Kapitel 23

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"Chloe?" Damian sucht verzweifelt nach Blickkontakt, während ich wie eingefroren auf mein Gericht starre.
Mir ist der Hunger vergangen, dennoch würge ich mir mein Ratatouille rein, um die Stimmung nicht noch weiter zu kippen. Denn mit meinen Worten habe ich genug angerichtet. Ich habe Damian verletzt. Und das ist schlimmer als alles andere. Ich habe ihn hoffen lassen, dass aus uns etwas werden könnte. Wenn man mich jetzt nicht als Herzensbrecherin abstempeln könnte, dann weiß ich auch nicht.
Als ich gerade die Gabel zu meinem Mund führe, beginnt Damian wieder zu sprechen. "Ich weiß, dass du nichts sagen möchtest. Ich zwinge dich auch nicht dazu. Aber wenn es dir lieber ist, können wir danach auch an einen ruhigeren Ort gehen. Vielleicht fühlst du dich ja dann bereit zu reden. Aber wie gesagt, du musst gar nichts. Es wäre nur besser, um mir und meiner Ungewissheit mehr Klarheit zu verschaffen. Ich mache mir nur Sorgen um dich. Das ist alles. Als dein Therapeut ist es meine Pflicht dir zur Seite zu stehen. Und als ... Freund."
Autsch. So schnell kann man in der Friendzone landen, schätze ich mal. Ich lasse mir den Schmerz, den seine Worte anrichten, nicht anmerken und nicke stumm. Jedoch ist es meine eigene Schuld. Durch die Aussage, dass Kyle und ich zusammen seien, habe ich die Blase zum Platzen gebracht. Das habe ich jetzt davon.
Schließlich nehme ich  einen Bissen vom lauwarmen Ratatouille und kaue es ganz langsam. Am liebsten würde ich es wieder ausspucken, so sehr verkrampft sich mein Magen gerade und boykottiert jegliche Nahrungsaufnahme.
Die restliche Stunde fühlt sich an wie eine Ewigkeit, da Damian und ich sie im Schweigen verbringen.
Wir essen schweigend unser Gericht, Damian bezahlt schweigend die Rechnung und wir verlassen schweigend das Restaurant.
Als wir draußen ankommen durchfährt mich ein Schauer, weil mich die Kälte von Kopf bis Fuß erfasst. Die Sommernächte in Boston sind manchmal sehr frisch. Oder es liegt daran, dass ich im Allgemeinen schnell friere. Dennoch kann ich ein Bibbern nicht unterdrücken.
Damian bemerkt mein leichtes Zittern. Er zieht sein Jackett aus und legt es mir wortlos über meinen Oberkörper, obwohl ich bereits eine Jacke trage.
Die Wärme des Jacketts und die Geste lassen mich lächeln. Dieses Lächeln wird breiter, als Damian plötzlich seinen Arm um mich legt, um mir auch seine Wärme zu spenden, damit ich nicht mehr friere. Und es wirkt. Von einem Moment auf den anderen umfasst mich eine angenehme Hitze und ich vergesse, dass ich zuvor gefroren habe. Durch Damians Geste kann ich mich fallen lassen und fühle mich einfach nur pudelwohl. Ich will nicht, dass wir meine Wohnung erreichen. Am liebsten möchte ich die ganze Nacht mit Damian durch Boston spazieren und den Moment genießen, auch wenn meine Füße von den hohen Schuhen höllisch schmerzen.
Ich bin dankbar, dass Damian bezüglich meiner Gesundheit nicht mehr nachgehakt hat. Vermutlich hat er bemerkt, dass er nichts aus mir rausbekommen würde.
Ohne einen einzigen Wortaustausch schlendern wir den Bürgersteig entlang. Damians Arm ist mittlerweile an meine Taille gewandert und hält mich. Worte würden diesen Moment nur zerstören - das haben meine nämlich bewiesen.

Nach ein paar Minuten erreichen wir meine Wohnungstür.
Damians Arm löst sich von meiner Mitte und mein Körper versetzt mir einen sehnsüchtigen Stich.
Mit zittrigen Händen krame ich den Schlüssel aus meiner Tasche und schließe die Tür auf. Damian folgt mir die Treppe hinauf, bis zu meiner Wohnungstür. Mit einem Klacken öffnet sich auch diese Tür und ich betrete meine Wohnung. Doch ich bemerke, dass Damian sich nicht vom Fleck rührt.
Langsam drehe ich mich um und sehe ihn unsicher im Türrahmen stehen.
"Komm doch rein. Was ist los?", frage ich verwundert und deute ihm durch ein Handzeichen an, dass er eintreten darf.
"Ich glaube es ist besser, wenn ich nicht rein komme. Das wäre nicht richtig." Damian fährt sich verlegen durch die Haare und rührt sich nicht vom Fleck. Wieso sollte das eine schlechte Idee sein? Ist er noch sauer auf mich?
Ich gehe behutsam auf ihn zu und stehe nun dicht vor ihm. Damians Blick ist gesenkt und seine Augen sind auf den Boden gerichtet.
Mit meinem Zeigefinger hebe ich leicht sein Kinn, damit er mir in die Augen schaut. Dass meine Hand immer noch zittert, ignoriere ich.
"Damian. Es tut mir leid, dass ich den Abend ruiniert habe. Ich hoffe, dass ich es irgendwann wieder gut machen kann. Und ich hoffe auch, dass ich dir irgendwann das erzählen kann, was zurzeit nicht möglich ist. I-ich kann es noch nicht erzählen." Irgendwann werde ich den Mut aufbringen können. Ich bin mir ganz sicher. Nur derzeit fühlt es sich nicht richtig an. Ich löse meine Hand von seinem Kinn, doch Damian umfasst sanft mein Handgelenk. Ich zucke zusammen und schrecke zurück. Als ich bemerke, dass sein Griff locker ist, lasse ich mich fallen und trete wieder näher. Damian scheint meine Reaktion nicht gestört zu haben. Denn er ringt sich nur ein Lächeln ab. "Du hast den Abend nicht versaut. Im Gegenteil, du hast ihn verschönert. Ich war es, indem ich dich ausgefragt habe. Ich hoffe es auch, dass du dich irgendwann mir gegenüber öffnen wirst. Aber keine Sorge. Mach dir keinen Stress. Du bekommst all die Zeit der Welt, die du brauchst und das ist okay. Aber hey, wir kommen doch in unseren Therapiestunden gut voran, findest du nicht? Du machst tolle Fortschritte und kannst wirklich stolz auf dich sein. Ich bin es zumindest." Damian nimmt mich unerwarteterweise fest in den Arm. Tränen schießen mir in die Augen, welche ich versuche zurückzuhalten. Wieso überfluten mich meine Emotionen so plötzlich? Eigentlich ist es nur eine normale Umarmung, doch diese urplötzliche Geste von Damian lässt mich weich werden.
Ich will es ihm erzählen, aber kann es einfach nicht. Ich bin einfach noch nicht bereit dazu ihm zu gestehen, dass Kyle der Lieferant ist und all die bösen Dinge tat. Hinzu kommt, dass ich mit ihm eine Beziehung führe.
Damian löst sich langsam von mir und streicht mir sanft eine Strähne aus dem Gesicht, während wir uns tief in die Augen schauen. Ein zartes Lächeln umspielt seine Mundwinkel und auch ich muss grinsen. Mir wird plötzlich ganz heiß und ich spüre die besondere Anziehungskraft zwischen uns. Unsere Lippen trennen nurnoch wenige Zentimeter und ich spüre seinen heißen Atem. Wie sich seine wohl anfühlen oder wie er wohl schmeckt? Ich will es so gerne wissen. Das hier könnte vermutlich nicht falscher sein, aber für mich fühlt es sich richtig an. Wie kann etwas so gefährlich, aber dennoch sicher sein? Bei Damian fühle ich mich aufgehoben, aber der Gedanke an Kyle lässt mich zurückschrecken. Es ist ein Wechselspiel der Gefühle.

Urplötzlich räuspert sich Damian und tritt einen kleinen Schritt zurück.
"Äh, ich glaube ich sollte lieber gehen. Gute Nacht ... und träum was Schönes." Damian wirft mir einen letzten bedauernswerten Blick zu, bis er im dunklen Treppenhaus verschwindet.
Wie perplex starre ich in die Leere und versuche zu verarbeiten, was gerade geschehen ist. Damian hat sich einfach aus dem Staub gemacht.
Mit offenem Mund schließe ich die Tür und lehne mich mit dem Rücken dagegen, während ich mit meinen Tränen kämpfe. In Zeitlupe gleite ich zu Boden und schlage die Hände über dem Kopf zusammen.
Bei mir herrscht zur Zeit ein schreckliches Gefühlschaos und ich weiß einfach nicht, was ich dagegen unternehmen soll. Dass sich Damian gerade vom Acker gemacht hat, macht das Ganze nicht besser. Aber vermutlich war es eine kluge Entscheidung von ihm. Wenn es zwischen uns einen Kuss gegeben hätte - oder sogar mehr - wären wir in einem noch größeren Schlamassel als wir es schon sind. Allein das Date heute hätte zwischen uns einiges verändern können. Wieso ich mich auf das heutige Treffen eingelassen habe, kann ich selbst nicht einmal beantworten.
Plötzlich klingelt es an der Tür und ich atme erleichtert auf. Damian hat es sich doch nochmal anders überlegt und ist umgekehrt. Innerlich hoffte ich, ein Klingeln zu hören und Damian die Tür erneut zu öffnen. Vermutlich würden wir dann wirklich einen Fehler begehen, den wir nicht mehr rückgängig machen könnten, aber das ist mir egal.
Ich raffe mich auf und öffne aufgeregt die Tür.
"Hallo Chloe."
Ich schrecke zurück und blicke in Kyles strahlende Augen, welche sich in schmale Schlitze verformen, während er mich nach hinten drückt und die Tür mit einem lauten Knall schließt.
Ich kann mir denken, was gleich passieren wird, als ich bemerke, dass ich immer noch Damians Jackett trage.

Ich kann mir denken, was gleich passieren wird, als ich bemerke, dass ich immer noch Damians Jackett trage

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