»Das hast du aber schön gemalt«, murmele ich gebrochen. Den Tränen nahe beiße ich mir verlegen auf die Unterlippe. Nathaniel jedoch schweigt weiterhin. Er scheint um passende Worte zu ringen, denn sein verzweifelter Blick spricht Bände. Ruckartig reißt er die Hände von den Schultern seiner kleinen Schwester, dreht sich um hundertachtzig Grad und verlässt stürmisch den Raum. Seine Schritte hört man durch den Flur poltern, jedoch werden sie mit jedem weiteren Meter Entfernung leiser, bis sie letztendlich komplett verstummen.
Kaum herrscht komplette Stille, greift Marie nach meiner Hand. »Ist er sauer auf mich?«, flüstert sie traurig und verschluckt ihre Worte. Einige Tränen kullern ihre Wangen hinunter, bis sie auf dem selbst gemalten Bild landen und sich sofort in die Struktur des einst weißen Papiers einbinden. Die vielen bunten Farben des Regenbogens verschwimmen langsam, in Zeitlupe, und halten meinen Blick gefangen. Einen Moment grübele ich, fasse jedoch dann meine Worte und drücke ihre beiden kleinen, weichen Hände um ihr ein gewisses Vertrauen zu vermitteln. Marie's Augen geschwollen, ihre Haut rötlich schimmernd, einheitlich mit dem Rotton in ihren Augen, die von salzigen Tränen umrandet sind. Und ihre schmalen Lippen verlieren ihre Farbe fast vollständig, sind blas, fast genauso wie ihr kreidebleichen Hautton.
»Marie-«, beginne ich und schenke ihr ein leichtes Lächeln. »Dein Bruder liebt dich und das wird er auch immer tun. Du bist das Wichtigste, was er hat. Du, du bist sein Ein und Alles. Ich verspreche dir, dass er nicht sauer auf dich ist«, erkläre ich und kämpfe mit den Tränen.
»Versprochen?«
»Versprochen!«, erwidere ich auf ihre Frage, wie aus der Pistole geschossen und halte ihr meinen kleinen Finger hin. Diesen verschränkt sie mit ihrem kleinen Finger und wir beide flüstern beide gleichzeitig Indianerehrenwort.
»Und jetzt hör auf zu weinen«, beginne ich und lege meine Hand auf ihre Wange, um ihre heißen Tränen wegzuwischen. »Prinzessinnen weinen nicht«, erinnere ich sie an ihre eigene Aussage vor einigen Woche und zwinkere ihr zu.
Sie belächelt meine Aussage und schnieft, bevor ihre Lippen wieder dieses süße Lächeln zieren, für das Marie bekannt ist.
»Und jetzt mache ich dir deine Pfannkuchen, okay?«, teile ich ihr mit und nicke. Dieses erwidert sie und beginnt noch breiter zu lächeln. »Ich male noch ein Bild«, teilt sie erheitert mit und greift wieder in die Box voller Buntstiften, um eine beliebige Farbe rauszuholen. Ich nicke.
Dann verlasse ich den Raum, tapse auf leisen Sohlen durch den riesigen Flur und bleibe vor einer weißen Tür, die einen Spalt geöffnet ist, stehen. Auch wenn ich inständig versuchte, mich davon abzuhalten, siegt die Neugier und ich lubsche durch den Schlitz in das Rauminnere. Ich erstarre wie ein Reh im Scheinwerferlicht und meine Augen werden kugelrund, als ich Nathaniel erblicke, der in diesem Moment sein Shirt auszieht und es auf sein Bett schmeißt. Sein muskulöser Rücken ist vereinzelt geprägt von einem mit schwarzer Farbe gestochenen Tattoos, eindeutig ein Schriftzug mit Bedeutung. Seine Bewegungen sind ein einziges, flüssiges Zusammenspiel seiner Muskeln.
Erschrocken zucke ich zusammen, als er sich umdreht und mich verschmitzt angrinst. Seine Mundwinkel zucken deutlich sichtbar und er greift sich ein neues T-Shirt, das er sich überstreift. »Gefällt dir was du siehst?«, fragt er verschmitzt und grinst breit. Dieses Grinsen will ich ihm aus dem Gesicht wischen, jedoch sieht es auch unglaublich attraktiv aus. Hastig schüttele ich den Kopf, versuche diese Gedanken vollständig zu verwerfen. Jedoch kann ich einen Fakt nicht verleugnen, Nathaniel so zu sehen, hatte mir doch irgendwie die Sprache verschlagen.
Er kommt auf mich zu, öffnet die Tür vollständig, und starrt breitgrinsend auf mich hinab. Ich lege meinen Kopf in den Nacken und erwidere den stechenden Blick des Größeren. Hitze macht sich in mir breit, wandert von meiner Brust hoch in mein Gesicht, was mich leicht verlegen stimmt. Meine Haut kribbelt unter seinem intensiven Blick und ich fühle mich wie eine Maus im Blick des Habichts. Seine bezaubernd ausdrucksstarken Augen funkeln mich an, halten meinen Blick gefangen, während er sich kurz über seine Lippen leckt.
»Warte Mal-«, beginnt er und sein breites Grinsen bleibt nach wie vor auf seinen Lippen liegen, »Du hast da etwas Sabber.« Er klingt belustigt. Nathaniel hebt seine Hand und legt sie an meinen Mundwinkel, wo er mit seinem Daumen leichte Kreise über meine kribbelnde Haut streicht. Innerlich explodiere ich. Hitze staut sich in meinem Gesicht an und eine Explosion der Gefühle breitet sich in meiner Magengegend aus. »Stimmt doch gar nicht«, erwidere ich standhaft und schlage seine Hand weg, als ich mich endlich aus meiner Schockstarre gelöst hatte.
»Was bedeuten deine Tattoo's?«, erkundige ich mich neugierig, lenke bestmöglich von der höchst unangenehmen Situation ab. Er lacht rau. Der intensive Duft seines Aftershave hüllt mich ein und verleiht mir wohlige Gänsehaut. »Sag ich dir nicht«, antwortet er und dreht sich um. Mit dieser Aussage holt er mich zurück in die Realität — erschrocken über mich selbst schüttele ich den Kopf.
»Da ist ein Spiegel«, sagt er und wirft einen belustigten Blick über seine Schulter. Fragend lege ich meinen Kopf schief. »Ich habe dich durch diesen Spiegel gesehen«, führt er genauer an. Gut, wo ist meine Schaufel? Ich würde mir dann jetzt gerne ein eigenes Begräbnis schaufeln. Kann mich jemand abholen, mir jemand helfen? Ich denke, ich versinke jetzt Mal am besten vor Scham im Erdboden und tauche nie mehr auf.
»Warum bist du vorhin so plötzlich aus dem Raum gestürmt?«, frage ich erneut und ernte einen genervtes Augenrollen von Nathaniel. Doch ich bleibe hartnäckig und unterstreiche meine Aussage mit der Geste, meine Arme miteinander zu verschränken. »Du stellst eindeutig zu viele Fragen«, brummt er und greift nach seinem alten T-Shirt, das er in seiner großen Hand fest umschließt. Ich zucke desinteressiert mit den Schultern, lehne mich an dem Türrahmen an und schaue mich lässig in seinem Schlafzimmer um. »Und du antwortest zu wenig auf meine Fragen«, entgegne ich schlagfertig und grinse breit. Nun bin ich diejenige, die ein breites Grinsen auf ihren Lippen wieder spiegelt.
»Du musst dich hier nicht so genau umschauen, du wirst das hier öfter zu Gesicht bekommen. Öfter als dir lieb ist«, sagt er. Und da ist es wieder, dieses breite Grinsen auf seinen Lippen. Dieses fast schon dreckige Grinsen auf seinen schmalen Lippen. Ich verdrehe genervt die Augen und murmele leise: »Jaja.«
»Ich warte«, drängele ich auf die Antwort meiner Frage. Nathaniel kommt auf mich zu und stellt sich vor mich, sodass ich gezwungen bin, meinen Kopf in den Nacken zu legen, um seinen Blick zu erwidern. Er lehnt sich nach vorne, versetzt meinem Herz in einen kurzen Schockzustand, bevor es anfängt einen Marathon zu bestreiten. Seine Bartstoppeln kitzeln mich im Gesicht und verschaffen mir erneut eine wohlige Gänsehaut.
»Alles zu seiner Zeit, Shorty«, raunt er.
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Wie Zimt und Zucker
RomansaWie Zimt und Zucker ❝ Für das engelsgleiche Mädchen, welches ihr Lachen verlor. ❞ Lorena Campbell wollte schon immer Gutes tun. Ihre Berufswünsche waren nie außergewöhnlich, für sie war von klein auf schon klar, dass sie anderen Menschen helfen möc...