Ich sitze am Esstisch und fahre den Tausend Rissen meines Handys nach, welches den Aufprall mit der Wand tatsächlich überlebte und noch funktioniert.
Aber nicht nur mein Handy hat Risse, sondern auch meine Seele. Wenn das Ganze so weiter geht, drohen diese tiefer zu werden. Oder sollte ich eher sagen, dass die Risse erneut aufgebrochen wurden?
"Es tut mir leid." Kyle nimmt meine Hand, während ich den tiefen Rillen auf dem Bildschirm mit der anderen immer noch nachfahre und seine Entschuldigung bewusst ignoriere.
Er küsst meinen Handrücken und streichelt dabei meinen Arm. "Chloe! Es tut mir wirklich leid."
Ich bleibe stur und schaue ihm nicht in die Augen, sondern fixiere meinen Blick weiterhin auf das Handy. Wenn er jetzt erwarten würde, dass ich ihm verzeihe, dann hat er sich ganz stark geschnitten. Er hat Damian zusammengeschrien, mein Handy gegen die Wand geschmissen und mich zum Sex genötigt. Zählt das zu Missbrauch, wenn man mit dieser Person in einer Beziehung ist? Sind wir überhaupt zusammen oder waren wir es jemals? Ich weiß nur, dass es genug Faktoren sind, um mein Schweigen zu halten und ihm damit auszudrücken, dass sein Verhalten inakzeptabel war und er mich ein weiteres Mal gebrochen hat. Die Wunden von jenem Abend waren gut verheilt und sogar fast weg. Doch jetzt sind sie erneut am Bluten und zerreißen mein Innerstes. Ich will dieses Gefühl nicht mehr spüren. Ich will diese Flashbacks nicht mehr vor meinem Auge aufblitzen sehen. Meine Kraft droht allmählich ausgeschöpft zu werden.
Kyle stößt einen lauten Seufzer aus. Ich beobachte aus dem Augenwinkel, wie er sich mit den Händen verzweifelt durchs Gesicht fährt und für eine Weile in dieser Position verharrt. Mit einem quietschenden Stuhl steht er auf und geht zum Fenster.
Ich löse schließlich meinen Blick vom Handy und beobachte ihn. Er starrt verträumt in die Ferne und verschränkt die Arme, während er sich an die Wand lehnt.
Ich fühle mich plötzlich schlecht, dass ich ihn ignoriere und anschweige. Er schaut auf einmal so unschuldig aus, wie er die Sonne betrachtet, welche langsam hinter dem Horizont verschwindet. Habe ich vielleicht einen Fehler gemacht? Hätte ich den Zettel von Damian doch lieber wegschmeißen sollen? Denn wenn ich das getan hätte, wäre die Situation vermutlich nicht eskaliert. Im Gegenteil, ich hätte mit Kyle schlafen können, um dann anschließend Damian zu treffen, ohne dass er es gewusst hätte. Ich bin so eine Närrin. Wieso müssen auch ausgerechnet zwei Kerle in mein Leben treten und es so durcheinander bringen. Wieso muss das Leben generell so verdammt kompliziert sein? Kann nicht alles mal nach Plan laufen? Denn ich habe definitiv nicht geplant, mich in einem Zwiespalt zu befinden - aufgrund zwei Typen, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Hinzu kommt, dass einer mein gottverdammter Therapeut ist. Das Wort Therapeut klingt immer noch seltsam und geht mir schwer von den Lippen. Mir graut es jetzt schon vor der nächsten Sitzung.
Ein Quietschen lässt mich aufschrecken und reißt mich aus meinen Gedanken. Kyle öffnet mit einem Ruck das Fenster und eine warme Brise umhüllt mich kurze Zeit später. Er lehnt sich sanft auf die Fensterbank und inhaliert die frische Luft, während er weiterhin verträumt in die Ferne blickt.
Ich fasse all meinen Mut zusammen und stehe schließlich auch auf, um mit vorsichtigen Schritten auf Kyle zuzugehen. Er dreht sich nicht zu mir um und somit stelle ich mich direkt neben ihn, während ich über die atemberaubende Skyline von Boston blicke.
Da sich meine Wohnung weiter oben befindet, bestaune ich jeden Tag diese wunderschöne Aussicht und setze mich gerne mit einer Tasse Kaffee auf die Fensterbank, um den morgendlichen Sonnenaufgang zu beobachten. Oder ich bestaune - wie jetzt - den Sonnenuntergang. Am liebsten mit einer Tasse Tee oder einem guten Buch in der Hand. Es ist wie ein Ritual für mich und nun stehe ich mit einem Mann vor diesem Fenster und wir beobachten gemeinsam das Verschwinden der Sonne hinter dem weiten Horizont.
Kyle schließt überraschenderweise das Fenster und ein Lächeln umspielt seine Mundwinkel, als er sich endlich zu mir wendet.
Erschöpft lehne ich meinen Kopf an seine Brust und vernehme seinen Herzschlag. Diese Geste scheint für uns beide eine Selbstverständlichkeit zu sein. Somit schließe ich die Augen und konzentriere mich auf die Schläge, welche mal langsamer und ein anderes Mal wieder schneller werden.
Kyle streichelt behutsam meinen Kopf und mir wird wieder warm ums Herz.
Es ist erstaunlich, wie schnell ich ihm doch wieder verzeihen kann, obwohl ich mir geschworen hatte es nicht zu tun. Aber er meinte es nicht so und es tut ihm leid, was er mehr als einmal sagte. Jeder kann mal aus seiner Haut fahren und kurz zur Bestie werden - auch ich. Außerdem ist es mein Fehler. Es war mein Zettel, den ich nicht wegschmeißen konnte. Und mein Fehler, dass sich das Kondom in derselben Jackentasche befand.
Ich öffne die Augen, blicke zu Kyle hinauf und lächle, während er mir einen sanften Kuss auf die Stirn drückt. "Es wird langsam spät. Lass uns schlafen gehen.", wispert er in mein Ohr und schlingt dabei seine Arme um mich. Dabei kraule ich sanft seinen Rücken und spüre seine Wärme.
"Ich kann es nicht oft genug sagen, aber es tut mir verdammt leid, Chloe. Ich wollte nicht, dass es so ausartet. I-ch will dich nicht verlieren. Ich, ich stehe total auf dich, das musst du wissen. Und ich hatte Angst, dass du mir eventuell ... fremdgehen könntest." Dieses Wort verpasst mir einen Stich. Ein Glück, dass wir uns in einer Umarmung befinden und er mein Gesicht nicht sehen kann. Denn ich bin mir sicher, dass man meine Gefühle gerade sehr deutlich ablesen kann.
Ich ringe mich zu einer Antwort: "Das muss es nicht. Mir tut es auch leid. Ich wollte dir keinen falschen Eindruck vermitteln." Ich schlinge mich enger um seinen Körper.
Kyle gibt mir einen sanften Kuss auf den Haaransatz. "Gut, gut." Seine Stimme ist nur ein Wispern. Dennoch laut genug, um seine Worte zu verstehen.
Ich löse mich langsam aus der Umarmung und fasse seine Hand. Ohne zu Zögern umschließt er meine und streicht mit dem Daumen über meine Knöchel, was mir eine Gänsehaut verursacht.
Eine plötzliche Müdigkeit überkommt mich, welche mir ein Gähnen entlockt. Ich scheine Kyle anzustecken, woraufhin er ebenso ein Gähnen von sich gibt.
"Lass uns schlafen gehen.", flüstere ich und setze mich in Bewegung, ohne eine Antwort abzuwarten. Nach kurzem Zögern, bewegt sich auch Kyle.
Verschlafen erreichen wir mein Zimmer und fallen müde ins Bett.
Wir liegen uns gegenüber und blicken uns tief in die Augen, welche mehr als Tausend Worte sagen. Kyle drückt pure Reue aus, während meine Augen ihm voller Verzweiflung verzeihen. Denn ich weiß nicht, was ich sonst für eine Wahl hätte. Nicht nur er ist Schuld an dem heutigen Abend, sondern auch ich. Wenn ich es ihm nur sagen könnte ... Doch dadurch würde ich seine Vermutung nur bestätigen, dass ich einen anderen Mann treffe. Aber ist es schon fremdgehen, wenn man sich nur trifft? Jeder setzt seine Grenze anders. Und ich weiß nicht, wann man sie für Kyle überschreitet. Vermutlich zählt es für ihn schon zu Fremdgehen, wenn man einen anderen Mann trifft. Sonst wäre er nicht so aus seiner Haut gefahren.
Als wenn er das Chaos in meinem Hirn wahrnehmen könnte, nimmt Kyle meine Hand und zieht mich an sich, während ich meinen Kopf auf seine Brust ablege und mich lächelnd an ihn schmiege.
Ich weiß nicht wieso ich in pure Sehnsucht verfalle, wenn ich ihn nicht bei mir habe und seine Wärme nicht spüren kann. Denn diese Gefühle kann ich nicht leugnen. Aber er hat so viele gute Seiten an sich, auch wenn seine schlechte heute Abend ein weiteres Mal zum Vorschein trat. Seine Reaktion war nur ein Ausrutscher, weil er ausgerechnet meinen Zettel fand und mich Damian dazu noch anrief. Gott, der Anruf hat alles zum Überschwappen gebracht. Ich hatte mich fast aus der Situation gerettet.
Die pure Eifersucht hat heute aus Kyle gesprochen.
Ich weiß, dass er anders sein kann und es auch will. Er liebt mich und möchte mich nicht verlieren. Auch ich empfinde etwas für ihn und möchte es ebenso nicht. Irgendetwas lässt mich an ihn festhalten. Ich weiß nicht was, aber ich möchte es herausfinden. Ich möchte ihn besser kennenlernen und seine Gefühle verstehen. Ich will alles über ihn erfahren und mein Leben mit ihm teilen.
Ich umklammere seinen Körper, während seine warmen Hände meinen Rücken halten und wir gemeinsam einschlafen.
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Right or Wrong? (WIRD ÜBERARBEITET)
Romance⚠️⚠️⚠️ Ich bin mit der Schreibweise und der Story sehr unzufrieden, weshalb ich alles derzeit am überarbeiten bin und die Handlung teilweise ändere. Deshalb sorry fürs eventuelle Chaos. Danke fürs Verständnis :) Die unbearbeiteten Kapitel sind zurüc...