Zuckerwürfel 43

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(Empfohlenes Lied: Someone To Stay - Vancouver Sleep Clinic)

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(Empfohlenes Lied: Someone To Stay - Vancouver Sleep Clinic)

Die kühle Brise streift pfeifend an meinen Gewichtszügen vorbei und wirbelt aufgeregt durch meine lockeren Haare. Nun völlig zerzaust und grad zu chaotisch liegen die Strähnen auf meinem Kopf, stehen in alle Richtungen ab, doch in diesem Moment stört mich dies nicht.

In diesem Moment gilt mein glänzender Blick einzig dem aufgeregten funkeln der Stadt, dem hellen leuchten der Straßenlaternen und das wilde Blinken der Autolichter und Ampeln. Der Mond steht hoch empor in all seiner Fülle und die Sterne helfen ihm, den Nachthimmel zu schmücken. Verschiedene Sternbilder zeichnen sich über unseren Köpfen ab und deuten uns die Schönheit des weiten Universum.

Das flutende Licht zeichnet unsere Gesichter, es formt unsere Linien und fährt all unsere Züge ab. Fliehend blinken uns die Lichter von Flugzeugen entgegen, die eine dunkele Spur hinter sich her ziehen. Wie der Schweif einer Sternschnuppe, jedoch nur halb so schön.

Ohnmächtige Winde wüten auf den Bergen, sie pfeifen und streifen um meinen gesamten Körper. Rauben mir für einen kurzseligen Moment die Luft und hüllen mich ganz und gar in einem Duft ein. Vereinzelt ist die Landschaft gezeichnet von weißen Flecken, die sich wie in Streifen über die Weite legt.

Der Himmel war klar, genauso wie die Luft, die sich zu jeder Zeit vollständig in meinen beiden Lungenflügeln ausbreitet. Die Stille ist keinesfalls unangenehm, sie bietet mir in diesem Moment die Möglichkeit, mich von all meinen Lasten zu lösen. Auch wenn mich die Realität einholen wird, weil sie es immer wieder schafft, so kann ich in diesem Moment einfach frei sein.

Diese Aussicht wirkt wie gezeichnet für diesen einen Moment. Dieser eine Moment. Dieser eine Moment auf einem Gemälde verewigt, mit Ölfarben sorgsam eingearbeitet und für immer zu vielen Komponenten fest verbunden - fest verschnürt, wie ein wunderschönes Gedicht.

In der Stadt regt sich die Hektik, doch ich atme erleichtert auf, denn ich weiß: In diesem Moment konnte mich all der Stress nicht erreichen und auch nicht einholen. Ich hole tief Luft, lasse nicht zu, dass sich meine Lungen zusammenschnüren und mir die Luftzufuhr verschliessen. Hier fühle ich mich sicher, geborgen und Zuhause.

»Es ist so wunderschön hier«, merkt Marie an. Ihre Stimme in diesem Moment so leise und zerbrechlich, wie der Flügelschlag eines Schmetterlings. Und auch wenn ich weiß, dass dieser Moment nicht ewig anhalten kann, so werde ich alles dafür geben, an dieser Erinnerung festzuhalten.

»Ich habe etwas für euch«, bricht Nathaniel sein Schweigen. Erneut lausche ich den Worten, doch bleibe verstummt. Als hätte man mir die Stimme geraubt, stehe ich auf meinen beiden Füßen, die nahezu eingefroren mich trotz dessen treu tragen.

»Für dich«, flüstert Nathaniel und überreicht mir eine Wunderkerze. Kurzartig blicke ich auf diese Wunderkerze und denke an all die Traditionen meiner Familie an Silvester. Ich schwelge in Erinnerungen und bekomme gar nicht mit, dass Nathaniel nun wieder vor mir steht, um die Kerze mit einem schlichten Feuerzeug anzuzünden.

Für einen kurzen Moment muss Nathaniel den Docht der Wunderkerze der kleinen Flamme aussetzen, bis die Reaktion startet. Einen Moment blicke ich in seine blauen Augen, die nun gelblich angestrahlt werden und verliere mich fast. Doch dann tritt er beiseite.

Mein Augenpaar bleibt auf den Funken der Wunderkerze, während das Funkeln der Stadt unscharf im Hintergrund weiter leuchtet. Das Knacken der Wunderkerze und die flüchtig rausspringenden Funken halten meinen Blick gefangen. Die Hitze der Kerze kämpft gegen die Kälte des eisigen Winters an, doch verliert sich beim Funken, je weiter sich dieser von der Hitzequelle - dem Stäbchen - entfernen.

Auf dem frostigen Boden zerspringen die Funken vollständig und verglimmen.

»Zeit ist endlich. Meine Zeit ist endlich. Meine Zeit ist endlich, wie das kurzatmige Leben der Funken dieser Wunderkerze und ihr selbst.«

Ich stocke, als ich die Worte von Marie vernehme. Das Abbrennen meiner Wunderkerze rückt fast vollständig in den Hintergrund und meine Aufmerksamkeit gilt vollständig Marie.

»Meine Wunderkerze ist bald komplett niedergebrannt, wann das Licht vollständig erlischt und die Funken aufhören zu schlagen, entscheidet mein Schicksal. Einzig mein Schicksal entscheidet die Grenze des Dochtes meiner Wunderkerze«, murmelt Marie.

Heiße Tränen bilden sich in meinen Augen.

»Jeder einzelne dieser Funken«, sie stockt und holt tief Luft, »ist ein wunderschöner Moment meines Lebens.«

Doch die Funken erloschen, je weiter sie sich von der Kerze und ihrer wohligen Wärme entfernen. Egal wie sehr sich die Kerze dagegen strebt, würde dies nichts daran ändern, dass die Funken auf dem harten Boden zerspringen.

Einzig die schönen Momente bleiben.

In diesem Moment ist mein Kopf komplett leergefegt. Ich weiß nicht, was ich hätte sagen oder tun sollen. Einzig meine Augen sprechen Bände, während meine Lippen versiegelt sind.

»Versprecht ihr mir etwas?«, hakt Marie unsicher nach. Niemand antwortet, jedoch setzt sie ihre Bitte fort. Das Knistern meiner Wunderkerze wird leiser, während ich mich zu Marie drehe, deren hellerleuchtete Kerze ihre letzten Atemzüge nimmt und ihre Intensität verliert.

»Wenn ich nicht mehr hier bin, weil meine Wunderkerze niedergebrannt ist, dann lasst bitte Wunderkerzen für mich leuchten. Genau hier.«

Und nun war ihre Wunderkerze vollständig niedergebrannt.

Wie Zimt und ZuckerWo Geschichten leben. Entdecke jetzt