Zuckerwürfel 6

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»Ich glaube die Schüssel ist sauber

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»Ich glaube die Schüssel ist sauber.« Eine ruhige Stimme erklingt hinter mir. Sie erfüllt sofort den kompletten Raum und holt mich zurück in die Realität. »Mhm«, verträumt gleitet mein Blick zu der schlanken Frau, mit den roten kurzen Haaren. Ihre Haare sind stylisch und modern geschnitten, leicht zurecht gegelt. Die Farbe passt total gut zu ihren haselnussbraunen Augen - es hebt sie sogar noch hervor. Ihre Arme sind von schwarz-weißen Rosen geziert. Jede Rose hat einen eigenen Namen. »Die Schüssel-«, wiederholt sie, doch ich falle ihr ins Wort. Mein Blick huscht zurück zur Schüssel und ich murmele ein leises Oh. Ein Kichern entweicht ihr und ich hole die mittlerweile saubere Schüssel aus dem Becken voll lauwarmen Wasser. »Ich bin übrigens Mary«, stellt sie sich mit einem freundlichen Lächeln auf den Lippen vor. Ich halte ihr meine feuchte Hand hin und sie muss grinsen. »Normalerweise würde ich jetzt einschlagen, doch das ist mir ein Tick zu nass«, lacht sie und ich ziehe meine Hand zurück. Um keine unangenehme Stille entstehen zu lassen, beginne ich erneut zu sprechen. »Ich bin öhm-«, beginne ich, doch Mary unterbricht mich. Jetzt sind wir quitt, denke ich. »Lorena«, setzt sie meinen Satz fort und ich nicke verdattert. Ohne meine Verwirrung zu Worten zu bringen, beginnt sie erneut zu sprechen. »Steht auf deinem Namensschild«, erklärt sie und ich nicke.

Gott, sie muss mich doch für verrückt halten.

«Tschuldigung, ich war grade in Gedanken wo ganz anders«, sage ich gefasst und beginne die nasse Schüssel mit einem blau-weiß gestreiften Geschirrtuch abzutrocknen. »Normalerweise bin ich nicht so verpeilt, irgendwie«, erkläre ich mich. »Hoffentlich warst du dort wo es warm ist«, kichert Mary und ich lächle wieder. »Nein, nicht ganz«, antworte ich wahrheitsgemäß, gehe aber nicht weiter ins Detail. Und auch Mary gibt sich mit meiner Antwort zufrieden, denn sie stellt keine weiteren Fragen. Dafür bin ich ihr sehr dankbar. »Gehst du mit Melinda nachher in die Musiktherapie?«, fragt sie neugierig nach und ich bestätige sie mit einem Nicken. »Das macht ihr immer sehr viel Spaß«, setzt sie fort. Musik ist etwas tolles. Sie kann einen fröhlich stimmen, sie kann einen auch traurig machen. Und sie kann einen aufmuntern, aber auch belustigen. Sie hilft Wunden zu heilen. Musik kann so viel. Musik kann viel mehr als Worte es jemals könnten. »Das sieht man wenn sie lächelt«, murmle ich und stelle die Schüssel zurück ins Regal, wo sie hingehört.

»Gleich beginnt das Frühstück, kommst du mit raus? Den Abwasch kannst du ja gleich weitermachen«, erkundigt sie sich und ich überlege, doch nicke dann zustimmend. Schnell verlasse ich gefolgt von Mary den Raum. Im Aufenthaltsraum sehe ich die Jungs und Mädchen, die so verdammt glücklich und unbeschwert in diesem Moment aussehen.

»Komm, die Erzieher sitzen dort drüben«, weist Mary an und ich überlege. Ich bin mir ziemlich sicher, dass man über meinem Kopf eine dunkelgraue Rauchwolke aufsteigen sehen kann. Ohne ein weiteres Wort über die Lippen zu bringen folge ich ihr. Am Tisch greife ich nach einem Brötchen, Butter und einer Scheibe Käse. Nachdem ich mein Brötchen aufgeschnitten und mit Butter geschmiert habe, lege ich Käse, eine Tomate, zwei Gurken und ein Salatblatt auf das Brötchen. Immer wieder huscht mein Blick zu Rick, der stillschweigend am Tisch sitzt. Alleine, ohne sich zu bewegen. Ich bekam das Gefühl, dass er einen Starrwettbewerb mit der Wand anstrebt und für einen Moment, sah es nicht so aus, als würde er verlieren. Doch das war ja von der reinen Logik her total unrealistisch. »Wäre es für euch okay, wenn ich mich an den Tisch dort drüben setze?«, hake ich nach und beiße mir nervös auf meine Unterlippe.

Alle meine Kolleginnen blicken mich irritiert an, doch nicken fast alle einstimmig. »Klar, geh nur, Liebchen.« Imry blickt mich mit einem freundlichen Lächeln an. Mit einem stummen Danke auf den Lippen stehe ich auf und verlasse den Tisch. Meine Beine laufen zielstrebig auf den Tisch in der hintersten Ecke des Raumes zu. Rick würdigt mich keinen Blickes. Sein Brot liegt auf seinem Teller, völlig unberührt. »Hallo«, flüstere ich und stelle meinen Teller auf den Tisch. Sofort nehme ich einen Bissen von meinem Brötchen und als ich wieder zu Rick blicke, schaut er mich völlig emotionslos an. Eine gewisse Kälte liegt in seinem Augenpaar. Schlagartig wurde mir eiskalt und ein unangenehmer Schauer läuft meinen Rücken runter. Er scheint ja wirklich jeden hier zu verabscheuen. Rick ist nicht grade sonderlich erfreut von meiner Gesellschaft und ich merke, die Blicke der anderen auf meinem Rücken. Als ich meinen Kopf nach hinten umdrehe, bestätigt sich meine Vermutung.

Rote Köpfe blicken mir entgegen. Und als die Schockstarre bei einigen meiner Arbeitskollegen vorbei ist, drehen sie sich peinlich berührt weg. Ein leises Kichern entflieht mir.

»Warum bist du hier?«, grummelt Rick und sofort schnellt mein Kopf zurück. »Ich dachte, etwas Gesellschaft könnte dir nicht schaden«, beantworte ich ehrlich seine Frage und er kräuselt die Stirn. »Ich will aber keine Gesellschaft.« Verwirrt blicke ich ihn an. Wie kann er denn keine Gesellschaft wollen? »Wieso willst du keine Gesellschaft?«, hake ich neugierig nach. Mein Gegenüber rollt genervt die Augen, spielt an seinem Brötchen rum. Diese Frage scheint ihm ziemlich unangenehm zu sein. »Einfach so. Gesellschaft ist scheiße! Hast du nicht viel mit Leuten zu tun, kannst du auch nicht verletzt oder verraten werden.« Meine Gesichtszüge entgleiten bei den Worten des 13-jährigen, der vor mir am Tisch sitzt und mich mit einer Kälte anschaut, die ich bei einem Menschen noch nie gesehen hatte. Vor allem bei keinem 13-jährigen Jungen. »Hat das einen Grund?« Er reckt sein Kinn in die Höhe und zieht seine Augenbrauen zusammen. Seine mandelförmigen Augen verformen sich zu Schlitzen. »Das geht dich nichts an!«, knurrt er und springt auf. Erschrocken zucke ich zusammen. Rick rennt aus dem Raum raus, lässt mich mit einem verdatterten Blick alleine hier sitzen. Sein Brötchen hatte er nichtmal angerührt.

Hilflos drehe ich mich zu meinen Kolleginnen um. Hope mustert mich bemitleidend und Irmy schaut ebenso verwirrt wie ich. Ich stehe sofort auf und nehme seinen Frühstücksteller, verlasse ebenso den Raum und mache mich auf den Weg zu seinem Zimmer. Vorsichtig klopfe ich an die Holztür und betrete ohne auf eine weitere Antwort zu warten den Raum. Rick sitzt auf seinem Bett, blickt wie eingefroren an die Wand. »Iss bitte zumindest dein Frühstück«, bittend schaue ich zu dem Jungen, dessen Blick auf seine Verbände sinkt. Ich stelle ihm den Teller auf seinen Schreibtisch, lasse Rick dabei nur ungern aus den Augen. »Weißt du, ich glaube dir, dass das alles schwer ist-«, beginne ich vorsichtig, doch werde unterbrochen.

»Ach was weißt du denn schon. Gar nichts! Ich möchte euer dummes Gelaber einfach nicht mehr hören. Ihr redet nur dummes Zeug, ich glaube euch allen kein Wort mehr!«, schreit er und ich werde traurig. »Aber warum denn?« Seine Augen sind gefüllt mit Tränen. Als er die Augen für eine kurze Zeit schließt und dann wieder öffnet, brechen alle Dämme. »Geh raus!«, schreit er erneut. »Geh raus!«, wiederholt er sich, doch seine Stimme bricht. Er bricht. »Geh raus«, flüstert er. Schluchzend sitzt er auf seinem Bett. »Bitte«, haucht er in den Raum. Es war so leise, dass ich mich extrem anstrengen musste, es zu hören. Doch ich nicke und verlasse ohne ein weiteres Wort den Raum.

Ich will ihm helfen, doch ich weiß nicht wie. Ich will jemand helfen, aber fühle mich selbst so hilflos.

Irmy kommt mir entgegen und nimmt mich in den Arm. »Mach dir nichts draus«, sagt sie und schenkt mir ein aufmunterndes Lächeln. Sie ist so eine gute Seele. »Es tut mir Leid«, schluchzte ich und ziehe Irmy nochmal in eine Umarmung. »Das ist doch nicht deine Schuld«, sie streichelt über meine Haare. Als wir uns lösen, nimmt sie mein Gesicht in beide Hände. Ihre Hände sind warm und weich und sofort verspüre ich das Gefühl der Geborgenheit. »Nichts ist deine Schuld, meine Liebe. Wir haben alle so unsere Erfahrungen mit Rick und an ihn kommt man nicht ran. Es wäre ein Weltwunder, wenn du das innerhalb von Tagen und Wochen schaffen würdest, was alle Pflegerinnen und seine Familie jahrelang vergeblich versucht haben«, muntert sie mich auf. Doch es hilft nicht. Es macht mich so unglaublich traurig, dass er so leidet. Denn er leidet. So unglaublich. Ich sehe es ihm an, den ganzen Schmerz, den puren Leid in seinem Gesicht.

 Ich sehe es ihm an, den ganzen Schmerz, den puren Leid in seinem Gesicht

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Wie Zimt und ZuckerWo Geschichten leben. Entdecke jetzt