Kapitel 21

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Der nächste Tag ...

Amy sitzt nun im Flieger nach New York und ich hocke auf meiner Couch und starre Löcher in die Luft.
Es fühlt sich komisch an, wenn die eigene Schwester auf einmal weg ist.
Ich habe das Gefühl, dass sie mich im Stich lässt, obwohl sie weiß, was mir widerfahren ist. Aber andererseits ist es meine Schuld, dass sie gegangen ist. Sie hat nach meiner Meinung gefragt und ich habe sie in ihrer Zukunft unterstützt. Gott, ich hoffe das war die richtige Entscheidung.
Natürlich weiß Amy immer noch nicht, dass ich mit Kyle zusammen bin, aber sie soll es auch nie erfahren. Genauso wenig wie meine Eltern oder gar Damian. Erwischt. Ich habe die Worte zusammen sein ausgesprochen. Ich kann es nicht leugnen, dass uns etwas verbindet.
Jedoch hat mir die letzte Nacht mit Kyle eine Heidenangst eingejagt. Diese Wut, die er in sich trug, löste Panik und Angst in mir aus. Eine weitere Panikattacke, die ich nur mit Mühe zurückhalten konnte.
Es trifft mich immer noch, wenn ich über Kyles Verhalten nachdenke, aber ich verdränge es stets. Es hat keinen Zweck sich an alten Gedanken festzukrallen und den Grund für alles zu suchen. Ich muss versuchen nach vorne zu schauen. Und umso mehr muss versuchen, mir dringend eine eine Ablenkung zu suchen, weil mich meine Gedanken sonst fertig machen.
Somit greife ich nach der Fernbedienung, schalte den Fernseher an und zappe durch jegliche Kanäle, bis ich mich für einen entscheide.
Es laufen gerade die Nachrichten, welche ich mir sehr gerne anschaue, um auf dem neuesten Stand zu bleiben. Ich habe gemerkt, dass ich die letzte Zeit kaum dazu kam und sich eine kleine Lücke gebildet hat. Außerdem interessiert es mich sehr zu sehen, was in der Welt passiert.
Aufmerksam höre ich der Nachrichtensprecherin zu. Zumindest versuche ich es. Denn ich bin heute unendlich müde, sodass mir immer wieder die Augen zu fallen und ich nur schwer gegen die Müdigkeit ankämpfen kann. Ich habe die Nacht extrem schlecht geschlafen, da mich meine Gedanken auf Trab hielten. Ich grübelte ständig über Amy nach, ob ich vielleicht doch die falsche Entscheidung traf und ich sie nochmal umstimmen sollte. Meine anderen Gedanken drehten sich um Kyle. Wie er ausgerastet ist und mir wehgetan hat. O Gott, er hat mir wehgetan. Noch immer spüre ich seine rauen Hände um meine Handgelenke, welche blau sind. Sie sind blau!? Was für eine Kraft muss er ausgeübt haben, um solche Ergüsse zu hinterlassen?
Plötzlich entnehme ich das Wort Vergewaltigung aus dem Fernseher und stelle instinktiv die Lautstärke höher.
"Nach einer Vergewaltigung am gestrigen Abend, bei der eine 20-Jährige Frau schwer verletzt wurde, hat die Polizei einen Tatverdächtigen festgenommen und ermittelt nun."
Ich höre der Nachrichtensprecherin mit gespitzten Ohren zu und bekomme sofortige Rückblicke über mein Erlebnis.
Wie ich mich wehrte und dabei schrie. Wie er mich gegen das Eisenregal donnerte und ich in eine Art Bewegungsunfähigkeit fiel. Und wie ich plötzlich in Ohnmacht fiel und ... vom eigentlichen Ereignis nicht wirklich etwas mitbekam. Hat er es überhaupt getan? Ich habe mir nie diese Frage gestellt.
"Komm schon, Chloe. Reiß dich zusammen!" Ich haue mir dabei mit der Handfläche auf den Kopf, in der Hoffnung, diese Gedanken irgendwie aus meinem Hirn zu verbannen. Aber das ist einfacher gesagt als getan, weil mich die Flashbacks stets verfolgen - Sogar in meinen Träumen ... Wie oft musste ich bereits Kyles diabolisches Lächeln vor mir sehen, obwohl er nicht anwesend war. Wie oft weinte ich mich bereits in den Schlaf und wachte mit geschwollenen Augen auf? Und wie oft schäme ich mich dafür? Ich habe aufgehört zu Zählen.
Geben mir die Nachrichten ein Zeichen, dass ich die falsche Entscheidung getroffen habe? Sollte ich vielleicht doch zur Polizei gehen?
Fuck! Ich kann es nicht.
Ich empfinde etwas für Kyle, das kann ich nicht leugnen. Ich will ihn nicht in Gefahr bringen, weil er mich liebt.
Verzweifelt schlage ich die Arme um meine Knie und lege den Kopf dazwischen. Das alles ist einfach nur ein einziges Chaos ... Wie soll ich dem jemals entkommen? Ich will wieder normal durch die Straßen gehen können, ohne Angst zu verspüren. Und viel mehr will ich mein altes Leben zurück. Ohne Schmerz und Leid.
Können mir die Therapiestunden jemals meinen Schmerz nehmen? Apropos Therapie, fuck, heute ist meine zweite. Mit gequälten Blick kontrolliere ich die Uhr. Wir haben acht Uhr morgens. Wach bin ich schon seit ganzen zwei Stunden. Geschlafen habe ich vielleicht die Hälfte der Nacht. Wenn überhaupt. Mein Kopf ist so laut, dass ich das Gefühl habe taub zu werden. Aber auch Taubheit löscht Gedanken nicht einfach so. Wie denn auch, wenn sich alles im Kopf abspielt.
Seufzend erhebe ich mich vom Sofa. Ich quäle mich ins Bad und anschließend ins Schlafzimmer, um mich fertig zu machen. Ich ziehe mir extra einen langen Pullover an, der perfekt über meine blauen Handgelenke geht. Mir egal, ob es zu warm ist. Hauptsache man erkennt die Ergüsse nicht.
Um kurz vor zehn habe ich meinen Termin. Dann muss ich ihm wieder unter die Augen treten. Was wenn er den Vorfall mit Kyle anspricht? Nein, das wies er nicht. Privates muss mit der Arbeit getrennt werden. Dem ist sich Damian mit Sicherheit bewusst.
Mit zittrigen Fingern verlasse ich meine Wohnung und fahre zur Praxis.

Right or Wrong? (WIRD ÜBERARBEITET)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt