Kapitel 16

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"Guten Tag, Mrs. Bennett. "
Damian, oder sollte ich eher sagen Mr. Owen, betritt den Raum und reicht mir die Hand, bis ich mich zu ihm wende und er mein Gesicht sieht.
Seine Augen weiten sich und Schock steht ihm ins Gesicht geschrieben.
"Ch- Chloe? Ich meine, Mrs. Bennett.", fragt er verwundert, während er mir kräftig die Hand schüttelt und sich dann auf den gegenüberliegenden Sessel fallen lässt, ohne seinen entsetzten Blick von mir zu lösen.
"Dich, äh, Sie hätte ich hier nicht erwartet." Es ist irgendwie niedlich, wie er versucht, professionell zu bleiben.
Ich merke, wie mir immer heißer wird und die Hitze mein Gesicht errötet. Ich fahre mir verlegen durch meine zerzausten Haare.
"Dam- Mr. Owen ... und ich hätte Sie hier ebenso nicht erwartet.", erwidere ich mit unwohlem Unterton. Es ist sehr seltsam sich zu Siezen, wenn man sich bereits kennt.
Damian versucht sich weiterhin zusammenzureißen und bleibt neutral, auch wenn sein Gesicht deutlich andere Emotionen ausdrückt. Er räuspert sich. "Du brauchst keine Angst zu haben. Nur weil wir uns schon kennen heißt das nicht, dass ich dich anders behandeln werde. Ähm, ich werde dir erstmal erklären wie so eine Sitzung abläuft, okay?"
Ich nicke stumm.
Damian atmet hörbar aus. "Ich verbinde in meinen Sitzungen konfrontative mit kognitiven Therapietechniken. Zunächst schildern mir die Patienten ihre Erlebnisse oder Probleme. Dann analysiere ich die damit verbundenen, unangemessenen Überzeugungen."
"Unangemessene Überzeugungen?", wiederhole ich fragend.
Damian grinst schief. "Das wirst du mit der Zeit verstehen. Aber wir fangen langsam an. Der erste Schritt ist es, die Erlebnisse oder Probleme zu schildern."
Meine Augen weiten sich, was Damian bemerkt. "Es ist völlig in Ordnung, wenn man sich nicht auf Anhieb dazu überwinden kann. Babyschritte sage ich gerne. Denn auch ein kleiner Schritt kann hier ein großer sein."
Babyschritte. Ich weiß nicht, ob ich es schaffe Damian alles zu erzählen.
Aber ich muss, weil ich sonst grundlos hierhergekommen bin und ich eine Art Verpflichtung spüre. Aber andererseits ist es völlig in Ordnung, wenn man länger braucht. Außerdem darf Damian sowieso keinem etwas davon erzählen, weil er sonst seine Schweigepflicht verletzen würde.
Meine Gedanken spielen Ping Pong.
"Babyschritte.", murmle ich, was Damian leicht Grinsen lässt.
"Ganz genau.", höre ich ihn sagen.
"Ähm okay, also ... ich weiß nicht wie oder wo ich anfangen soll." Meine Unsicherheit übernimmt meinen gesamten Körper.
"Wie geht dir?" Damian faltet die Hände auf den Tisch zusammen.
"Was?", frage ich mit zusammengezogenen Augenbrauen.
"Wie geht es dir?", wiederholt er.
"Ähm, gut.", erwidere ich. Sogar Leute mit einer grottigen Menschenkenntnis würden mir sofort auf die Schliche kommen.
"Grabe tiefer. Wie geht es dir wirklich?" Seine Stimme ist so sanft. Ganz anders, als bei unserer ersten Begegnung. Vermutlich möchte er seine Professionalität wahren.
"Mir geht es ... schlecht." Babyschritte.
"Wieso geht es dir schlecht?", bohrt er behutsam nach.
"Weil ich mich nicht mehr wohl fühle." Meine Stimme zittert.
"Gibt es einen bestimmten Grund für dieses Unwohlsein? Was führt dich hierher?"
"Ja. Jemand bestimmtes" Auf welchen ich mich letzte Nacht eingelassen habe.
"Jemand aus deiner Familie?"
"Nein, kein Verwandter."
"Also ein Mann?"
"Ja." Welcher mir nun näher steht, als er sollte.
"Was hat dieser Mann getan?" So viele Fragen auf einmal.
"Er, er hat mich ... angefasst." Ohne meine Erlaubnis.
"Hat er dir wehgetan?" Wir kommen dem eigentlichen Punkt immer näher und mir wird heißer.
"Ja, hat er."
"Wo genau hat er dir wehgetan?" Um diese Frage genauer beantworten zu können, müsste ich mit dem Finger in mein Herz fassen können.
"Überall." Mehr bekomme ich nicht aus meinem staubtrockenen Mund.
Damian macht sich Notizen. So viel haben wir doch garnicht besprochen, oder?
"Wenn es dir zuviel wird, dann sag es sofort."
Ich nicke und schiebe meine Finger unter meine Oberschenkel.
"Das machst du sehr gut, Chloe", motiviert mich Damian. "Meinst du, du wärst bereit mir mehr zu erzählen?"
Ich ringe mit mir und beiße mir verlegen auf die Unterlippe. Wieder nicke ich stumm. "Ich versuche es. Also es geht um diesen Mann. Er ... er hat mich angefasst. Ohne meine Erlaubnis. I-Ich konnte mich nicht bewegen. D-das war alles meine Schuld. Ich hätte ihn nicht anschreien dürfen."
"Wieso hast du ihn angeschrien?", hakt Damian nach.
"Wir haben uns auf einer Party kennengelernt und er war einfach weg, als ich von der Toilette wiederkam. Wir sahen uns wieder, als er Kleidung für die Boutique meiner Schwester lieferte. Wir haben die Kleidung gemeinsam in die Lagerhalle gebracht. Dort bin ich ausgetickt, weil ich so sauer auf ihn war, dass er abgehauen ist. Plötzlich ging alles so schnell. E-er hat mich gepackt und ich bin gegen ein Regal gestoßen und ..." Meine Stimme versagt.
Damian erwidert nichts, sondern notiert wieder etwas. Endlich setzt er an zum Reden: "Ist dir bewusst, was geschah? Erinnerst du dich gut?"
"I-ich war bewegungsunfähig. Er hat einfach weitergemacht. Ich wollte schreien, mich bewegen, aber e-es ging nicht. Ich ..." Wieder versagt meine Stimme. Doch diesmal steigt Kummer in mir auf.
"Okay, ich denke das reicht für heute.", beendet Damian die Sitzung.
"Das hast du sehr sehr gut gemacht, Chloe. Wie ich gesagt habe: Babyschritte." Sein Lob entlockt mir ein dezentes Lächeln.
"Ich würde vorschlagen, dass wir direkt einen weiteren Termin vereinbaren. Vorausgesetzt es ist in deinem Interesse?"
"Sehr gerne.", willige ich ein.
Auch wenn es eine schwere Überwindung war und wir nicht wirklich weit gekommen sind, fühlt es sich dennoch gut an. Befreiend. Ich verfluche Amy, dass sie recht hatte. Mir geht es verdammt schlecht und alleine kann ich dieses Leid nicht länger mit mir ausmachen und wie eine Last tragen.
Damian notiert mir einen Termin und reicht ihn mir.
"Wenn du möchtest kannst du noch ein wenig hier sitzen bleiben und dich beruhigen. Nimm dir die Zeit, die du brauchst. Bis zum nächsten Termin, Chloe." Er erhebt sich vom Sessel und geht zur Tür. Dabei spüre ich seinen Blick in meinem Nacken, als er den Raum verlässt.
Erst als sich die Tür sich schließt, stoße ich angehaltene Luft aus.
Das alles war definitiv zu viel für mich. Schlimm genug meine Erlebnisse zu schildern, wenn auch noch ein Mann wie Damian mir zuhört. Vermutlich war es für ihn genauso schwer, wenn man bedenkt, dass wir vor kurzem zusammen in einem Restaurant saßen uns gemeinsam redeten, lachten und aßen. Die Welt ist klein.
Ich raffe mich auf und verlasse den Raum. Mit zügigen Schritten steuere ich den Ausgang an. Flüchtig verabschiede ich mich von der Empfangsdame und stoße die schwere Ausgangstür auf.
Mit zitternden Knien gehe ich die Treppe hinunter, während ich mich am Geländer festhalte.
Als ich mein Auto erreiche entdecke ich einen Zettel an der Windschutzscheibe, welcher zwischen dem Scheibenwischer geklemmt ist.
"Ernsthaft? Was soll die Scheiße?", fluche ich vor mich hin und frage mich zudem, welcher Arsch mir einen Strafzettel verpasst hat.
Ich stehe nicht falsch, sondern an einem offensichtlich gekennzeichnetem Parkplatz.
Ich trete näher und reiße den Zettel aus dem Scheibenwischer, bis ich ihn lese.
Zu meiner Überraschung ist es gar kein Strafzettel, sondern eine Nachricht.

Heute Abend um 18 Uhr im Richie's?

Ich frage mich, wer das sein könnte.
Jedoch fällt mir sofort ein Kandidat ein, wer diesen Zettel geschrieben haben könnte: Damian.
Er hat den Raum früher als ich verlassen, um die kleine Botschaft an meinem Auto zu befestigen.
Ich knülle das Stückchen Papier zu einem kleinen Ball und halte es über den Mülleimer, um es wegzuschmeißen.
Aber irgendetwas hindert mich daran es nicht zu tun und somit stecke ich den Zettel in meine Jackentasche.

Aber irgendetwas hindert mich daran es nicht zu tun und somit stecke ich den Zettel in meine Jackentasche

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Right or Wrong? (WIRD ÜBERARBEITET)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt