XII

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Doch auch wenn ich mich erneut zurückziehen wollte, entschied zum wiederholten Mal der Lehrer, dass es anders sein sollte. Denn dieser zwang mich die Theorie, die wir für unsere Klausur auswendig können mussten, vor dem gesamten Kurs vorzutragen. Vorne. Vor den Augen aller.

Zwar achtete auch hier niemand auf mich, als wäre ich nicht aufgerufen worden, doch dennoch fühlte ich mich unwohl. Als hätte jemand meine wertvolle Privatsphäre angerissen.
Verkrampft stand ich auf und stellte mich vor das Whiteboard an dem das dazugehörige Biosystem abgebildet wurde. Ich konnte es, ja, aber das hieß noch lange nicht, dass ich es laut vor all diesen Idioten erklären musste. Es reichte doch, wenn ich es für mich selbst kannte.
Deshalb schlug ich mich nicht unnötig herum und prasselte die Erklärung in einem Zug runter und zeigte hier und da an die dazugehörigen Stellen der Abbildung, um meine Aussage zu unterstützen. Mündliche Noten waren sowas von für die Katz.
Und obwohl ich mich von nichts aus der Bahn werfen ließ, fiel mir eine ungewöhnliche Reaktion von Brad auf, während ich dastand und unberührt redete.
Schon fast erschrocken lehnte er sich über seinen Tisch und starrte mich unverhohlen mit großen Augen an, als wäre ich ein Alien, dass sich soeben geoutet hatte. Doch ich ignorierte ihn gekonnt und kürzte dafür die Erklärung so gut es möglich war, um endlich an meinen Platz zurückkehren zu können.
„Danke, Heather. Das war zum Ende hin vielleicht etwas knapp, aber du hast die Theorie anscheinend verstanden." meinte der Lehrer und entließ mich endlich.
Doch auch wenn ich zurück zum Platz kehrte, ließ mich Brads Blick nicht los. Was war auf einmal mit ihm? Hatte er bemerkt, dass ich ihn beobachtete und dann auch noch so hässlich war?

Den ganzen Unterricht lang fühlte ich mich beschämt und konnte es nicht erwarten abhauen zu können. Wieder bemühte ich mich nicht darum meine Sachen zu packen und schulterte den Rucksack, bevor ich meine Bücher einfach an die Brust presste und unter den anderen schnell den Raum verließ.
„Heather!" hörte ich es rufen und gefror von der klaren Stimme. Eher schockiert drehte ich mich langsam vor dem Ausgang um und traf auf die grün-gräulichen Augen von Brad. Verdammte Scheiße..
Er war dabei seine Sachen zu packen und machte Anstalten zu mir kommen zu wollen, doch sobald ich die ganzen verwirrten Blicke der anderen auf mir merkte, zog sich alles in mir zusammen. Natürlich war es verwirrend. Es war verstörend. Niemals hätte man erwartet, dass Brad nach jemanden wie mir rufen würde.
Also ergab ich mich meiner Nervosität und drehte mich weg, um zu flüchten. Ich konnte nicht fassen, dass Brad meinen Namen ausgesprochen hatte und das musste ich auch nicht. Ich musste einfach so tun, als wäre es nicht passiert.

Die überfüllten Flure machten es mir dieses Mal jedoch schwieriger, weshalb ich mehrmals fast mit anderen zusammenstieß und anhalten musste, bevor ich jemanden noch zu Boden metzelte.
„Heather, warte!" kam es hinter mir und ich gefror an Ort und Stelle. Er folgte mir?!

Kurz darauf blieb er wankend vor mir stehen und lächelte schüchtern herab. „Das ist doch dein Name?"
Mit einem Kloß im Hals versuchte ich den geschockten Ausdruck auf dem Gesicht zu unterdrücken, doch es gelang mir nicht. Niemals lag seine Aufmerksamkeit auf mir. Nicht im geringsten. Und nun war es anders? Wie konnte das sein?
„Alles gut? Du siehst blass aus." krümmte er die fülligen Brauen. Das glaubte ich ihm. Ich war von Natur aus blass doch in diesem Moment war mir wohl jegliche Farbe aus dem Körper gewichen.
„J-Ja," murmelte ich leise und versuchte mich zu kontrollieren, „Alles gut."
„Sicher?"
„Was wolltest du?"
Ersichtlich verwirrt musterte er mich. „Wieso bist du vor mir geflohen?"
„Wieso stellst du eine Frage auf meine Frage?" zog ich die Augen zu Schlitzen.
Er legte den Kopf schief. „Wieso antwortest du nicht einfach auf meine?"
„Wieso sollte ich, wo ich doch zuerst gefragt habe?"
Ein Grinsen bildete sich auf seinem perfekten Gesicht, dass ich verstummte. „Ich wollte mich für letztens entschuldigen." kam er endlich zum Punkt, doch mein Gesicht strahlte mehr Verwirrung aus. „Wo wir auf dem Footballplatz ineinandergelaufen sind?"
Verstehend nickte ich. „Dafür braucht man sich nicht zu entschuldigen. Immerhin trage ich mit Schuld."
„Ich wollte mich auch eher dafür entschuldigen, dass ich deinen Namen nicht kannte."
Verdutzt lehnte ich mich zurück. „Das ist doch nicht schlimm." log ich. Auch wenn ich mit niemanden etwas zu tun haben wollte, wollte ich schon, dass Brad mich wenigstens irgendwie bemerkte. In dem Moment wurde das jedoch zerstört, weshalb ich nicht verstand, was er nun von mir wollte.
Sein Grinsen wurde tiefer. „Ach, ja? Du sahst aber nicht danach aus."
„Ich weiß nicht, was du meinst."
Einen Moment blieb er still, während er mich grinsend musterte. „Jedenfalls..Jetzt kann ich dir versichern, dass es nicht nochmal passieren wird. Heather Anerston wird mir nicht so schnell aus dem Kopf gehen." bückte er sich minimal zu mir, bevor er zum Abgang ansetzte.
Mit wohl rotem Gesicht entgegnete ich seinen Blick, während er rückwärts wegging. Die Schüler achteten dabei ja nicht in den Weg zu kommen. Die Achtung vor ihm war erschreckend. „Du wirst ihn bis zum letzten Klingeln schon vergessen haben!" rief ich unberührt tuend nach.
„Glaub mir, ein Gesicht, wie deines, vergesse ich nicht so schnell. Stecke deine Haare ruhig öfter zurück! Bis bald!" grinste er frech, bevor er sich endgültig umdrehte und davonging.
Fassungslos starrte ich ihm nach. Ein Gesicht, wie meines? In Trance sah ich ihm nach und fasste mir an die Wange. Niemals konnte das positiv gemeint sein.

Frustriert schnaubend unterdrückte ich die ganzen Gefühle, die mich innerhalb von Sekunden bombardiert hatten und ging mir durch die schwarzen Haare. Brad spielte nur ein Spiel. Er warf schon immer Worte um sich, die die anderen für ihn schwärmen ließen, weshalb ich mich in Acht nehmen musste. Ich hatte nämlich nicht vor einer der hirnlosen Mädchen zu werden, die falschen Komplimenten nachrannten.

Cold WinterWo Geschichten leben. Entdecke jetzt