merkt, dass ich mich langsam beruhigt habe und meine Atmung wieder kontrollierter geht. "Ich mache uns Frühstück." Er springt vom Bett und verlässt das Zimmer.
Warte mal, habe ich das richtig verstanden? Er will Frühstück machen? Ich bin noch viel zu müde, um klar denken zu können. Mit einem Knurren drehe ich mich auf die Seite und blicke auf den Wecker. Es ist 7 Uhr am Morgen. Wie kann Kyle schon so fit sein? Ich bin definitiv ein Morgenmuffel. Um diese Uhrzeit schlafe ich eigentlich noch tief und fest. Dennoch quäle ich mich aus dem Bett und betrete das Bad, um mich fertig zu machen. Anschließend ziehe ich mich um.
Etwas fitter als zuvor, begebe ich mich in die Küche, in welcher Kyle fleißig am hantieren ist.
"Wow, das riecht ja mega gut." Ich atme den Duft ein. "Machst du Pancakes?" Ich stelle mich neben ihn und blicke auf die Pfanne, in welcher sich tatsächlich Pancakes befinden.
"Ja, mache ich. Du kannst dich schonmal setzen. Sie sind jeden Moment fertig."
Ich lasse mich auf dem Stuhl nieder und kurz darauf kommt Kyle mit den herrlich duftenden Pancakes zum Esstisch und platziert die zwei Teller. Auch er setzt sich hin und ergreift Messer und Gabel, welche er schon bereit gelegt hat. Es kommt mir vor, als lebe er hier und als wäre das hier das Normalste auf der Welt. Eine leichte Irritation macht sich in mir breit.
"Guten Appetit.", wünscht mir Kyle und schneidet das Frühstück an.
"Guten Appetit.", entgegne ich mit hochgezogenen Augenbrauen und tue es ihm gleich.
"Die sind echt gut.", gebe ich mit vollem Mund zu. Kyle muss schmunzeln. "Danke, das freut mich. Ist ein Rezept meiner Mom." Seine Mom? Wie ist sie so? Wie sieht aus? Was für ein Verhältnis hat Kyle zu ihr? Zu viele Fragen schwirren in meinem Kopf. Hat er einen Vater? Ich will ihn einerseits über alles ausfragen, möchte das Ganze andererseits langsam angehen. Früher oder später wird der richtige Zeitpunkt dafür sein. Somit verdränge ich fürs Erste die Gedanken.
Wir verspeisen das Frühstück in Windeseile und sind daraufhin mehr als satt. So viel habe ich lange nicht mehr gegessen. Mein Essverhalten ist seit Wochen schon kaputt und dieses Frühstück tut wirklich gut.
Stumm steht Kyle auf und räumt die Teller ab, welche er in die Spüle legt.
Er kommt anschließend zurück zum Tisch. "Ich muss jetzt leider los, sorry. Hab noch einen Termin. Und entschuldige.", er zeigt auf den Geschirrstapel in der Küche, "Für das Chaos."
Ich werfe ihm ein verständnisvolles Lächeln zu. "Oh okay, kein Problem. Ich begleite dich zur Tür." Mit diesem Satz stehe ich auf und bewege mich gemeinsam mit Kyle Richtung Tür. Kurz vor ihr halten wir an.
"Tschüss, Baby.", raunt er, während er mich an sich zieht und mir einen leidenschaftlichen Kuss gibt.
Es ist sehr früh am Morgen, weshalb ich noch nicht ganz aufnahmefähig für seine Worte bin. Den Kuss jedoch nehme ich mit all meinen Sinnen wahr und habe jedes Mal ein Kribbeln im Bauch, wenn er mich so intensiv küsst, weil es einfach ein unglaubliches und unbeschreibliches Gefühl ist. Vor allem zieht sich mein Unterleib jedes Mal aufs Neue sehnsüchtig zusammen.
Kyle löst sich langsam von mir und öffnet die Tür, während er seinen Blick nicht von mir löst. Er schreitet aus der Tür, die Augen immer noch auf mich gerichtet. Nur das Schließen der Tür trennt unsere Blicke voneinander. Ein Lächeln schleicht sich auf meine Lippen, welches ich nicht unterdrücken kann. Dieser Kerl macht mich verrückt ...
Wie auf Wolken gehe ich Richtung Küche, um das Chaos zu beseitigen, welches Kyle verursacht hat. Oh Mann, das hätte er wenigstens aufräumen können. Aber andererseits musste er zu seinem Termin. Was für einer überhaupt? In der Eile habe ich völlig vergessen ihn das zu fragen. Es scheint wohl etwas Wichtiges zu sein.
Kopfschüttelnd räume ich Besteck und Teller in die Spülmaschine.
Plötzlich klingelt mein Handy.
"Was ein tolles Timing.", murmle ich und hetze zum lauten Klingeln, in der Hoffnung, dass es Damian ist. Ich bin ihm noch eine ausführliche Erklärung schuldig.
Ich blicke auf den Bildschirm und stelle enttäuscht fest, dass es nur meine Schwester ist.
Langsam wische ich über die rissige Oberfläche meines Handys, um den Anruf entgegenzunehmen und presse das Handy gegen mein Ohr. "Hey Amy.", begrüße ich sie und lasse mich auf die Couch fallen. Der Abwasch muss warten.
"Hey Chloe. Hast du heute Zeit, weil ich dir etwas Wichtiges erzählen muss?" Amys Stimme klingt verwunderlicherweise nicht besorgt, sondern eher aufgeregt. Was ist passiert?
"Äh, ja klar. Du kannst vorbeikommen wann du willst.", entgegne ich ihr.
"Okay. Ich bin in einer halben Stunde da." Amy beendet abrupt den Anruf und ich frage mich, was sie mir zu erzählen hat. Solange es nichts mit Kyle zu tun hat, ist alles im grünen Bereich, da ich keine weiteren Diskussionen über dieses Thema führen möchte. Das ständige Gebrabbel über Du brauchst Hilfe ist einfach nur ermüdend und nervig. Außerdem hat Amy sowieso ihren Willen bekommen. Ich besuche einen Therapeuten. Das sollte ihre Gemüter beruhigen.
Gähnend erhebe ich mich vom Sofa und schleppe mich wieder in die Küche, um da anzusetzen, wo ich aufgehört habe - der Abwasch und das Aufräumen ...
Als ich gerade die Spülmaschine anstelle, klingelt es schon an der Tür und ich starre erschrocken auf die Uhr. Eine halbe Stunde war das definitv nicht. Amy ist ja schneller als der Blitz.
Schnaubend begebe ich mich zum Eingangsbereich und öffne die Tür, woraufhin Amy mir sofort in die Arme fällt, sodass ich fast das Gleichgewicht verliere.
"Schön dich zu sehen, Chloe." Amy strahlt aus allen Ecken und ich wundere mich, warum sie am frühen Morgen so gut gelaunt und fit ist. Wieso ist jeder so gut drauf am Morgen? Kyle war es auch schon.
"Willst du was trinken?", biete ich ihr an, während wir uns an den Esstisch setzen.
"Nein, danke. Ich muss sowieso gleich wieder weg. Ich bin nur gekommen, um dir eine Nachricht zu überbringen und dich nach einem schwesterlichen Rat zu fragen."
"Okay ... und die Nachricht und der Rat wären?", frage ich neugierig und überschlage die Beine. Ich widme meiner Schwester meine volle Aufmerksamkeit.
"Nun ja, wie soll ich das am besten formulieren? Ich mach es einfach kurz und knapp: Ich habe eine Stelle in New York an einer Modeschule bekommen und habe sie angenommen. Das heißt, ich werde ...", sie macht eine kurze Pause und atmet tief ein, "... schon morgen weg sein. Ich wollte dir das persönlich sagen, damit wir uns auch richtig verabschieden können. Es tut mir leid, dass ich dir das so spät erzähle. Aber ich habe den Anruf sehr spontan bekommen, weshalb ich es selbst erst kurz weiß und-"
"Bitte was?", entfährt es mir. Meine Augen sind weit aufgerissenen.
Amys Blick senkt sich. "Bitte sei mir nicht böse. Du weißt, dass es schon immer mein Traum war eine Stelle in New York zu bekommen. Und jetzt hat sich dieser Traum endlich erfüllt. Nach zahlreichen Bewerbungen, wurde ich endlich angenommen. Aber jetzt kommen wir zu deinem Rat den ich brauche oder sagen wir eher ... deine Sicht der Dinge. Ich habe das Angebot zwar angenommen, aber kann sofort wieder absagen. Ich weiß, dass du derzeit mit deinen Dämonen zu kämpfen hast. Deshalb möchte ich von dir wissen: Kommst du alleine zurecht oder soll ich das Angebot doch ablehnen? Und sei bitte ehrlich zu mir."
Mir bleiben die Worte im Hals stecken. Der Schock sitzt zu tief. Amy hat vor mich zu verlassen? Oder eher gesagt überlässt sie mir die Verantwortung für ihre Entscheidung. Einerseits brauche ich sie. Andererseits möchte ich ihr diese große Chance nicht vertun.
"Chloe?" Amy ergreift meine Hand.
Ich ringe mit mir und meinen Gedanken. "Ich weiß, dass es immer dein Traum war ... W-wie lange wirst du weg sein, wenn ich dich gehen lasse?", frage ich voller Angst. Das Warten auf eine Antwort verursacht bei mir ein mulmiges Gefühl.
"Die Ausbildung geht ganze zwei Jahre.", erwidert sie mit bedrückter Stimme und lässt die Bombe endgültig platzen.
Zwei Jahre? Zwei ganze Jahre ohne Amy. Wie soll ich das nur überleben? Wer ist dann in dieser Zeit mein sicherer Anker? Ich will nicht, dass Amy mich verlässt, aber ich will ihr auch nicht diese einmalige Chance vermasseln, weil ich weiß wie sehr sie diesen Job wollte und wie viel Arbeit damit verbunden war, eine Zusage zu bekommen. Mir schwirren zu viele Fragen durch den Kopf.
"Wer wird sich dann um deine Boutique kümmern?", erkundige ich mich und umgehe die Wahl, vor welche sie mich stellt.
"Cassy wird für mich stellvertretend die Boutique am Laufen halten, während ich weg bin."
Ich merke, wie mir die Tränen in die Augen steigen.
"Chloe, bitte nicht weinen." Amy springt von ihrem Stuhl und nimmt mich in ihre Arme, wodurch ich zu Schluchzen beginne und mich ebenso vom Stuhl erhebe.
"Es wird alles gut, Chloe.", beruhigt sie mich und tätschelt sanft meinen Rücken.
"Ich kann auch hier bleiben. Ich kann-"
"Nein!", unterbreche ich sie und löse mich aus der Umarmung.
"Nein?", wiederholt Amy stirnrunzelnd, als sie die Umarmung für einen kurzen Moment pausiert.
"Geh nach New York und erfülle dir deinen Traum." Die Worte sind ausgesprochen. Es gibt kein Zurück mehr. Ist es die richtige Entscheidung?
"Oh Chloe. Ich weiß nicht, was ich sagen soll. Ich-" Ihre Stimme bricht und sie nimmt mich ein weiteres Mal in den Arm.
"Wir werden uns schnell wiedersehen. Ich verspreche es dir. Du wirst schon sehen, die Zeit wird wie im Flug vergehen. Außerdem komme ich euch über die Feiertage besuchen. Und du versprichst mir bitte auch eine Sache: Belasse es mit den Therapiestunden beim Psychologen, ja? Ich möchte, dass es dir besser geht.", Amy streichelt meinen Kopf.
"Ich werde es versuchen." Es sind die einzigen Worte, die ich von mir geben kann, bis meine Stimme endgültig bricht und die Emotionen überschwappen.
Nun stehen wir beide Arm in Arm in meiner Wohnung, um uns das letzte Mal zu verabschieden, bis wir uns an den Feiertagen erst wieder sehen werden.
Ich werde sie vermissen. Ich werde sie extrem vermissen.

Right or Wrong? (WIRD ÜBERARBEITET)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt