XXXV

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Ich war so durcheinander von allem, dass ich nicht mitbekam, wie Eric mit seinen Audi am Straßenrand, nahe der Brücke parkte, und kam erst wieder zur Realität zurück, als ich merkte, wie der Motor ausgeschalten wurde.
Sofort verschwanden meine Grübeleien über Erics Worte zu Jennifer und ich sah mich dumpf um. Es brauchte einen Moment, bis ich schon den Ort wiedererkannte andem ich mit Eric zum ersten Mal richtig Zeit verbracht hatte.
Doch er sagte nichts dazu, sondern stieg enfach aus und ging auf den Gehweg dessen eine Seite von viel Gestüpp verdeckt wurde. Er schlug keine Pausen ein, weder blickte er zurück, um nach mir zu sehen, weshalb ich gezwungen war, meine tauben Finger schnell dazu zu bringen, mich abzuschnallen und ihm hinterher zu sputen.

Wie leider schon vermutet drückte er im Weg liegende Zweige achtlos zur Seite und kam somit vom Gehweg ab direkt in das Gestrüpp, dass neben der Brücke wuchs.
Würde ich nicht selbst gern auf das Feld nicht weit von meinem Haus und sogar in den daneben liegenden Wald gehen, dann hätte ich jetzt frustriert Protest geschoben.
Dennoch entwischte mir eine erschöpfte Grimasse, da ich keine Lust auf diesen Ort hatte. Er trug Erinnerungen, die nicht die besten waren und im Gegensatz zu meinem Stammplatz, war die Erde hier deutlich feuchter, weshalb ich mich auf nervige Flecken einstellen sollte.

"Wieso hast du uns ausgerechnet hierher gebracht?" seufzte ich, als ich ebenso Blätter aus meinem Weg schob, jedoch deutlich vorsichtiger und nachsichtiger, als wie Eric es tat.
"Hier ist es am ruhigsten." brummte er den leichten Abhang runterstampfend.
Schnaufend sah ich von seinem breiten Rücken runter, um nicht an einer Wurzel zu stolpern und fing wieder ungewollt an, über Jennifer nachzudenken.
Desto kleiner der Bekanntenkreis, desto weniger Stress.
Ich konnte es nicht leugnen. Eric hatte vollkommen Recht mit dem was er vorhin auf dem Schulparkplatz gesagt hatte. Vor allem mit dem Fakt, dass das nicht ich war, so wie ich mich verhielt. Doch ich konnte genauso wenig sagen, was in mich gefahren war, dass ich plötzlich den Kontakt zu anderen zuließ. Es war einfach...neu. Ablenkend.


Als wir kurz darauf wieder auf dem großen Stein saßen, andem wir es uns das letzte Mal hier gemütlich gemacht hatten, wechselten wir nur wenige Worte miteinander. Wir redeten darauf über Jennifer, weil es mir schlichtweg nicht aus dem Kopf ging, doch Eric konnte mir nicht all zu viel verraten.
Er versuchte es, glaube ich, doch letzten Endes war ich nicht unbedingt schlauer als vorher.

"Ich hätte nie erwartet, dass ausgerechnet du dich freiwillig mit anderen unterhalten würdest. Und dann auch noch außerhalb der Schule treffen." brummte er später, "Das hatte meine kühnsten Vorstellungen übertroffen, weil das schlichtweg nicht du bist."
Ich verzog die Brauen, doch kam nicht gegen das Gefühl an, dass er Recht hatte. Und zur selben Zeit schämte ich mich plötzlich dafür. Ich hasste es, wenn Menschen das eine sagten, doch das andere machten und war immer strickt dagegen, eine von denen zu werden. Doch mit dieser Aktion...Da hatte ich mich wohl selbst verraten. Und es hinterließ einen bitteren Gechmack auf meiner Zunge.

Doch weil der Trotz darauf zu stark wurde konnte ich mir die folgende spitze Frage nicht verkneifen: "Mit dir sollte ich mich dann wohl auch nicht mehr treffen, was?"
Überrascht hob er die Brauen, während er mich ansah und ein kurzes Flackern durch seine Augen schien. Wow, ich hatte noch nie so viel Emotion an ihm gesehen, wie im diesem Moment. Wenn man Wut ausließ.
Er schüttelte den Kopf. "Nein, nein. Mit mir ist das was anderes." Ach, ja? Irgendwie ließ mich diese Bezeichnung komisch fühlen. "Wir sind nicht so dick, dass wir ineinander ein Vertrauen packen, das letzten Endes verletzt werden kann. Wir leben einfach so gut es geht. Oder eher gesagt...ich helfe dir dabei ein wenig."
Das verstörte mich teilweise, jedoch konnte ich das nicht leugnen. Schon wieder hatte er Recht. "Und wieso tust du das?"
Mit festem Blick starrte ich in seine dunklen Augen, die mich so einkerkern konnten, dass ich vergaß zu atem, doch diesmal wollte ich diejenige sein, die ihn verunsicherte. Ich musste diese Frage nach all der Zeit der Überlegungen endlich beantwortet haben.

"Keine Ahnung. Ich schätze eine Person, wie du hatte mir in der Gruppe gefehlt. Du bist so ähnlich wie ich gestrickt, was es leichtert macht, Scheiße mit dir abzuziehen. Außerdem denkst du nicht zu viel nach sondern machst einfach, weil du sowieso keinen Sinn in allem siehst. Du bist genauso Lebensmüde wie ich und sowas findet man nicht oft." Er zuckte nicht einmal mit der Wimper, während er mir das direkt ins Gesicht sagte.
Schockiert starrte ich ihn an und spürte, wie sich ein Kloß in meinem Hals bildete. Hatte er gerade zugegeben, was ich glaube, dass er es zugegeben hat? Du ist genauso Lebensmüde, wie ich. Es konnte nur das bedeuten und als ich ihm weiterhin anstarrte, meine Augen sogar schon in seinem Braun verschwammen, da sie es nicht wagten, zu blinzeln, erkannte ich die Bestätigung in seinem Blick. Stumm, aber ausdrucksstark.

Ich hätte nichts lieber als direkt gefragt, ob er genauso an den Tod denkt und ich mir das nicht einbildete, aber selbst wenn ich gewusst hätte, wie ich diese Frage hätte stellen sollen, wäre mir nichts aus der Kehle gekommen.
So dringend sich meine Neugier auch vordrückt, umso verschlossener war meine Person. Ich hasste es offen über diese Sache zu reden. Ich tat lieber so, als wäre es nicht der Rede Wert. Außerdem hatte ich auf die Meinung und Kritik anderer Leute dazu keine Lust.
Es würde mehr Probleme bringen, als nötig. Also blieb ich stumm. Sah ihn einfach an, bis er sich selbst abwendete. Doch ich konnte die Veränderung meiner Sicht auf Eric nicht zurückkehren lassen.
Er hatte es innerhalb eines Tages geschafft, mir das Gefühl der Verbundenheit zu geben, wie niemand zuvor.


Cold WinterWo Geschichten leben. Entdecke jetzt