Zuckerwürfel 32

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Geduckt sitze ich in der letzten Ledernische des Diners — wie ein Schluck Wasser in der Kurve — und bohre nervös meine Finger in das rote Kunstleder

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Geduckt sitze ich in der letzten Ledernische des Diners — wie ein Schluck Wasser in der Kurve — und bohre nervös meine Finger in das rote Kunstleder. Hinter mir leuchten eine blaue und eine rote Neonleiste um die Wette und verleihen meinem Tisch einen angenehmen und wohligen Flair. Meine aufgeregte Atmung halte ich möglichst flach, versuche dabei nicht laut zu schnaufen, obwohl ich wusste, dass er mich von dort drüben am Tresen nicht hören konnte. Als ich wieder die blondhaarige, freundlich lächelnde Kellnerin erblicke, die auf einem Tablett geübt und unfallfrei mein großes Glas Fanta zu meinem Tisch befördert, atme ich erleichtert aus. Aus dem Augenwinkel sehe ich, dass all die Freunde von Nathaniel der Kellnerin auf den Hintern starren und beinahe beginnen mächtig zu sabbern. — Eine Frechheit! Aufgebracht schnaufe ich, während mein Blick weiter zu Nathaniel schweift. Er steht völlig uninteressiert dort, an die kühle Wand angelehnt und mustert wenig beeindruckt sein Handy. Das Licht, welches sein Display absondert, strahlt auf seine Lippen, die im Gegensatz zu seinen scharfkantigen und markanten Gesichtszügen unfassbar weich aussehen. Seine Mimik starr, gelegentlich zucken seine Mundwinkel leicht in die Höhe und seine Haare sind völlig zerzaust, da sich einzelne Haarsträhnen sträuben. Jedoch als Bad-Hair-Day würde ich das nicht verbuchen. Währenddessen mein Augenpaar auf Nathaniel klebt, stellt die Kellnerin mit einer Leichtigkeit das Glas auf den Tisch, worauf ich unbewusst ein leises, aber höfliches Dankeschön flüstere.

Ich schiebe das Glas langsam zu mir und nippe kurz daran und wende meinen Blick von Nathaniel ab. Ein angenehmes Kribbeln macht sich langsam auf meiner Haut breit und die wohlgesonnene Wärme in meiner Magengrube gepaart mit der Wärme in meinem Gesicht, lassen ein leichtes Lächeln auf meinen Lippen zu. Als ich meinen Blick hebe, um möglichst unauffällig zu Nathaniel zu glubschen, hebt auch er seinen Kopf und blickt mich intensiv an. Einen Moment bin ich wie erstarrt, in einem kurzen Schockzustand, während in meinem Magen viele Schmetterlinge einen Freudentanz aufführen und viele vereinzelte Stromimpulse wie Blitze durch meine Adern jagen. In seinem Blick liegen so viele Emotionen, doch einige davon konnte ich nicht so Recht deuten. Das Funkeln in seinen Augen, die mir trotz dieser Entfernung entgegen strahlen. Seine Mundwinkel zucken leicht, bevor sich ein schiefes Grinsen auf seinen Lippen bildet. Sofort ziehe ich scharf die Luft zwischen meinen Zähnen ein, verdattert und erschrocken wende ich meinen Blick ab, spüre aber, wie sich der rötliche Schimmer auf meinen Apfelwangen breit macht. Mist, erwischt. Auch weiterhin spüre ich den intensiven Blick von Nathaniel auf mir ruhen, jedoch traue ich mich dieses Mal nicht, aufzuschauen. Aufgeregt greife ich nach meinem Getränk und nippe an der kalten Flüssigkeit. Der Sprudel bitzelt angenehm gegen meine Mundschleimhaut. Mein Plus schlägt derweil neue Rekordzahlen und meine Atmung ist flacher als zuvor.

Zweimal tippe ich mit meinem Zeigefinger auf mein Handy. Der Display erhellt sich und die Uhrzeit wird mir angezeigt. Es sind erst zwanzig Minuten vergangen?

Als ich mich einen erneuten, kurzen Blick wage, atme ich erleichtert aus. Nathaniel unterhält sich lachend mit seinen Kumpels und hat seine Aufmerksamkeit von mir abgewandt. Lachend stehen sie vor einem Tisch und warten darauf, dass dieser frei wird. Einen weiteren, kurzen Moment liegt mein Blick auf Nathaniel, fährt seinen gutgebautem Körper nach, als würde es darum gehen, ihn mir genauestens einzuprägen. Doch dann wende ich meinen Blick endgültig ab und versuche mich selbst aus diesem Rausch rauszuholen. Ein Moment voll Unachtsamkeit wird mich ja wohl nicht viel kosten. Ich greife nach meinem Handy und öffne Instagram. Dort scrolle ich etwas durch die Seiten, mustere vielerlei erstklassiger Make-Up-Looks, sehe coole Autos in vielen bunten Lackierungen und Folierungen, oder werde mit den neusten Klamotten, die jegliche Markenfirmen dort vorstellen, bekannt gemacht. Bei dem ein oder anderen Markenprodukte muss ich lautstark kichern und frage mich ernsthaft, wieso sowas so teuer an den Mann gebracht wird und dann auch noch so erfolgreich ist — zu solchen überteuerten Preisen, wo man nur für den Name der Marke zahlt. Aber es scheint ja definitiv mehr als gefragt zu sein.

»Lorena, was ein Glück dich hier anzutreffen.«, spricht eine tiefe, raue Stimme zu mir, weswegen ich langsam den Kopf hebe. Die Betonung des Wort Glücks sticht durch eine andere Oktavenlage der Stimme deutlich heraus und verleiht mir eine ungewollte Gänsehaut. Seine Stimme trieft zudem nur von Provokation, doch ich gehe nicht drauf ein. Mit einer gewissen Vorahnung, wer dort in diesem Moment vor mir steht, bereite ich mich innerlich darauf vor. Und meine Vorahnung wird bestätigt, da vor mir ein ziemlich lebendiger Nathaniel steht. Seine Arme hinter dem Rücken mit einem breiten Grinsen auf den Lippen steht er vor mir. »Ja, was ein Glück.«, erwidere ich wenig begeistert und lächele gezwungen. Meine Hände lege ich schützend um das Glas mit dem kalten Getränk, drehe es leicht auf dem Tisch umher. Einen Moment verharrt er dort auf der Stelle, fast wie festgewachsen. »Darf ich mich setzen?«, fragt er höflich, aber breit grinsend und ich kann mir ein genervtes Stöhnen nur schwer unterdrücken. Kurz blinzele ich zu ihm hoch, sehe wie er sich durch seine fluffigen Haare fährt, die dann wieder in alle Richtungen zerfallen. »Nein.«, murmele ich kühl und wende mich wieder ab. »Wieso frage ich überhaupt?«, brummt er belustigt und setzt sich einfach in die Sitznische gegenüber. Mein verdatterter Blick wandert in sein Gesicht, wo ich ihn erneut ausgiebig mustere. Leicht lege ich meinen Kopf schief, verdeutliche somit sichtlich meine Verwunderung. »Deine Freunde sind dort drüben.«, erwidere ich und zeige mit meinem nackten Zeigefinger auf seine Kumpels, die eher mehreren aufgeplusterten Proleten ähneln, allerdings mittlerweile sich an dem freien Tisch niedergelassen haben.

Nathaniel gibt ein leises Brummen von sich und verdreht genervt die Augen, bevor er sich durch die Haare rauft. Dann erhebt er ebenfalls seinen Arm und bewegt ihn langsam auf meinen Zeigefinger zu. Ehe ich mich versehen konnte lag seine warme Handfläche auf meiner Hand und drückte meinen Arm mit einer Leichtigkeit runter. Seine Haut ist rau und trocken, das spüre ich. Das sichtlich irritierte Augenpaar von Nathaniel liegt auf mir und das verdunkelte Blau in seinen Augen hält mich gefangen. Auf meiner Haut entfacht ein Feuer und ich wenn ich mich sehnlichst dagegen sträuben will, genieße ich es. Einen Moment liegt seine große Hand noch auf meiner, umschließt sie schützend, bevor er sie wieder hastig zurück zieht. Wie gebannt liegt mein Blick auf meiner Hand, die regungslos auf dem kühlen Holz liegt. »Du weißt, was Marie dazu sagen würde...«, beginnt er hauchend, wie außer Atem, setzt dann aber nicht mehr fort. Sein Blick ruht weiterhin auf mir, weswegen ich langsam echt Nervös werde. Denn langsam spüre ich, wie das Blut in meinen Adern zu kochen beginnt — mir wird urplötzlich total heiß und rote Farbe prägt mein Gesicht. Sein wunderschön blaues Augenpaar bohrt sich in meine Haut, weswegen sich jede Faser meines Körpers zusammenzieht. Mein Herz pumpt gefühlt um das Zehnfache schneller und ich fühle mich, als würde ich unter seinem Blick gleich ohnmächtig werden.

»Mit nacktem Finger zeigt man auf keine anderen Leute.«, starte ich leise flüsternd einen erfolgreichen Versuch, um Nathaniel's Satz zu vervollständigen. Völlig unerwartet werden wir aus dieser sehr unangenehmen Situation gerissen, da plötzlich einer von Nathaniel's Freunden hinter ihm steht und ihm die Handflächen ziemlich unsanft auf seine Schulter schlägt. Nathaniel zuckt unter der ruckartigen, unsanften und unerwarteten Berührung zusammen — löst seinen intensiven Blick von mir. Erleichtert atme ich aus. Vielen vielen Dank, lieber Fremder! »Nehmt euch doch ein Hotelzimmer und reißt euch die Kleidung vom Leib. Wie Tiere — rawr.«, sagt er und macht eine auffällige Handbewegung. Soll das eine Tatze von einer Katze darstellen? Ich zucke erschrocken zusammen. Nachdem ich die Worte langsam sacken ließ, beginnt mein Gehirn diese zu analysieren — und zu verstehen. Warte, wie bitte? »Ich- er, äh..«, beginne ich heiser, lasse es jedoch im Keim ersticken. »Brandon-«, knurrt Nathaniel gefährlich und blickt über die Schulter seinen Kumpel an. »Wir sind nicht zusammen. Und stehen tun wir auch nicht aufeinander. Er und ich? Niemals.«, lache ich peinlich berührt und baue mir eine Schutzbarriere auf. »Wir beide werden auch nie.«, beginnt er und zeigt mit seinem Zeigefinger abwechselnd auf ihn und auf mich. Ich nicke zustimmend, doch innerlich versetzt mir seine Aussage einen Stich ins Herz — auch wenn ich es selbst nicht wollte. »Ich meine, sie ist die Pflegerin meiner Schwester.«, beendet er seinen Satz und nun beginnt meine Schutzmauer langsam zu bröckeln. Herzlichen Glückwunsch, Nathaniel, du hast sie erfolgreich abgerissen. »Jaja-«, beginnt Nathaniel's Freund, namens Brandon und grinst dreckig. »was nicht ist, kann ja noch werden.« Brandon zwinkert. Der schwarzhaarige junge Mann dreht sich um und läuft zurück an seinen urplötzlichen Tisch — zurück zu seinen Freunden. Einen Moment lang herrscht unangenehme Stille, die ich am liebsten sofort brechen wollte. Doch ich traue mich nicht. Also schweige ich weiter.

Wie Zimt und ZuckerWo Geschichten leben. Entdecke jetzt