LIII

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Je länger ich in der Schule hockte, desto größer wurde meine Übelkeit. Umso erleichteter war ich, als ich endlich in meinem Zimmer ankam und die Tür hinter mir schloss, um mich mit geschlossenen Augen gegen sie zu lehnen.
Verzweifelt ausatmend spürte ich die Schwäche in meinen dünnen Beinen und öffnete mit wehmütigen Gesicht die Augen. Die Sonne würde bald früher als sonst untergehen, was für den Oktober normal war. Deswegen würde ich mich wärmer anziehen, wenn mich Eric denn wirklich bald abholen sollte.
Müde sah ich zur digitalen Uhr auf meiner Kommode. Noch 30 Minuten. Was, wenn Brad mir währenddessen schreiben wird?
Wie zum Zeichen drängte sich mir die Sukkulente von ihm ins Blickfeld und nahm meinen Verstand für einen Moment unerlaubt ein. Was war nur Brads Ziel an der Sache?
Wie unter Trance starrte ich sie in an, während ich merkte, dass sich tief in mir etwas zusammen braute.
Wollte ich Brad denn zulassen sein mir unbekanntes Ziel überhaupt durchzusetzen? Wollte ich wirklich, dass zwischen uns regelmäßiger Kontakt herrschte? Ich konnte es zwar immer noch nicht wahr haben, aber allmählich musste ich die Möglichkeit in Betracht ziehen und einen Entschluss ziehen.

Es war das gedämpfte Geräusch meines Handys, dass aus meinem Rucksack nervte.
Langsam hatte ich gar keine Lust irgendwohin zu gehen, aber als ich die Nachricht von Eric las, dass er bald hier sein wird, wusste ich, dass ich nun nicht mehr abspringen konnte.
Seufzend stieß ich mich von der Tür ab und machte mich dran mich unmotiviert fertig zu machen.


"Bereit?" brummte Eric an meiner Haustür.
"Naja." murmelte ich unbeeindruckt. "Je nachdem, wofür."
Er verdrehte die Augen und ging einfach die Veranda hinab, die Straße runter.
Einen Moment überlegte ich meiner Mutter zu schreiben, dass ich nicht Zuhause sein würde, sobald sie von der Arbeit heimkommen würde, doch verwarf den Gedanken einfach desinteressiert und schloss die weiße Eingangstür hinter mir, um Erics schnellen Schritten zu folgen. Es ist ja nicht so, dass es jemanden interessieren würde, was ich machte. Oder eher sollte es niemanden interessieren.

"Wie kann es sein, dass Regy dir immer wieder sein teures Motorrad leiht? Ich hätte ihn nicht als großzügig eingeschätzt." murmelte ich, während ich einen Helm entgegen nahm.
"Ist er auch nicht. Aber als Liebling eines familienlosen Rotzers darf ich mir einiges erlauben." gab er monoton von sich und setzte seinen schwarzen Helm auf.


Diesmal ging die Fahrt auf dem lauten Ding länger, bis wir schon anfingen die Stadt zu verlassen. Mit mulmigen Gefühl betrachtete ich die immer weniger werdenden Landstraßen und wie wir für kurze Zeit sogar auf der Autobahn fuhren. Wo zur Hölle wollte Eric hin? Es war nicht so, dass ich vor hatte erst in den Morgenstunden nach hause zu kommen. Außerdem war diese Entfernung von meinem Heim ein kleiner Schritt außerhalb meiner Komfortzone, was mich nervös machte.
Jedes Mädchen hätte sich an meiner Stelle sicherlich gefreut am Rücken eines unnahbaren heißen Typens zu hängen, der geschickt mit einem abgefahrenen Motorrad umgehen konnte und einen auf eine aufregende Fahrt hinaus mitnahm. Aber ich hatte dieses Gefühl nicht unbedingt. Ich wusste nicht einmal, was ich überhaupt bei dieser Sache fühlte.
Mein Magen kribbelte ununterbrochen, seit Eric an meiner Türschwelle stand und ich war dauerhaft versteift. Wenigstens hatte die lange Fahrt mein Herzrasen minimiert.
Dennoch war mir nicht wohl. Was hatte er vor?
Als wir aus der Autobahn raus und eine mikrig befahrene Straße entlang fuhren, die nicht einmal ein richtiges Ende zu den Seiten hatte, befohl ich mir tief durchzuatmen und die Sache gelassen anzunehmen. Immerhin hatte ich doch eine Änderung meines klägliches Lebens tief im inneren gewollt. Also sollte ich diese Möglichkeit genießen und einfach - wie meine Mutter es seit Jahren versuchte zu sagen - 'Es einfach genießen.'

Mein Griff um Eric verstärkend nahm ich wieder seine Präsenz ungewöhnlich stark war. Obwohl er einen schwarzen Hoddie und darüber eine zerrissene schwarze Jeansjacke trug, konnte ich die Wärme seines Rückens spüren. Es wirkte schon beschwichtigend. Und wenn meine Nase nah genug an seinen Kragen kam, konnte ich selbst durch den Wind seinen üblichen Geruch von Zigaretten und dem herben After-Shave riechen. Und sogar einen Hauch seines eigenen Geruchs. Ein Geruch, der immernoch ungewöhnlich für mich war, dennoch eine beruhigende Wirkung hatte. Eric hatte es geschafft innerhalb kürzester Zeit zu etwas gewohntem zu werden. Etwas, wofür andere Jahre brauchten, wenn sie es denn überhaupt schafften, diese Wirkung auf mich auszuüben.

"Brauchen wir noch lange?" rief ich durch meinen Helm, worauf ich nur ein schwaches kopfschütteln seinerseits wahrnahm. Seufzend legte ich meinen Kopf an ihm ab, obwohl es mehrere Blitze durch meinen Körper jagte.
Seine überraschenden Aktionen zerrten manchmal sehr an meinen Nerven, doch zum anderen genoss ich es. Ich konnte jedoch nicht beschreiben, was es war, dass ich fühlte.


Tatsächlich bog er darauf auf einen beachtlichen kleinen Parkplatz mitten im nirgendwo ein und hielt seitlich zu einem Diner, dessen Neonschild 24/7 leuchtete.
Verwirrt runzelte ich die Stirn unter dem Helm, doch war von der langen Fahrt zu eingesteift, um sofort aufzustehen.
Eric war der erste, der sich erhob, obwohl ich mich noch an ihm festhielt und seinen Helm ächzend abnahm. Seine verwuschelten dunklen Haare durchfuhr er mit der Hand voller Ringe und klemmte den Helm unter seinen Arm, als er mich unergründlich ansah.
Ich ließ meinen verspannten Muskeln einen Moment Zeit, bevor auch ich den Helm abnahm. "Das ist dein Plan?" fragte ich krächzend und deutete auf das Diner, dass neben vereinzelten Sträuchern das einzige hier weit und breit war. "Wartet dort wieder ein geheimer Raum voller Drogen und diesmal noch voller Mafiosos, die uns auf die Probe stellen werden?" konnte ich es mir nicht verkneifen und krümmte die Brauen, während ich meine schwarze Mähne wieder zurechtstrich.
Er schnaubte amüsiert und ich beobachtete, wie er anfing, sich eine zu drehen.
"Nein, das ist leider nicht der Laden." meinte er nur, bevor er die fertige Zigarette zwischen die Lippen steckte und sein Zeug wieder verstaute.
"Kann ich auch eine? Ich wusste nicht, wohin es geht und habe deswegen alles Zuhause gelassen."
Er hielt inne und musterte mich einen Moment, bevor er das Drehzeug augenverdrehend wieder hervorholte und mir seine fertige hinhielt.
Stutzig starrte ich seine definierte Hand mit der Stange an. "Ich kann mir auch schnell eine selbst drehen.."
Wieder schnaubte er. Diesmal mit einem schiefen Lächeln. "Dein schnell ist super langsam, weshalb ich schneller dran bin. Also nimm jetzt."

Ich sträubte mich kurz doch nahm sie und musterte sie zwischen meinen Fingern drehend. Aber er hatte sie zwischen den Lippen. Die Feststellung ließ meinen Bauch heiß werden, genauso, wie meine Wangen.
Jetzt sei nicht so ein Mädchen!
Genervt von mir selbst versuchte ich dieses eigenartige Gefühl zu unterdrücken und schwang ein Bein vom Motorrad, um zu Eric gerichtet zu sitzen.

Cold WinterWo Geschichten leben. Entdecke jetzt