Zuckerwürfel 5

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Schnell husche ich über den Flur in Zimmer 15, öffne die Tür und betrete einen bereits durch Licht durchfluteten Raum

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Schnell husche ich über den Flur in Zimmer 15, öffne die Tür und betrete einen bereits durch Licht durchfluteten Raum. An einem Schreibtisch sitzt ein Junge, der etwa dreizehn Jahre alt sein muss. Vergeblich versucht er mit einem Kugelschreiber in der Hand auf das Blatt vor ihm zu schreiben. Um seine Haut sind viele Verbände und seine Finger sind voller Blasen. Ich schweige, während ich weiter in den Raum hereintrete. Als er mich bemerkt, schenke ich ihm ein Lächeln, welches er nicht erwidert. Sein Gesicht bleibt starr und als er seinen Blick von mir abwendet, ändert sich seine Mimik kein bisschen. »Was machst du?«, erkundige ich mich interessiert und stehe nun neben dem weißen Holzschreibtisch. Meine Augen glubschen neugierig auf das Blatt und sofort schnellen seine Arme, die komplett voller Verbände sind, über das Geschriebene. »Geht dich nichts an«, faucht er böse.

Plötzlich springt der Junge hoch und schmeißt den Kugelschreiber mit voller Wucht gegen die Wand. Das Blatt zerreißt er, schneidet sich in den Finger und zischt schmerzerfüllt auf. Sofort beginnt er zu weinen und sinkt erschöpft zurück auf den Drehstuhl. Ich knie mich zu ihm runter, sodass ich etwa auf seiner Augenhöhe bin.

»Ich bin hier für deinen Verbandswechsel«, sage ich und er blickt zu mir auf. Genervt verdreht er die Augen. Seine Augen gefüllt mit salzigen Tränen, die sich den Weg an seinen Wangen runter bahnen. Er verschränkt seine Arme miteinander und würdigt mich keinen weiteren Blick. »Was ist, wenn ich mich weigere?«, fragt er gehässig und ich kräusele meine Stirn. »Mhm, na ja, das kannst du natürlich tun, Rick, richtig?«, erwidere ich und er verdreht erneut die Augen. »Aber es bringt dir nichts, außer noch mehr Schmerzen«, appelliere ich an seine Vernunft. Seine Gesichtszüge bleiben weiterhin angespannt und er fixierte seine schwarze Wand. »Schmerzen habe ich doch sowieso«, faucht er und ich hebe den Kugelschreiber vom Boden auf.

»Komm lass uns schnell die Verbände wechseln, dann kannst du auch frühstücken gehen«, sage ich aufmunternd. Den Kugelschreiber lege ich zurück auf den Schreibtisch. »Kannst du knicken«, erwidert er frech und ich nicke.

»Gut, dann machen wir es nach dem Frühstück. Du wirst aber bitte darüber nachdenken, dass du dir nur selbst schadest. Wir wollen dir nur helfen, dass es nicht noch mehr schmerzt, als es sowieso schon tut, allerdings brauchen wir da deine Unterstützung.« Ohne mich ein letztes Mal anzuschauen, verlässt er den Raum. Ohne einen weiteren Kommentar, tritt er aus der Türschwelle und verschwindet im Flur.

Schnell hebe ich das Blatt auf, welches Rick grade eben zerrissen hat. Als ich die zerrissenen Teile genauer musterte und die Fetzen nach und nach zusammen puzzele, erstarre ich. Es war ein Notizzettel, voll mit Notizen.

Punkt Nummer 1:
Verbandswechsel verweigern.
Punkt Nummer 2:
Sterben tust du sowieso, schmerzen hast du sowieso, also was bringt's?
Punkt Nummer 3:

Mein Herz zerspringt in viele Einzelteile, als ich diese Zeilen lese. Immer wieder wiederhole ich das Geschriebene im Kopf und umso länger es dort rum schwirrt, um so mehr schmerzt der Gedanken, wie niedrig seine Selbstakzeptanz sein muss. Meine Finger fahren immer wieder über das Papier. Dann stecke ich es in meine Tasche und verlasse ebenfalls den Raum.

Im Flur fällt mir die Kinnlade runter. Rick schnappt einem anderen Mädchen ihr Brot weg, woraufhin sie fürchterlich anfängt zu weinen. »Jetzt heul doch nicht. Du bist ja eine richtige Heulsuse!«, knurrt Rick und ich laufe auf ihn zu. »Rick, kannst du bitte ihr das Brot zurückgeben?«, frage ich schockiert und knie mich wieder runter, auf die Augenhöhe der beiden. Er rollt genervt die Augen und gibt es ihr zurück. »Hier du Heulsuse«, murrt er und erntet einen bösen Blick. Dann ging Rick durch den Aufenthaltsraum, in die hinterste Ecke und setzt sich völlig alleine an den Tisch, der am weitesten Weg von all den anderen Kindern steht. Dort startet er, Löcher in die Wand zu starren.

Mein Blick fällt auf die Uhr. Ich habe noch zwanzig Minuten, um das Mädchen in Zimmer 19 zu wecken und ihr die Nahrung über ihre Magensonde zu geben.

Also flitze ich durch den Korridor und schlüpfe in das Zimmer mit der Nummer zwanzig. Ein regelmäßiges Piepen eines Vitaldatenmonitors  erklingt, sobald ich die Tür hinter mir geschlossen habe. Ein schwerfälliges Atmen höre ich und blicke zu den Umrissen eines Kinderbettes. Das hier ist wohl das Zimmer der kleinen Melinda. Schnell ziehe ich den Rollladen zur Hälfte und kippe das Fenster. »Guten Morgen, Melinda«, flüstere ich und streiche mit meinem Finger über ihre Wange. Sie trägt eine Nasenbrille, die sie konstant mit zusätzlichen Sauerstoff versorgt. Da ich weiß, dass Melinda blind ist, erkläre ich ihr alles was ich machen werde, obwohl sie das Prozedere wahrscheinlich schon kennt.

»Also ich werde dir jetzt etwas zu essen geben. Gemacht ist es schon, sieht auch sehr lecker aus«, sage ich aufmunternd. Doch als mein Blick auf die Flüssigkeit in dem Beutel fällt, überlege ich nochmal. Vorsichtig ziehe ich ihren Schlafanzug hoch und ziehe eine Spritze voll Flüssignahrung auf. Diese stecke ich vorsichtig in den Schlauch der Sonde und drücke langsam die Flüssignahrung durch die Sonde in den kleinen Magen von Melinda. Ein leichtes Lächeln ziert ihre Lippen. In diesem Moment war ich glücklich, so unfassbar glücklich. Dieses Lächeln bedeutet mir sehr viel. Sie hat mich bemerkt, sie weiß, dass ich hier bin. Auch ich beginne zu lächeln und ziehe eine zweite Spritze voll mit ihrem Frühstück auf. Schwermütig ringt die kleine Melinda nach Luft.

Mein Blick fällt auf die leere Schüssel und ich nicke zufrieden. Dann entferne ich die aufziehbare Spritze aus ihrer Sonde und lege sie in die Schüssel. »Ich hoffe es hat dir geschmeckt, Melinda«, flüstere ich und streiche über ihre Wange. Melinda schnappt nach Luft und regelmäßige Piepen erfüllt den Raum. »Später geht es zur Musiktherapie. Da werde ich dich begleiten«, sage ich ruhig und schaue sie an. Ihre Mundwinkel zucken in die Höhe und ein Lächeln legt sich erneut auf ihre Lippen. Das deute ich Mal als positives Zeichen. »Bis später, Melinda. Hope kommt gleich nochmal zu dir«, verabschiede ich mich, nehme das bereits zusammengepackte Zeug und verlasse zügig das lichtdurchflutete Zimmer.

Schnell bringe ich das dreckige Geschirr in die Küche. Die Einwegspritze werfe ich in den Müll und lasse warmes Wasser in das Spülbecken laufen. Nachdem ich einen Klacks von Spülmittel dazugegeben habe, beginne ich die Schüssel zu schrubben. Kurz schweifen meine Gedanken ab. Ich muss an Noah denken und sofort legt sich ein Lächeln auf meine Lippen. Er war der neue Junge an meiner damaligen Schule. Der erste Junge, dem ich begegnete, der bereits etliche Bücher von innen gesehen hatte. Und das hat von Anfang an, dieses magische Band um uns geschlungen. Eine Verbindung, die bis heute noch anhält.

 Eine Verbindung, die bis heute noch anhält

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Wie Zimt und ZuckerWo Geschichten leben. Entdecke jetzt