Kapitel 4

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Ich muss einfach versuchen den Abend mit Kyle zu vergessen, indem ich mich anderweitig ablenke. All das hier hat sonst keinen Zweck.
Im Schneidersitz hocke ich über meinen Laptop und starre einen leeren Bildschirm an. Die Wortanzahl beträgt immer noch Null. Dabei sollte ich schon längst etwas zustande gebracht haben; so lange wie ich hier schon auf den grellen Bildschirm stiere. Aber meine Gedanken kreisen sich nur um dieses eine Thema.
Eine weitere Woche ist vergangen und so langsam gebe ich es auf nach Kyle Ausschau zu halten. Die anfängliche Motivation, ihn zu finden, hat mich verlassen. Ebenso wie die Motivation, für die Uni zu lernen.
So kenne ich mich garnicht. Normalerweise fange ich immer rechtzeitig an den Lernstoff zu sammeln, um ihn mir anschließend anzueignen. Aber Kyle hat mir ordentlich den Kopf verdreht und hat den Großteil meiner Gedanken eingenommen. In ihnen ist kein Platz mehr für Lernstoff.
Die Suche nach ihm ist wie eine Nadel im Heuhaufen, welche man entweder nie oder zu spät findet.
Mit einem frustrierten Laut werfe ich mich nach hinten aufs Kissen und starre Löcher in die Luft. Dabei ist nur das leise Summen des Laptops zu hören. Mit dem linken Fuß versuche ich ihn zu schließen, bis er sich mit kurzem Widerwillen schließt.
Mein Blick wandert schließlich langsam durch mein Zimmer.
Es hat sich seit dem ersten Tag nichts verändert.
Das graue Boxspringbett steht immer noch zwischen meinem weißen Nachttisch aus Holz und meiner wunderschönen Areca Palme, die ich neulich erst in einen hellen Bastkorb umgetopft habe. Direkt gegenüber befindet sich mein riesiger Kleiderschrank mit Schiebetüren und gigantischem Spiegel.
Ich besitze mittlerweile schon so viele Klamotten, dass der Schrank schon überquillt und einige davon auf dem links stehenden Patchwork Sessel liegen. Daher erledige ich meine Uniaufgaben immer an meinem Esszimmertisch, was mich nicht stört. Ich bin zwar eine chaotische Person, aber diese Eigenschaft versuche ich irgendwie als meinen Vorteil zu nutzen. Ich lebe sozusagen in meinem Chaos. Und es scheint auch zu funktionieren. Na ja, zumindest sehr häufig.
Die linke Wand ziert ein großes Fenster mit weißen, zugezogenen Gardinen aus einem samtigen Stoff, dennoch durchlässig genug für das Sonnenlicht, welches das helle Parkett zum Leuchten bringt und Staubkörner im Licht tanzen lässt.
Um das Fenster kleben zahlreiche Poster meiner Lieblingsbands. Hauptsächlich von BTS. Amy zieht mich jedes Mal aufs Neue auf, dass ich solch eine Mädchen Boyband liebe. Ich für meinen Teil schäme mich nicht dafür. Sie produzieren gute Musik, welche mir stetig gute Laune gibt und zu welcher ich lauthals mitsingen kann. Was ist schon dabei eine Lieblingsband zu haben?

Ich räkle mich in der weichen Matratze, als plötzlich mein Handy klingelt. Ich zucke kurz zusammen.
Quälend drehe ich den Kopf zur Seite und starre auf das Display. Jemand hat mir geschrieben.
Mit einem Mal kreisen meine Gedanken wieder um Kyle: Hat er mir eventuell geschrieben? Aber woher sollte er meine Nummer haben? Vielleicht hat er jemanden, der mich gut genug kennt, nach meiner Nummer gefragt? Nein, ich male mir bestimmt wieder zu viel aus.
Schließlich kontrolliere ich meine Nachrichten und große Enttäuschung macht sich in mir breit.
Amy hat mir geschrieben. So früh am Morgen? Was möchte sie von mir?

Hey, Chloe!
Nicht vergessen: Morgen ist der große Tag. Meine Boutique eröffnet und ich bräuchte deine Hilfe für einige Vorbereitungen, die noch zu erledigen sind. Könntest du bitte um zwölf Uhr zur vorbeikommen? Ich brauche eine starke Schwester zum Anpacken. :-P

Fuck! Das habe ich total vergessen! Ich haue mir mit der Handfläche gegen die Stirn.
Die ganzen Gedanken über Kyle haben mich total aus der Bahn geworfen.
Wie kann ich den morgigen Eröffnungstag von Amys Boutique nur vergessen.
Was für eine Schwester bin ich nur?

Natürlich habe ich das nicht vergessen. Wir sehen uns dann um zwölf Uhr. Freue mich schon sehr!

Auch wenn diese Antwort komplett gelogen ist, muss ich nicht direkt meinen Kopf hinhalten. Amy würde das nicht verstehen, da sie einerseits meint, ich sei zu chaotisch, und andererseits kennt sie nicht die ganze Geschichte hinter meiner leichten Abwesenheit. Wobei leicht noch nett ausgedrückt ist. Es ist definitiv schon in der Gefahrenzone. Wenn ich die ganze Kyle-Sache nicht schnellstmöglich vergesse, werde ich vermutlich noch an einem Herzkasper sterben.

Stöhnend springe ich aus meinem weichen Bett, schlüpfe in pinke Kuschelsocken und mache mir erst einmal Frühstück.
Schlürfend begebe ich mich in Richtung Küche. Ich verlasse mein Zimmer und betrete den schmalen Flur. Rechts geht es zur Haustür, welche mit Schuhen verbarrikadiert ist. Der Türgriff ist durch die dicke Schicht an Jacken nicht mehr erkennbar.
So chaotisch habe ich diese Ecke definitiv nicht in Erinnerung.
Mit zuckenden Schultern biege ich links ab und erreiche nach dem Passieren einiger Türen, einen großen, offenen Raum, in welchem sich rechts mein Wohnzimmer, und links die Küche befindet. Das Wohnzimmer befindet sich neben einem kleinen Balkon, auf welchem die Sonne ideal scheint, um sich zu bräunen. Das Sofa ist sehr klein und für maximal drei Leute gedacht, wobei es bereits über dessen Kapazität getestet wurde. Fazit: Es ist wirklich nur für maximal drei Leute gedacht. Das braune Leder sieht schon deutlich abgesessen aus, weshalb ich es mit einer roten Patchworkdecke und zwei flauschigen, hellbraunen Kissen, jeweils links und rechts trapiert, verstecke. Gegenüber des Sofas steht mein Fernseher. Netflix und Co. sind hier Standardprogramm. Man kann sagen das Wohnzimmer ist klein, aber fein.
Die Küche hingegen ist geräumiger und besitzt alles, was ich brauche. Jegliche Ausstattung ist hier vorhanden. Dafür haben meine Eltern gesorgt. Die Küchenzeile erstreckt sich die ganze Wand entlang und in der Mitte prangert eine kleine Kücheninsel. Rechts daneben steht ein winziger Tisch mit zwei Holzstühlen. Die komplette Küche ist hell gehalten und lässt die Wohnung fröhlicher wirken.

In der Küche angekommen schaue ich mich um und hoffe, schnell fündig zu werden.
Am liebsten frühstücke ich goldbraunes Toast mit Butter und einer Scheibe Käse. Als Topping am besten noch Gurken oder Paprika.
Aber heute fehlt mir dafür leider die Zeit, da ich schon in einer halben Stunde los muss und ich mich immer noch in meinem Schlafanzug befinde.
Ich hole daher schnell einen der selbst gebackenen Schokomuffins aus der Dose, die meine Mom gestern vorbei gebracht hat. Ich entferne den Muffin aus der Papierform und werfe sie auf die vor mir liegende Arbeitsplatte. Genüsslich beiße ich ein Stück ab und Oh mein Gott. Sie schmecken köstlich.
"Mom, du bist eine Meisterbäckerin", nuschle ich mit vollem Mund und lecke die restlichen Krümmel von meinen Fingern ab.
Danach mache ich mich so schnell wie möglich frisch, um wenigstens einigermaßen akzeptabel auszusehen. Ich hechte zurück ins Schlafzimmer und ziehe mir irgendwelche Klamotten über, die eigentlich garnicht miteinander harmonieren und putze mir hektisch die Zähne.
Mein Makeup muss heute leider dran glauben, ebenso wie meine grob gekämmten Haare, welche ich mir noch schnell zu einem Dutt zusammenknote.
Ich werfe einen kurzen Blick in den Spiegel und verziehe das Gesicht. Ich sehe echt grauenhaft aus. Das blaue oversized T-Shirt passt ganz und gar nicht zu meiner khakifarbenen Anzughose.
"Grün und blau schmückt die Sau.", verspotte ich mich selbst und wende den Blick vom Spiegel.

Ich hetze rasch zu meinem Wagen und fahre los.
Dabei drehe ich das Radio laut auf und natürlich brummt aus den Sprechern BTS. Das kann doch kein Zufall sein. Schief stimme ich den Refrain von Dynamite an und grinse über beide Ohren.
Ich freue mich ehrlicherweise sehr auf den heutigen Tag und bin in bester Stimmung, da mir dies endlich eine Ablenkung von den ständigen Gedanken über Kyle bietet.
Und diese Ablenkung brauche ich dringend.

Und diese Ablenkung brauche ich dringend

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Right or Wrong? (WIRD ÜBERARBEITET)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt