Kapitel 7

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"Mrs. Bennett, können Sie mich hören?" Ich empfange eine angenehme Frauenstimme und öffne langsam meine schweren Lider.
Ich blicke in die Augen einer fremden Person. Fragen kommen in mir auf: Wo bin ich? Wer ist diese Frau? Was mache ich überhaupt hier? Und warum zum Teufel schmerzt mein Kopf so höllisch?
Ich bin mit der gesamten Situation überfordert und schaue verwirrt durch den Raum. Ich liege in einem Bett mit weißer, sauberer Bettwäsche. Die Wände sind leer und leicht gelblich. Entweder ist die Wandfarbe, welche definitiv eine schreckliche Wahl war oder die Wand ist mit der Zeit vergilbt. Ich blicke nach links und entdecke einen Tropf. Stirnrunzelnd folge ich dem Schlauch, welcher in meiner Vene endet.
Heilige Scheiße! Ich bin in einem Krankenhaus!
Die unbekannte Frau steht direkt neben meinem Bett und bestätigt meine Erkenntnis: "Mrs. Bennet, es gibt keinen Grund zur Sorge. Mein Name ist Dr. Martens. Ich bin Ärztin im Maria Krankenhaus, in welchem Sie sich gerade befinden."
"W- was ist passiert?", frage ich mit betäubter Stimme.
"Ruhen Sie sich erst einmal ein wenig aus. Sie sind gerade erst aus dem Koma erwacht."
"Aus dem was!?", meine Stimme hört sich an, als hätte ich eine Weile nicht mehr gesprochen und mein Kopf fängt an zu stechen, "W- wie lange war ich weg?"
"Ihr komatöser Zustand ging nicht länger als ein Tag. Sie sind jetzt in Sicherheit. Machen Sie sich keine Sorgen. Sie wurden bewusstlos in einer Lagerhalle gefunden. Jedoch erlitten sie eine Platzwunde am Hinterkopf und eine leichte Gehirnerschütterung. Ansonsten geht es Ihnen gut und ihr Zustand ist stabil. Das freut mich für Sie. Wir würden Sie trotzdem gerne zur Sicherheit noch hier behalten, da auch eine leichte Gehirnerschütterung nicht ohne ist und außerdem die genähte Platzwunde im Auge behalten werden muss. Aber ruhen Sie sich ein bisschen aus. Ich werde später nochmal nach Ihnen sehen und der Arzt wird einige Check-Ups durchführen." Sie wirft mir ein mitfühlendes Lächeln zu und verlässt den Raum. Eine einsame Stille kehrt ein und die Fragen kreisen wieder: Ich bin im Krankenhaus? Wie ist das passiert? Warum bin ich hier?
Ich versuche mich zu erinnern, was genau geschah und sortiere meine Gedanken. Doch der höllische Schmerz und das starke Pochen im Kopf machen es nicht leicht.
Ich wurde bewusstlos in einer Lagerhalle gefunden ...
Meine Überlegungen dauern nicht lange und mir fällt augenblicklich ein, was dort geschah. Mit einem Mal blitzen die Bilder wieder vor meinem geistigen Auge und wirken wieder so real.
Am liebsten möchte ich nicht mehr an diesen schrecklichen Moment zurück denken, aber jetzt ist es wie eine Marke, die sich in meine Erinnerungen eingebrannt hat. Wie Ky-, wie er ... meine Kleidung vom Leib riss und ... Fuck! Mein Körper fühlt sich schwer an. Und schmutzig. Beschmutzt von Händen, die ich nicht an mir haben wollte.
Nervös kratze ich mit meinen Fingernägeln an der Bettkante, um meine Gefühle zu unterdrücken, die Bilder zurück zu drängen.
Doch plötzlich schießen mir die Tränen unkontrollierbar in die Augen und ich muss weinen.
Dieses Weinen füllt meinen ganzen Körper mit Schmerz und Leid. All das, was ich an jenem Abend ertragen musste. Es ist kein erlösendes Weinen, sondern eher ein Ruf nach Hilfe, welcher mein Körper mir schickt. Doch ich will es nicht wahrhaben.
Ich will nicht wahrhaben, dass er mir das angetan hat. Dass mir das angetan wurde.
Ich dachte, dass aus uns etwas werden könnte. Ich dachte, er sei gut. Ich dachte ... ich weiß nicht was ich dachte. Mein Denken funktioniert nicht mehr richtig.
Mein Weinen erlischt immer mehr in ein leises Wimmern. Doch die Trauer steckt immer noch in mir. Ganz tief in meinem Inneren, so ungreifbar, dass ich die Blockade nicht lösen kann.
Nun erinnere ich mich an meine Bewegungsunfähigkeit. Ich war wie eingefroren. Wieso zum Teufel unternahm ich nichts? Ich hätte doch um mich schlagen können. Ich hätte mich befreien sollen ...
Dieses Gesicht ... dieses diabolische Lächeln hat sich ebenso in mein Hirn gefressen. Ich sehe es überall vor mir. Wenn ich an die grässliche Wand oder den hellen Bettbezug starre, sogar wenn ich den Blick ins grelle Licht richte. Selbst wenn ich erblinde, würde ich dieses Bild noch vor mir sehen. Denn es ist in meinem Gedächtnis verankert.
Zitternd atme ich aus und beiße mir auf die Unterlippe.
Mühevoll drehe ich mich auf die Seite und ziehe eines der Taschentücher aus der Box. Schluchzend schniefe ich in das weiche Tuch und ein Schauer überfällt mich.
Plötzlich wird die Tür aufgerissen und ich erblicke meine Schwester. Die Entsetzung in ihrem Blick treibt mir weitere Tränen in die Augen. Wie sie dort steht mit dem Blumenstrauß in der Hand. Langsam schließt sie die Tür, kommt auf mich zu, wirft den Blumenstrauß in eine bereitgestellte Vase und kniet vor mir nieder.
"Baby ...", bringt sie nur über ihre Lippen und nimmt mich fest in ihre Arme. Sie hält mich, um mir ihre Wärme und Liebe zu geben, die ich gerade benötige.
Ich bin so dankbar, dass Amy existiert und sie als meine Schwester nennen zu dürfen. Sie war schon immer für mich da und hat mich in allen Lebenslagen unterstützt. Sie ist für mich wie ein sicherer Hafen, an welchem ich mein Boot abstellen kann. Ich würde für sie, wenn es sein muss, sogar mein Leben opfern. Und ich weiß, dass sie genau dasselbe für mich tun würde.

Langsam beruhige mich wieder und löse mich behutsam von Amy, während sie mir mit beiden Daumen die letzten Tränen aus dem Gesicht wischt.
Sie schaut mich mit ihren traurigen Augen an und drückt mir dadurch indirekt aus, wie sehr sie mit mir leidet.
"Hey Süße, wie geht es dir?", fragt sie mit besorgter Stimme und streicht mir dabei sanft über den Rücken.
"Es könnte durchaus besser sein."
Ich lege den Kopf sanft zurück ins Kissen und ringe mir dabei ein Lächeln ab.
Amy erhebt sich aus der Hocke und setzt sich auf den Rand des Bettes. Sie ergreift meine Hand. "Chloe, du weißt, dass du mir alles erzählen kannst. Ich fand dich bewusstlos in meiner Lagerhalle, als ich etwas besorgen wollte, nachdem mir auffiel, dass ich dort etwas vergaß. Wer weiß was passiert wäre, wenn ich dich an dem Abend nicht mehr gefunden hätte? Du kannst mit mir über alles sprechen. Was ist passiert? Bitte, ich mache mir solche Sorgen. Ich konnte die ganze Nacht nicht schlafen. Die Ärzte haben mich nicht einmal bei dir übernachten lassen. Aber du bist wach!" Ein Schluchzen entfährt ihr, "Mom und Dad wissen auch Bescheid. Sie wollen dich heute noch besuchen kommen. Mom ist total fertig. Oh Gott Chloe ..."
Ich kämpfe damit, ob ich Amy die Wahrheit erzählen sollte oder nicht. Wenn ich das tun würde, bringe ich sowohl mich als auch ihn in Gefahr.
Denn ich bin Schuld, dass es so geschah. Wenn ich einfach meine Klappe gehalten hätte, dann wäre das alles nicht passiert. Ich schäme mich so dafür. Ich bin eine verdammte Idiotin einerseits geglaubt zu haben, ich bedeute ihm etwas und andererseits bin ich empört über meine Regungslosigkeit.
Ich räuspere mich und schüttle eine der wohl schlechtesten Lügen aus dem Arm: "Als ich die Ware einräumen wollte, bin ich ausgerutscht und mit meinem Kopf gegen eines der Regale gestoßen."
Ich weiß nicht, ob sich diese Lüge glaubwürdig anhört. Aber selbst wenn nicht, bleibe ich standhaft.
Es bildet sich eine leichte Zornfalte zwischen Amys Augenbrauen.
"Du hast die Ware nicht alleine gelagert. Der Lieferant war bei dir!"
Der Lieferant, der mein Innerstes zerstört hat? Ja, der war bei mir. Mist, Amy kommt mir auf die Schliche. Sie darf es einfach nicht erfahren ...
"Ach, der ist schon früh wieder gegangen. Er hat mir nur kurz geholfen die Ware in die Lagerhalle zu bringen, sodass ich sie einräumen konnte." Ich zucke dabei mit den Schultern und bemerke, wie Amys Blick immer ernster wird.
"Als ich meine Boutique verließ, stand der Transporter noch an demselben Ort. Du verschweigst mir etwas!" Ihre Stimme wird lauter und ihr Blick fordernder.
Ich schüttle den Kopf. "Nein ... Keine Ahnung was der Lieferant noch gemacht hat. Vielleicht ist er noch kurz auf die öffentliche Toilette gegangen oder hat im nächst gelegenen Restaurant etwas gegessen." Herzlichen Glückwunsch zur schlechtesten Lügnerin überhaupt.
Amy verdreht ungläubig die Augen. "Chloe, du warst nackt als ich dich fand. Nackt! Ich habe sofort den Krankenwagen gerufen und dir Klamotten aus meiner Boutique angezogen, damit du nicht mehr so entblößt warst, weil deine eigenen Klamotten total zerstört auf dem Boden verteilt waren." Ihre Stimme bricht und in ihren Augen tobt ein Sturm.
Ich schlucke schwer und spüre einen dicken Kloß im Hals. Meine Augen weiten sich. Scheiße. Sie hat mich so aufgefunden. Jetzt muss ich ihr die Wahrheit sagen. Es geht nicht mehr anders. Sie weiß, dass ich sie anlüge.
Weiß nur sie davon, dass sie mich so auffand? Nackt ... hilflos ...
Wieso hörte sie meine Schreie nicht, als ich so verzweifelt nach ihr rief. Wieso? Wieso zum Teufel ist das Leben so scheiße! Ich will nicht mehr existieren. Wenn ich tot bin besitze ich keine Gedanken mehr. Und wenn ich keine Gedanken besitze, muss ich nicht mehr an diesen Abend denken. Tot ist doch alles leichter.
Hat Amy alles bereits den Ärzten erzählt? Oder gar der Polizei!?
Ich atme tief durch und öffne meinen Mund, um nun alles zu gestehen. Es hat doch keinen Zweck mehr.
Aber in demselben Moment betritt der Arzt das Zimmer und ich seufze erleichtert auf. Er rettet mich vor einem ungewollten Geständnis.

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Right or Wrong? (WIRD ÜBERARBEITET)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt