»Kann ich mich zu euch setzen?«, nuschelt Rick undeutlich. Vorsichtig hält er seinen Plastikteller, den er auf seinen verbundenen Händen abstützt. Seine Hände sind rot, nicht nur rötlich, sondern feuerrot um genau zu sein. Feuerrote Haut, die seine kleinen Hände umgibt. Lauter gelbliche Blasen und offene Wunden, sowie entzündete Hautstellen zieren allein seine Hände. Empathie schäumt in mir auf, die Schmerzen, die Rick empfinden musste, kochten in meinen Adern hoch.
Nicht auszumalen, was Rick für Schmerzen ertragen muss. Die Oberarme von Rick sind momentan verschont, dort sind nur einige Narben älterer Wunden sichtbar. Ältere, vernarbte Wunden. Mein Blick wandert unauffällig zur Stirn von Rick. Dort schuppt sich seine verletzte Haut ab und eine rötliche Entzündung tritt zum Vorschein. Seine Mundpartie ist momentan nicht so stark betroffen.
Deutlich zu erkennen ist jedoch, dass ihm diese Frage relativ unangenehm ist und ebenso schwer über seine Lippen kommt. Ich nicke freundlich und wende mich Marie zu, die mich erst skeptisch mustert, doch dann wieder ein Lächeln aufsetzt.
Das rote T-Shirt von Rick ist mit Autos bedruckt und seine graue Stoff seiner Dreiviertel-Hose fällt locker an seinem Unterkörper entlang. Seine gesamten Unterschenkel sind in einem dicken, weißen Verband eingepackt, seine Füße ebenso.
»Soll ich dir etwas Wasser in ein Glas einschenken?«, frage ich und Rick nickt.
Also greife ich nach der Glaskanne und kippe etwas Wasser in das Glas, welches ich ihm dann hinschiebe. Vorsichtig nimmt Rick das Glas entgegen und trinkt einen Schluck. Da Rick in seinem Zustand keine Wasserflasche mit drehbaren Verschluss öffnen kann, stehen extra Kannen bereit, die immer mit Wasser gefüllt sind.
»Wie geht es dir?«, erkundige ich mich und er zuckt zwiegespalten mit den Schultern. Seine Zerrissenheit kommt deutlich zum Ausdruck und auch seine angespannten Gesichtszüge unterstreichen dies nochmals deutlich. »Ich vermisse meine Eltern«, murmelt Rick geknickt. Mitleidig blicke ich ihn an und auch Marie zeigt in ihrem Blick viel Mitgefühl.
»Weißt du Rick«, beginne ich, doch bevor ich fortsetzen kann, unterbricht mich Marie sofort, »Ich vermisse auch meine Eltern, und wie. Aber du musst nach Vorne schauen. Deine Eltern haben dich lieb und denken sicherlich an dich, auch wenn sie nicht hier sind.« Ich nicke, beende meinen Satz aber nicht, sondern lasse ihn offen im Raum stehen.
»Lorena«, beginnt Marie und blickt mich mit großen Augen an, »Bist du eigentlich verliebt?« Etwas überrascht über die Frage schaue ich verdutzt auf die Wasserkanne. Dann blicke ich zu Marie und verneinend schüttele den Kopf. »Bist du verliebt, Marie?«, kontere ich mit der Gegenfrage, mit welcher Marie nicht gerechnet hat. Sie seufzt, lässt all den Druck ab und startet das Reden. »Nein, Jungs sind blöd. Die denken immer sie wären besser als wir Mädchen«, brummt die kleine Marie und schmollt. Ich muss grinsen. Die Aussage erinnert mich sehr stark an mich damals, denn auch ich sagte eins diesen Satz.
»Jungs sind stark, Mädchen sind Quark«, wirft Rick überzeugt ein und grinst breit in das Gespräch. Von Marie erntet Rick nur einen bösen Blick, der aber noch so viele Emotionen mehr enthält. »Siehst du, Lorena, genau das meine ich.« Ich nicke, blicke zu Rick. »Selbst ist die Frau«, bestätige ich belustigt. Ich brauche keinen Mann, um eine Lampe aufzuhängen oder gar einen ganzen Schrank zusammenzubauen. Wozu gibt es denn Aufbauanleitungen?
»Jungs sind Quark, Mädchen sind stark«, erwidert Marie und nickt selbstbewusst. »Das ist das Original.« Breitgrinsend beobachte ich die beiden, dann fällt mein Blick auf meinen leeren Teller. Mein Kopf ist wie leergefegt in diesem Moment und kein Gedanke wagt sich die Leere zu durchkreuzen. Absolut leer.
»Wenn ihr beiden Süßen mich entschuldigt, ich muss noch etwas vorbereiten«, sage ich und schiebe meinen Stuhl nach hinten, um aufzustehen und diesen ordentlich und ohne viel Aufsehen wieder an den Tisch zu schieben.
Dann verlasse ich das Esszimmer, während meine Kolleginnen bereits langsam beginnen die Tische abzuräumen. Ich laufe grades Wegs in die Küche, wo ich beginne das dreckige Geschirr einzuräumen. Teller für Teller wandern ins Hängeregal, Gabel, Messer und Löffel wandern separiert in die einzelnen Fächer der Besteckschublade. Gläser und Tassen werden in dem bereits ordentlich gefüllten Schrank gestellt.
Zu meiner Überraschung fällt es mir nach einigen Sekunden erstaunlich leicht, das Geschirr in den einzelnen Schränken zu verstauen. Es wandelt sich automatisch.
Vielleicht wurde ich nach einiger Zeit zu unvorsichtig, weshalb es nicht verwunderlich war, dass mir eine Porzellantasse mit dem Henkel vorwärts aus der Hand rutschte und nun geradewegs auf den Boden zerschellt.
Mist.
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Wie Zimt und Zucker
RomansaWie Zimt und Zucker ❝ Für das engelsgleiche Mädchen, welches ihr Lachen verlor. ❞ Lorena Campbell wollte schon immer Gutes tun. Ihre Berufswünsche waren nie außergewöhnlich, für sie war von klein auf schon klar, dass sie anderen Menschen helfen möc...